Handhygiene © Julien Gregorio/phovea/HUG

COVID-19: Doktor «Handhygiene»

Didier Pittet, Professor am Universitätsspital Genf (HUG) und Experte für Infektionsprävention und -kontrolle, hat einem zurzeit äusserst gefragten Produkt, dem hydroalkoholischen Gel, zum Durchbruch verholfen. Er gilt als Pionier der Spitalhygiene: Gemeinsam mit einem Apotheker entwickelte er diese hydroalkoholische Lösung, die die Händedesinfektion in medizinischen Einrichtungen revolutioniert hat. Die Anwendung, d. h. das Einreiben der Hände mit dem Gel, ist sehr einfach. Das Produkt wird weltweit verwendet und rettet jährlich acht Millionen Menschenleben.

Didier Pittet, der 1957 am Genfersee geboren wurde, war nicht für die Medizin prädestiniert, sondern eher für das Priestertum, stammt er doch aus bescheidenen Verhältnissen und einer über Generationen hinweg sehr gläubigen Familie. Doch er entschied sich für den weissen Kittel. Geprägt hat den jungen Pittet der Hausarzt der Familie. In dieser «Schutzfigur» entdeckte er einen Beruf, eine Berufung, eine dem Priesteramt ähnliche Aufgabe, nämlich die des Heilens anderer.

Heute ist Didier Pittet Chefarzt der Abteilung für Infektionsprävention und -kontrolle am Universitätsspital Genf und Direktor des Kooperationszentrums für Patientensicherheit der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Er ist Mitautor von über 500 Fachpublikationen und hat auf seinem Spezialgebiet mehrere nationale und internationale Auszeichnungen erhalten. Im Jahr 1998 gehörte er zu den fünf einflussreichsten Wissenschaftlern seiner Zeit. Zudem hat er als praktizierender Arzt für die weltweit renommiertesten medizinischen Einrichtungen gearbeitet.

Dr. Didier Pittet © HUG

Doktor «Handhygiene»

Der als Doktor «Handhygiene» bekannte Arzt demokratisierte im Zuge einer Grippewelle (Typ A-Viren) die Verwendung einer hydroalkoholischen Desinfektionslösung (eine vom HUG-Apotheker William Griffiths entwickelte Formel), die sich als wirksamer erwies als antiseptische Seife. Diese bahnbrechende Innovation ist seither als «Geneva Model» bekannt. Dank ihr ist die Desinfektion der Hände auch in armen Ländern möglich, in denen es an Wasser mangelt. Die Formel beruht auf einem sehr einfachen Modell. Die Flaschen mit der hydroalkoholischen Lösung stehen dem Pflegepersonal überall zur Verfügung: in den Patientenzimmern, auf den Gängen, in den Untersuchungsräumen. Sie können sie auf sich tragen und so vor, während oder nach Untersuchung und Pflege ihre Hände desinfizieren. Bei der herkömmlichen Handhygiene mit Wasser und antiseptischer Seife braucht es ein Lavabo, die Hände müssen gründlich gewaschen, gespült und getrocknet werden. Das erfordert Zeit, umso mehr, weil das Pflegepersonal mehrmals pro Stunde die Hände desinfizieren muss. Die Anwendung des hydroalkoholischen Gels ist nicht nur schneller (20 Sekunden) und bequemer als die Verwendung einer Seife, sondern hat auch noch einen weiteren Vorteil: Es reduziert die Krankenhausinfektionen. 

Didier Pittet arbeitete bereits in den 1990er-Jahren an einer Strategie zur Bekämpfung der Krankenhausinfektionen, von denen in der Schweiz jährlich 70’000 Personen betroffen sind. Dabei wurde er auch von der WHO unterstützt. Dank dieser Strategie können weltweit jährlich 8 Millionen Patientenleben gerettet werden. 2007 zeichnete Königin Elisabeth II. von Grossbritannien Didier Pittet für seine Verdienste im Bereich der Infektionsprävention im britischen Gesundheitswesen mit dem Titel «Commander of the British Empire» aus, der höchsten Auszeichnung für eine ausländische Person. Die letzte Adelung eines Schweizers durch die britische Krone liegt über 400 Jahre zurück.

Hand hygiene © Julien Gregorio/phovea/HUG
Handhygiene © Julien Gregorio/phovea/HUG

Ehre statt Geld

Im Gegensatz zum Geld ist gegenseitige Hilfe unbegrenzt verfügbar. Es ist die Währung des Überflusses.

Es war nicht ganz einfach, Medizin und Wissenschaft von der Notwendigkeit einer hydroalkoholischen Lösung zu überzeugen. Didier Pittet war mit vielen Widerständen konfrontiert, unter anderem mussten die Menschen vom Nutzen dieser neuen Händedesinfektion überzeugt werden. 2005 war ein entscheidendes Jahr. Die WHO beauftragte ihn mit der Lancierung eines Programms im Bereich Patientensicherheit: «Clean Care is Safer Care». Mit diesem Programm wurde die hydroalkoholische Lösung für die Händedesinfektion weltweit bekannt. 
Didier Pittet musste bei der Einführung seines Produkts auch harte Kämpfe mit den Pharmalabors ausfechten. Bei diesem Kräftemessen ging es dem Arzt vor allem darum, einen «vernünftigen» Preis für das Desinfektionsmittel durchzusetzen. Die Formel seiner hydroalkoholischen Lösung, die laut ihm sehr einfach herstellbar ist, gab er der WHO. Für ihn ist die Dankbarkeit die einzige Belohnung, die Sinn macht.

Ehre gebührt dem, der sie durch sein Engagement verdient hat.

Basierend auf einem Artikel von Dejan Nikolic, erschienen in Le Temps, April 2014.