Autonomer Shuttlebus von PostAuto. © PostAuto

Bestmile: Schweizer High-Tech für autonome Fahrzeuge

Stellen Sie sich vor, Sie bestellen mit Ihrem Smartphone einen Bus, der Sie zur Arbeit fährt. Der Bus holt Sie vor Ihrer Haustüre ab. Es gibt keinen Fahrer, doch der Bus kennt den Weg und wählt bei einem Stau sogar eine Alternativroute. Selbstfahrende Shuttlebusse als Ergänzung zum öffentlichen Verkehr: das ist die Vision von Anne Mellano. Die junge Schweizer Ingenieurin und Mitbegründerin von Bestmile, einem erfolgreichen Start-up, das innovative Softwarelösungen für die Steuerung von Fahrzeugen mit und ohne Fahrer entwickelt.

Das Unternehmen mit Sitz in Lausanne belegte beim TOP 100 Swiss Startup Award 2018 den zweiten Platz. Bestmile ist ein zukunftsweisendes Spin-off der Eidgenössischen Technischen Hochschule Lausanne (ETHL), eines der führenden Zentren der Schweiz auf dem Gebiet der Technologieforschung. Anne Mellano gründete die Firma gemeinsam mit Raphaël Gindrat. Zuvor arbeitete sie in einem Büro für Stadtplanung an selbstfahrenden Fahrzeugen.

 

Anne Mellano

Als Verkehrsingenieurin leitete sie eines der ersten europäischen Projekte für autonome Mobilität. Im Zuge des Pilotversuchs mit selbstfahrenden Shuttles auf dem ETHL-Gelände erwarben die beiden Experten wertvolle Erfahrungen bei der Steuerung selbstfahrender Fahrzeuge. Dank des von der Schweiz und der EU finanzierten Pilotversuchs gelang Bestmile ein fulminanter Unternehmensstart. Heute beschäftigt die Firma 60 Mitarbeitende in Lausanne und San Francisco. Ihre innovative Technologie kommt im öffentlichen Verkehr mehrerer Schweizer Städte zum Einsatz, darunter Sitten und Genf. Bestmile wurde vor Kurzem Konsortiumpartner des EU-Projekts AVENUE, das den Einsatz selbstfahrender Fahrzeuge im öffentlichen Verkehr testet.

Self-driving shuttle operated by PostBus
Die autonomen Shuttlebusse in Sitten werden mit der Software von Bestmile gesteuert. © PostAuto

Innovative Denkweise

Anne Mellano verfügt über einen Master in Ingenieurwissenschaften der ETHL. Ihr Studienfach habe sie nicht aufgrund eines speziellen Berufsziels gewählt, sagt sie. Vielmehr habe sie ihre mathematische Begabung für einen konkreten Zweck nutzen wollen. «Zuerst wollte ich Mathematiklehrerin werden», erklärt sie. Später wurde ihr jedoch klar, dass sie etwas Konkreteres anstrebte, und entschied sich für ein Ingenieurstudium. Nach dem Bachelor spezialisierte sie sich auf das Verkehrswesen, mit der Absicht, innovative Bereiche der Ingenieurwissenschaft zu erschliessen. «Ich wollte nicht als Verkehrsingenieurin in einer herkömmlichen Mobilitätsfirma arbeiten. Dank dieser Einstellung habe ich es wohl bis dahin gebracht, wo ich jetzt bin.»

Die Schweiz zählt zu den innovativsten Ländern der Welt, allerdings werden nur 14,5 % der Schweizer Unternehmen von Frauen gegründet. Das liegt laut Anne Mellano auch an der geringen Anzahl Frauen in den technologischen Studiengängen. «Im ersten Jahr meines Ingenieurstudiums waren unter den rund 140 Studierenden gerade mal sechs Frauen», erzählt sie und betont, dass alle sechs Frauen unter den 55 Diplomierten waren. Wer sein eigenes Unternehmen lancieren will, habe zahlreiche Möglichkeiten, an öffentliche oder private Fördergelder zu kommen oder sich Visibilität zu verschaffen. Der TOP 100 Swiss Startup Award ist nur eine von vielen Auszeichnungen, mit denen Start-ups ihre Bekanntheit steigern können. Das Weltwirtschaftsforum WEF verleiht eigene Preise und setzte Bestmile 2018 auf die Liste der 61 vielversprechendsten Technologie-Pioniere.

Vom Pilotprojekt zum Start-up

Ihre erste Stelle in einem Büro für Stadtplanung war massgebend für die Karriere von Anne Mellano. Im Rahmen eines EU-Forschungsprojekts wurde der von ihr eingereichte Vorschlag für einen achtmonatigen Pilotversuch mit selbstfahrenden Shuttles auf dem Campus der ETHL ausgewählt. Im Vorfeld dazu entwickelte sie zusammen mit Raphaël Gindrat, der bereits mit einem selbstfahrenden Shuttlebus der Hochschule gearbeitet hatte, die Geschäftsidee eines Flottenmanagements für selbstfahrende Fahrzeuge. «Wir begriffen früh, wie smart diese Fahrzeuge tatsächlich waren. Sie gelangten problemlos von A nach B, doch irgendetwas fehlte: Die Fahrzeuge kommunizierten nicht miteinander», erinnert sich Anne Mellano. Die beiden kamen zum Schluss, dass ein Mobilitätsdienst mit selbstfahrenden Shuttles eine Art kollektive Intelligenz braucht, die weiss, was gerade wo im System passiert. 

4.	Bestmile co-founders Anne Mellano and Raphaël Gindrat with the first autonomous shuttle of EPFL
Bestmile-Gründer Anne Mellano und Raphaël Gindrat mit dem ersten selbstfahrenden ETHL-Shuttle. © Bestmile

2014 gründeten Anne Mellano und Raphaël Gindrat Bestmile und leiteten im Jahr darauf den Pilotversuch mit den Shuttlebussen. Sechs selbstfahrende Kleinbusse sorgten während acht Monaten für den Personentransport auf dem ETHL-Campus. Ob der Versuch gelingen würde, war mehr als fraglich. «Ursprünglich wollten wir einfach den Versuch durchziehen und das Ergebnis abwarten. Hätte sich die Technik als noch nicht ausgereift herausgestellt, wären wir einfach zu unserer früheren Arbeit zurückgekehrt», sagt Anne Mellano. Doch dank des Pilotversuchs sicherte sich Bestmile gleich die ersten Aufträge sowie Fördergelder. «Dass wir schon im ersten Jahr völlig ausgebucht waren, war ein Glücksfall. Unser Auftrag war klar», erinnert sie sich.

Bestmile co-founders Anne Mellano and Raphaël Gindrat
Bestmile-Gründer Anne Mellano und Raphaël Gindrat. © Bestmile

Ferngesteuert

Die Softwareplattform von Bestmile ermöglicht den Betreibern von selbstfahrenden und personenbedienten Fahrzeugen die Routenplanung, den Abgleich von Fahrzeugen und Passagieren sowie das Management der Fahrzeugwartung. Die Fahrzeuge sind über ein Cloud-System vernetzt. «In den Fahrzeugen ist weder Hardware noch Software von uns installiert. Alles läuft über die Cloud», erklärt Anne Mellano. Die Verkehrsbetreiber setzen nur jene Softwarekomponenten ein, die sie benötigen, und passen sie ihren Bedürfnissen an. Die Software beauftragt das Fahrzeug, eine bestimmte Route abzufahren und an definierten Haltestellen stehen zu bleiben. Das Fahrzeug führt den Auftrag selbstständig mit seiner eigenen Hard- und Software aus. Die für die Sicherheit des Fahrzeugs verantwortliche Technologie liegt somit nicht in der Zuständigkeit der Bestmile-Plattform. Die Verwendung der Software in personenbedienten Fahrzeugen erleichtere den Wechsel von konventionell gesteuerten zu selbstfahrenden Fahrzeugen. «Sobald sich die Kunden in Fahrzeugen mit Fahrer mit der Plattform vertraut gemacht haben, können sie selbstfahrende Fahrzeuge hinzufügen.»

Die Software von Bestmile bietet die Möglichkeit, ein Shuttle auf Anfrage loszuschicken, sobald ein Passagier es über eine Applikation bestellt. Diese Lösung ist für Bahnfahrende in der Schweiz ein durchaus denkbares Zukunftsszenario. Bestmile arbeitet nämlich mit den Schweizerischen Bundesbahnen SBB an einem Projekt mit selbstfahrenden Fahrzeugen im öffentlichen Bahnverkehr. «Es geht darum, dass man bei einer Fahrt mit der Bahn für die letzte Meile via SBB-App ein Shuttle buchen kann. Das Shuttle wartet am Bahnhof auf die Passagiere und fährt sie zum gewünschten Ziel», erklärt Anne Mellano.
 

2.	The self-driving shuttles operated by PostBus, a subsidiary company of the Swiss Post, can carry up to 11 passengers.
Die autonomen Shuttlebusse von PostAuto, einer Tochtergesellschaft der Schweizerischen Post, können bis zu elf Passagiere befördern. © PostAuto

Einfacher ÖV für alle

Anne Mellano hofft, dass selbstfahrende Fahrzeuge eines Tages eine Selbstverständlichkeit werden und insbesondere dort zum Einsatz kommen, wo der öffentliche Verkehr Lücken hat. «Es ist nicht unsere Vision, die bestehenden Massenverkehrssysteme zu ersetzen, sondern sie zu ergänzen.» Eine flexible ÖV-Anbindung für die erste und letzte Meile würde die Menschen eher dazu bringen, das Auto in der Garage zu lassen. «Stellen Sie sich eine Zukunft vor, in der Sie bequem per Handy ein Fahrzeug nach Hause bestellen. Es holt Sie vor Ihrem Haus ab, fährt Sie zu Ihrem Ziel und verschwindet wieder. Sie bräuchten sich keine Gedanken darüber zu machen, ob genug Benzin im Tank ist, oder ob Sie die Winterreifen montieren sollen. Auch die leidige Parkplatzsuche hätte ein Ende.»