Rene Burri. Fort Lauderdale, Florida. 1966

Prägende Figuren der schweizerischen Fotografie

Die schweizerische Fotografie? Klar und plastisch! Die Werke ihrer Vertreterinnen und Vertreter sind oft engagiert, grenzüberschreitend und normsetzend im jeweiligen Genre. Wie bei Monique Jacot oder Werner Bischof zeugen die Werke auch von der Entwicklung des Mediums der Fotografie in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, im Spannungsfeld zwischen kommerziellen Aufträgen und freiem Kunstschaffen. Hier sind einige prägende Persönlichkeiten aus Vergangenheit und Gegenwart porträtiert, deren Einfluss sicherlich auch die nächsten Generationen beeinflussen wird.

Von Strassen und Seitenwegen.

Wer kennt nicht den 1958 veröffentlichten Fotoband «The Americans», den bekanntesten aller Klassiker? Weniger bekannt ist, dass der Gestalter dieses Werks, der grosse Robert Frank, nach dem Ersten Weltkrieg in Zürich geboren wurde. Zehn Jahre nach der Emigration in die USA unternahm er eine Entdeckungsreise durch das Land, das zu seiner Wahlheimat wurde. Zwischen 1955 und 1956 streifte Robert Frank dank einem Guggenheim-Stipendium zwei Jahre durch die Strassen Nordamerikas. Es kam sogar zu einer kurzen Begegnung mit Jack Kerouac, dem legendären Schriftsteller der Beat Generation. Sein starkes, engagiertes und freies Werk – Filme, Videos und Fotos – ist ein bilderstürmerisches Manifest.

Marcel Imsand

Shirana Shahbazi ist ebenfalls in zwei Kulturen zuhause. Sie setzt sich in ihren Arbeiten mit ihrem Heimatland Iran auseinander. In ihrem letzten grossen Projekt «Monstera», einer Fotoreportage über eine dreimonatige Reise von ihrem Wohnort Zürich nach Teheran, verbindet die Künstlerin dokumentarische Bilder mit abstrakten, sinnlichen Lithografien. Zur brillant inszenierten Ausstellung in der Kunsthalle Bern 2014 erschien ein gleichnamiger Band, der sehr frei konzipiert war. Mit erst 42 Jahren gilt Shabazi bereits als wegweisende Fotografin.

Zwischen Amerika und dem Wallis liegt nur ein Schritt, wie Yann Gross in seinem erfolgreichen Erstling «Horizonville» verdeutlicht. Die ethnografische und surrealistische (Motorrad-)Reise führt aus dem Rhonetal auf die Spuren der Liebhaber des Wilden Westens. Der junge Fotograf aus Vevey verbindet die Frage der Konstruktion von Identitäten mit einem starken Engagement für die Gemeinschaften, die er trifft – von Uganda bis Brasilien. Der Preisträger 2015 des Luma Rencontres Dummy Book Award Yann Gross entführt das Publikum in Arles mit seinem neuen Projekt – einem Buch und einer Aufführung – auf die Spuren des Seefahrers und Entdeckers Francisco de Orellana, der im 16. Jahrhundert den Amazonas für den Westen entdeckte.

Beim Stichwort Strasse muss auch der berühmte Marcel Imsand erwähnt werden. Der liebenswerte Künstler – ein gelernter Feinmechaniker, der sich autodidaktisch zum Fotografen weiterbildete – fotografierte am liebsten das Leben der Waadtländer und deren abwechslungsreichen Landschaften. Er beherrschte alle Register, brillierte aber besonders bei der Darstellung seiner Heimatregion. Seine mythischen Fotografien zum Winzerfest 1977 in Vevey sind unvergesslich. Seit 2012 wird sein Fotoarchiv im Musée de l’Elysée aufbewahrt!

monique jacot
Monique Jacot, Morges 1980

Dokumentation von Gesellschaft und politischen Anliegen

Er gehört zu denen, die den Übergang zwischen den goldenen Generationen der Reportage und der modernen plastischen Fotografie gemeistert haben. Zudem hat er die sexuelle Revolution und das Konzept der multiplen Identitäten wohl am besten dokumentiert: Der gelernte Grafiker und Innendekorateur Walter Pfeiffer (geb. 1946) hat die Menschen in seinem unnachahmlichen Stil – zwischen Unmittelbarkeit und Künstlichkeit – wie kein zweiter enthüllt. Nach langen Jahren als Underground-Künstler geniesst der Zürcher heute internationale Anerkennung und verkehrt mit Balthasar Burkhard und anderen grossen Fotografen.

Seine bizarren, bunten Werke bilden eine Art Pendant zum Schaffen der 1934 in Neuenburg geborenen Fotografin Monique Jacot. Mit bekannten Werken wie «Femmes de la terre» oder «Cadences – L'usine au féminin», Fotoreportagen sowie zahlreichen feinfühligen Porträts engagiert sie sich auf elegante und klare Weise für die Sache der Frau. Die Künstlerin dokumentiert darin die Lebens- und Arbeitsbedingungen auf dem Feld und in den Fabriken.

Frauen sind auch das Thema in der Langzeitarbeit von Iren Stehli über die Tschechische Republik, vor allem die in Prag lebende Romafrau Libuna, die sie während Jahrzehnten begleitet hat. Die Zürcher Fotografin dokumentiert die politischen Umwälzungen des Landes unsentimental und meistens von Tag zu Tag.

Ernst Scheidegger
Ernst Scheidegger, Alberto Giacometti, 1958

Sie haben die Grossen der Welt fotografiert

René Burri ist allen Liebhabern der Kunstfotografie ein Begriff, Ernst Scheidegger, der im vergangenen Winter verstorben ist, weniger. Dabei gehörte Ernst Scheidegger zu den ersten Mitarbeitern der mythischen Agentur Magnum und gründete ausserdem einen eigenen Kunstverlag und eine Galerie. 1943 begegnete er in der Rekrutenschule Alberto Giacometti, dessen Leben und Werk er seither bis zum Tod des grossen Tessiner Malers im Jahr 1966 fotografierte.

René Burris Porträt von Ernesto «Che» Guevara mit der Zigarre im Mundwinkel ist weltbekannt. Und Luc Chessex, der im Zeitraum 1969–1979 vierzehn Jahre in Kuba lebte? Im Auftrag des Kulturministeriums fotografierte er den «Líder Máximo» Fidel Castro und Che und dokumentierte die Bilder, die von den charismatischen Figuren der kubanischen Revolution gemacht wurden. Zurück in der Schweiz stellte der Lausanner Fotograf sein Talent in den Dienst der humanitären Sache, z. B. des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz. In jüngerer Vergangenheit setzte er sich brillant mit dem Multikulturalismus auseinander.

René Burri, der alle historischen Umwälzungen des 20. Jahrhunderts verewigt hat, begann seine Laufbahn (in deren Rahmen er Persönlichkeiten wie Picasso und Le Corbusier fotografierte) schon früh, als Dreizehnjähriger: Mit der Kamera seines Vaters fing er Winston Churchill auf dessen kurzem Besuch in Zürich im Auto ein. Dank der 2013 gegründeten eigenen Stiftung konnte er seinen Bestand von 30‘000 Bildern dem Muséee de l’Elysée vermachen, kurz bevor er nach langer Krankheit verstarb. Der grosse Fotograf hinterlässt ein schier unermessliches und zeitloses Erbe.