Stallions held in group on pasture

Der Freiberger: 100% schweizerisch

Das Schweizerische Nationalgestüt (SNG) setzt sich seit 120 Jahren für die Förderung der einheimischen Pferdetraditionen ein und spielt eine zentrale Rolle in der Pferdeforschung. Seit 2008 gehört das Gestüt zu Agroscope, dem Kompetenzzentrum des Bundes für landwirtschaftliche Forschung. Seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter engagieren sich vor allem für Projekte zur Förderung des Freibergerpferds, das Teil des Schweizer Kulturerbes ist.

Die Rasse ist vor zwei Jahrhunderten im Schweizer Jura entstanden. Ursprünglich wurde der Freiberger in der Landwirtschaft eingesetzt, heute ist er bei Liebhabern des Freizeitreitens und Freizeitfahrens wie auch bei Wettkampfsportlern gleichermassen beliebt. Der Freiburger wird als einzige Schweizer Pferderasse vom Nationalgestüt in Avenches am Murtensee unterstützt. Die Forscherinnen und Forscher aus den unterschiedlichsten Disziplinen – Agrarwissenschaften, Biologie, Veterinärmedizin, Genetik – haben ein gemeinsames Ziel: Sie wollen die Probleme in der Praxis lösen, das Tierwohl fördern und ihr Wissen weitergeben. 

Am Pferd fixierte Logger messen automatisch das Bewegungsverhalten

Die Forschungsgruppe des Gestüts umfasst zwei Teams, wie die stellvertretende Forschungsgruppenleiterin Iris Bachmann erklärt: «Die erste Gruppe befasst sich mit den Themen Pferdehaltung und Ethologie, das heisst Verhaltensforschung, die zweite Gruppe mit Zucht und Genetik, vor allem der Freibergerrasse.» Was aber machen die beiden Teams konkret?

DNA-Analysen zur Hengstselektion, aber nicht nur...

Dank der rund 80 Hengste und Stuten verschiedener Rassen stehen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Gestüts immer in direktem Kontakt zu den Pferden. Forschungsgruppenleiter Ruedi von Niederhäusern erklärt: «Wir haben rund 50 Freibergerhengste. Der Freiberger ist die einzige Schweizer Pferderasse und gehört daher zum nationalen Kulturerbe. Unser Auftrag besteht darin, die Zucht zu unterstützen, indem wir innovative Selektionsprojekte und Projekte zur Förderung der Rasse von der Zucht bis zur Vermarktung vorschlagen. Zentraler Bestandteil des Programms ist die jedes Jahr stattfindende Selektion der besten Schweizer Zuchthengste. Nach einer Vorselektion aufgrund des Exterieurs werden die schönsten Hengste in Avenches auf ihre Fahr- und Reiteignung geprüft. Dieser Stationstest dauert 40 Tage.» Nur die besten Hengste werden zur Verbesserung und Erhaltung der Rasse verwendet.

Public presentation of the Freiberger at the SNSF
Tag der offenen Tür am Gestüt

DNA-Analysen werden immer wichtiger in der zuchtorientierten Pferdeforschung. Annik Gmel, Doktorandin am Gestüt, untersucht zurzeit die ästhetischen Kriterien der Morphologie und die Gangqualität des Freibergerpferds. Sie beobachtet und beurteilt verschiedene Pferde gemäss diesen Kriterien und vergleicht die Daten danach mit den genetischen Profilen der Tiere. «Ziel ist es, die für die Gangqualität und die typische Morphologie des Freibergers entscheidenden Gene zu finden, um gezielter selektionieren zu können», sagt sie.  

Tierwohl im Vordergrund 

Das Gestüt hat wegweisende Arbeit für die Gruppenhaltung von Hengsten geleistet. «Bei unseren über zehnjährigen Verhaltensstudien haben wir gemerkt, dass die normalerweise getrennt gehaltenen Hengste eigentlich gut in Gruppen gehalten werden können, sofern gewisse Bedingungen erfüllt sind», sagt Iris Bachmann. Die Hengste interagieren auf der Weide, was wertvolle Gelegenheiten zu ihrer Beobachtung bietet: «Dies ermöglicht neue Erkenntnisse für die Zucht, die Verbesserung der Haltung, das Stressmanagement der Tiere, namentlich bei Wettbewerben, denn Freiberger kommen vor allem in der Dressur zum Einsatz. Zudem bietet Smart Farming unzählige Möglichkeiten, das Verhalten von Pferden besser zu verstehen! So sind einige Pferde seit einem Jahr mit Sensoren ausgestattet, die Bewegung und Verhalten messen.» Die dadurch gewonnenen Daten werden ergänzt durch die Beobachtung der Tiere durch die Forscherinnen und Forscher. Alle diese Informationen werden anschliessend von Computern mit künstlicher Intelligenz (Machine Learning) ausgewertet, die aufgrund von Algorithmen Korrelationen herstellen. In der Folge erkennt das System beispielsweise die Rasse, das Geschlecht und sogar die Persönlichkeit eines Pferds. Dank der Entwicklung neuer Algorithmen wird der Computer Anzeichen von Stress oder Schmerz in Zukunft besser erkennen können als der Mensch: Eine Filmaufnahme des Pferds genügt.

Wichtige Charakterforschung beim Freiberger

Die Ethologie, das heisst die Erforschung der Psychologie und des Verhaltens von Pferden, bildet einen Schwerpunkt der Forschungsgruppe. Gegenwärtig arbeitet sie an einer Studie, für die Daten von Eigentümerinnen und Eigentümern von Freibergerpferden erhoben wurden. Die Besitzer liefern Informationen zu ihren eigenen Charaktereigenschaften sowie zu denjenigen ihrer Pferde. Zudem beschreiben sie auch ihre Beziehung und ihr Einvernehmen mit dem Pferd. Nach der Zusammenstellung der Daten hoffen Iris Bachmann und ihr Team, die kompatiblen Persönlichkeiten bei Pferd und Käufer bestimmen zu können.

Die wissenschaftliche Mitarbeiterin Anja Zollinger erklärt das Vorgehen: «Dass wir diese Verhaltensforschung beim Freiberger durchführen, liegt vor allem daran, dass diese Rasse einen sanftmütigen Charakter hat, was sie zum idealen Freizeitpferd macht. Wir versuchen also, das Temperament besser kennenzulernen, um diese positiven Eigenschaften besser hervorheben und nutzen zu können.» Im Hinblick auf die Förderung des Freibergers hat das Gestüt vor kurzem zusammen mit dem Schweizerischen Freibergerverband eine Strategie zur Sensibilisierung der Öffentlichkeit erarbeitet. 

Freiberger performing at the SNSF
Freiberger-Zweiergespann an einer Veranstaltung des Gestüts

Wissenstransfer und Kooperationen 

Das Nationalgestüt ist von unschätzbarem pädagogischem und akademischem Wert. Die Forschergruppe, die zu einem grossen Teil aus Doktoranden, Masterstudenten und Praktikanten besteht, arbeitet auch mit anderen nationalen und internationalen Institutionen zusammen. «Wie alle anderen Forschungseinrichtungen brauchen wir Drittmittel, wenn wir Projekte realisieren, Doktorandinnen und Doktoranden einstellen und publizieren wollen», sagt Iris Bachmann. Der Wissenstransfer, eine der Hauptaufgaben des Gestüts, beschränkt sich nicht auf wissenschaftliche Publikationen. Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unterrichten auch an Universitäten, technischen Hochschulen und Berufsschulen und geben Kurse für Reiter und Pferdebesitzer. Am Gestüt selber werden regelmässig Tage der offenen Tür und Wettbewerbe durchgeführt.
 

Competition at the SNSF
Demonstration von Verhaltenstests mit einem Zuchthengst

Die Arbeit der Forscherinnen und Forscher am Nationalgestüt dient der Praxis und der Förderung der Schweizer Pferdetradition. Damit spielt das Gestüt eine zentrale Rolle für die Akteure der Pferdewelt und erfüllt einen einzigartigen Auftrag in der Schweizer Kulturlandschaft.