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Unterwegs mit Gori – vom Tessin in die USA

Im Rahmen der Woche der italienischen Sprache in der Welt folgen wir den Spuren von Gori, dem Hauptdarsteller im Roman des Tessiner Schriftstellers Plinio Martini «Nicht Anfang und nicht Ende». Gori verlässt sein Tal, um in den USA sein Glück zu finden. Seine Geschichte steht beispielhaft für die von vielen Landsleuten, die in fremde Länder zogen, um ihren Träumen zu folgen: Auf der Webseite OltreconfiniTi wurden ihre Geschichten zusammengetragen.

Wussten Sie, dass im Bundesstaat Victoria im Südosten Australiens seit 1993 jährlich die «Swiss & Italian Festa» gefeiert wird, um an die Tessiner Wurzeln vieler Australierinnen und Australier zu erinnern? Oder haben Sie schon von der Stadt Ticino in der argentinischen Provinz Córdoba gehört, die 1911 von einem Tessiner aus Mendrisio mitgegründet wurde? Ob Begegnungen, Ortsnamen oder Traditionen, sie alle zeugen von den Tessiner Auswanderern nach Übersee. Ihre Geschichten inspirierten auch die Literatur.

Zu diesen Geschichten gehört jene von Gori, der zentralen Figur in Plinio Martinis Roman «Nicht Anfang und nicht Ende», der in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts spielt. Gori verlässt sein Dorf im Bavonatal, um in den USA sein Glück zu suchen. Viele Jahre später kehrt er ins Tessin zurück. Es ist eine von Heimweh geprägte Geschichte der Auswanderung, wie sie wohl viele Schweizerinnen und Schweizer erlebt haben, die in jenen Jahren ihre Heimat verliessen auf der Suche nach dem amerikanischen Traum oder schlicht einem besseren Leben – sicherlich kein einfacher Entscheid.

Plinio Martini a Foroglio in Val Bavona insieme al figlio Alessandro (1964). © Archivio di famiglia di Plinio Martini

Das Buch beschreibt den kargen Alltag im Bavonatal, der geprägt ist von der Arbeit auf den Feldern, die kaum genug zum Leben hergeben, und einer unwägbaren Natur. Auswandern nach Übersee war oft die einzige Aussicht auf ein besseres Leben. Gori lässt seine Arbeit im Bergtal, seine Familie und seine geliebte Maddalena zurück, um in das Land seiner Träume aufzubrechen. Der 1970 erschienene Roman wurde mit Begeisterung aufgenommen. Plinio Martini gehört auch heute noch zu den bekanntesten Schweizer Autoren des 20. Jahrhunderts – nicht nur in der italienischsprachigen Schweiz. Sein Buch wurde in verschiedene Sprachen übersetzt, darunter Deutsch, Französisch, Finnisch, Katalanisch, Albanisch, Serbisch und 2023 auch ins Englische, aus Anlass seines 100. Geburtstags.

Gori è il protagonista del romanzo «Il fondo del sacco», dal 2023 disponibile anche in inglese in versione ebook. © Edizioni Casagrande
Gori ist der Protagonist im Roman «Nicht Anfang und nicht Ende», der 2023 auch als eBook in englischer Sprache erschienen ist. © Edizioni Casagrande

 

Möglicherweise sind die Gründe für das grosse Interesse an diesem Buch das Motiv der Reise und die persönlichen Erlebnisse von Gori. Die Leserinnen und Leser teilen den Wunsch oder die Notwendigkeit, die Heimat zu verlassen und fremde Länder zu entdecken. Wie hat sich die Auswanderung aus dieser Region der Schweiz im Laufe der Zeit verändert? Wer folgte Goris Traum? Auf der Website des Kantons Tessin befindet sich die Plattform OltreconfiniTi, die Hintergrundinformationen über die Tessiner Diaspora enthält. Sie lädt uns ein, gemeinsam Grenzen zu überschreiten.

Zur Auswanderungsgeschichte der italienischsprachigen Schweiz

Argentinien, Chile, Kalifornien, Russland: Dies sind nur einige der Länder, in die Tessinerinnen und Tessiner ab dem 19. Jahrhundert ausgewandert sind, darunter die Familien Ceppi und Botta-Galli. Auch heute gibt es in Nueva Helvecia, einer Stadt, die 1862 in Uruguay gegründet und rasch zu einem Begegnungsort für Schweizer Auswanderer wurde, einen «Supermercado Helvético».

Due svizzeri posano per una foto davanti all’Hotel Suizo a Nueva Helvecia in Uruguay nel 2012, in occasione dei 150 anni dalla fondazione della città. © Keystone /AP Photo/Matilde Campodonico
Zwei Schweizer posieren vor dem Hotel Suizo in Nueva Helvecia in Uruguay im Jahr 2012 – anlässlich des 150-Jahr-Jubiläums der Stadtgründung. © Keystone /AP Foto/Matilde Campodonico


OltreconfiniTi bietet viele solcher Trouvaillen. Die Plattform dokumentiert die verschiedenen Tessiner Auswanderungswellen von ihren Anfängen bis in die heutige Zeit. Wer mehr über die eigene Herkunft erfahren will, wird hier fündig. «Die Plattform wurde 2013 lanciert», sagt Mattia Bertoldi, Koordinator von OltreconfiniTi, «und danach erweitert und aktualisiert. Sie beleuchtet die Tessiner Diaspora aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Sie enthält über 600 Biografien von Auswanderinnen und Auswanderern sowie Hintergrundinformationen zu Gebäuden, die von den Rückkehrenden mit dem im Ausland verdienten Geld errichtet wurden. Hinzu kommen Analysen zu Werken und Personen, die dem Tessin internationale Visibilität verliehen, zum Beispiel Filme mit Drehorten im Tessin (namentlich der legendäre Sprung von James Bond vom Verzasca-Staudamm im Film ‹GoldenEye›) oder Persönlichkeiten, die im Tessin ein neues Zuhause fanden (u. a. Hermann Hesse, Autor von Siddharta).»

Mit dem ersten Klick auf der Webseite beginnt eine Zeitreise. Wenden wir uns der Architektur zu. Zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert waren viele Tessiner massgeblich am Bau von Palästen, Kirchen und Festungen in ganz Europa beteiligt, unter ihnen Francesco Borromini, einer der wichtigsten Vertreter der Barockarchitektur. Einflussreich waren auch die «Grigioni italiani» und die «Magistri Moesani», Baumeister, die insbesondere in Bayern, Polen und Österreich tätig waren.

La prospettiva di Borromini a Palazzo Spada a Roma. © KEYSTONE/imageBROKER/Petr Svarc
Blick auf die «Perspektive von Borromini» in einem Hof des Palazzo Spada in Rom. © KEYSTONE/imageBROKER/Petr Svarc


Mit einem zweiten Klick gelangen wir ins 19. Jahrhundert, eine Zeit des grossen Exodus. Viele Tessiner Auswanderer suchten damals ihr Glück in fernen Ländern. Der Goldrausch in Kalifornien und Australien lockte vor allem Tessinerinnen und Tessiner aus Locarno und dem Maggiatal nach Übersee. Nach dem Ende des Goldrauschs kehrten einige Auswanderer mit ihren Einkünften zurück, während andere blieben und Arbeit im Ackerbau, in der Viehzucht oder im Weinbau fanden.

Der Ausbau des Verkehrssektors im 20. Jahrhundert hatte auch Auswirkungen auf die Auswanderung. So fanden viele eine neue Heimat im Land, das sie für Arbeits- oder Studienzwecke ausgewählt hatten. In den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg gingen die Migrationsströme nach Lateinamerika, in die USA oder nach Australien zurück. Es wird immer schwieriger, den Spuren der Ausgewanderten der italienischen Schweiz, aber auch der übrigen Schweiz zu folgen. Ein roter Faden, den wir auch in Goris Geschichte finden, ist der Wunsch, zu neuen Ufern aufzubrechen, gleichzeitig aber mit dem Heimatland verbunden zu bleiben. Heute ist dies dank moderner Technologien möglich.

Mit der Schweiz in Kontakt bleiben: dank Fernsehsendungen und Apps

OltreconfiniTi öffnet ein interessantes Kapitel zum Thema Heimat und Nostalgie. In den 1960er- und 1970er-Jahren strahlte die damalige TSI (Televisione Svizzera italiana, heute RSI) nicht weniger als elf Ausgaben der Sendung «Riuniti per Natale» (wiedervereint zu Weihnachten) aus. Diese Reportagen über das Leben von Tessiner Auswanderern stehen heute im Archiv zur Verfügung. Diese damals beliebte Sendung brachte Bilder aus der ganzen Welt in die Tessiner Stuben und stärkte das Gefühl der Verbundenheit zwischen Zurückgebliebenen und Ausgewanderten, ob nah oder fern.

Heute reisen wir häufiger und schneller. Wie ist es da noch möglich, den Kontakt zur Schweiz aufrechtzuerhalten? Eine einfache Lösung bietet die App «SwissInTouch», die jederzeit griffbereit ist. Dank dieser App erhalten Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer über eine moderne Plattform relevante Informationen ihrer Schweizer Vertretung vor Ort, der zentralen Einheiten des EDA oder anderer institutioneller Partner. Über diese Plattform werden auch Beiträge zur italienischen Sprache und Kultur veröffentlicht. So wurde über die Übersetzung des Romans von Plinio Martini – «Il fondo del sacco» (auf Deutsch «Nicht Anfang und nicht Ende») – ins Englische berichtet. Mit dieser eBook-Ausgabe unter dem Titel «Rock Bottom» wird weltweit eine breite Leserschaft angesprochen.
 

Im Jahr 2022 überstieg die Zahl der Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer erstmals die Marke von 800’000. © Bundesamt für Statistik
Im Jahr 2022 überstieg die Zahl der Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer erstmals die Marke von 800’000. © Bundesamt für Statistik


Im Jahr 2022 waren gemäss Bundesamt für Statistik mehr als 800’000 Schweizerinnen und Schweizer bei einer zuständigen Schweizer Vertretung im Ausland registriert. Die Auslandschweizergemeinschaft ist in den letzten Jahren gewachsen und ist heute punkto Bevölkerung mit dem viertgrössten Kanton der Schweiz vergleichbar. Nicht nur die Zahl der Auswanderer hat sich verändert, sondern auch die Art der Auswanderung: Immer mehr Schweizerinnen und Schweizer verbringen heute eine gewisse Zeit im Ausland und kehren danach in die Schweiz zurück oder ziehen in ein Drittland weiter. Die Verbundenheit mit der Schweiz und dem Heimatkanton, bei Gori der enge Bezug zu seinem geliebten Bavonatal, ist jedoch nach wie vor stark.

Cover-Bild: 
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Die Woche der italienischen Sprache in der Welt
Die Woche der italienischen Sprache in der Welt, die auf eine Idee des italienischen Aussenministeriums zurückgeht, findet jedes Jahr im Oktober statt. Auch die Schweiz – mit Unterstützung ihrer Auslandvertretungen – macht bei dieser Initiative mit, um die italienische Sprache, eine ihrer Landessprachen und kulturellen Identitäten, ins Rampenlicht zu rücken.
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