Die Garaventas, eine Schweizer Seilbahnlegende
Die Familie Garaventa gehört wie die Gründer von Maggi oder Nestlé zu den Wirtschaftspionieren der Schweiz mit Wurzeln in der Migration. Die Firma ist heute Weltmarktführerin im Seilbahnbau.
Das Fun'ambule in Neuchâtel, die hochmoderne Hightech-Standseilbahn auf dem Stoos (SZ); die doppelstöckige Cabrio-Bahn auf das Stanserhorn; die Seilbahn der Superlative – mit dem weltweit grössten Höhenunterschied und dem längsten freien Spannfeld zwischen den Stützen – auf die Zugspitze (3000 m ü.M., Deutschland); das «Lufttram» in Portland, Oregon (USA); die doppelstöckige XXL-Pendelbahn über die Halong-Bucht (230 Passagiere pro Kabine, Vietnam); die Drehkabine des Titlis. Alle diese Anlagen tragen das gleiche Signet: Garaventa.
Die abenteuerliche Geschichte des Unternehmens mit Sitz in Arth-Goldau in der Zentralschweiz erinnert an andere Schweizer Wirtschaftspioniere. Wie bei Julius Maggi, Henri Nestlé oder Nicolas Hayek, die alle namhafte Schweizer Unternehmen hervorgebracht haben, spielt die Migration bei dessen Entstehung eine zentrale Rolle. Der im Norden der Provinz Genua aufgewachsene Giuseppe Garaventa, der weder lesen noch schreiben konnte, kam Ende der 1850er-Jahre als Saisonarbeiter in die Schweiz. Einer seiner Brüder wanderte in die Vereinigten Staaten aus, wo seine Tochter einen gewissen Frank Sinatra zur Welt brachte. In der Schweiz arbeitete Giuseppe als Mineur, als Tunnelbauer – er wirkte unter Louis Favre am Bau des ersten Gotthardtunnels mit – und später als Gleisbauer. Während eines Bauprojekts für eine Zahnradbahn, bei dem er Sprengarbeiten durchführte, lernte er seine zukünftige Frau kennen, die ihm vier Kinder schenken sollte. Er wurde in der Zentralschweiz heimisch und liess seinen Vornamen zu «Josef» eindeutschen. Er starb 1917 im Alter von 81 Jahren.
Tourismus als Triebfeder
Sein Sohn Karl begeisterte sich für Technik. Er baute Pumpen, Pressen und Motorräder. Als Forstunternehmer arbeitete er auf dem wohl berühmtesten Berg der Region, der Rigi. Karl Garaventa merkte bald, wie gefährlich die Arbeit in steilem Gelände sein konnte. Nachdem er 1920 das Schweizer Bürgerrecht erworben hatte, begann er, Holzseilbahnen zu bauen. Die ersten Anlagen waren rudimentär. Aber er tüftelte pausenlos daran herum. Im Jahre 1943 baute er die bestehende Materialtransportbahn Brunni-Holzegg im Alptal in eine Personenbahn um. Seine beiden Söhne, Karl Junior (geboren 1922) und Willy (1934), begleiteten ihn häufig bei seiner Arbeit. 1956 übernahmen sie den Betrieb und gründeten die Kommanditgesellschaft Karl Garaventas Söhne. «Das Unternehmen wuchs schnell, wir erhielten viele Aufträge von Transportunternehmen», erinnert sich der heute 85jährige Willy Garaventa, dessen Biografie in 2019 in der Deutschschweiz veröffentlicht wurde.
Der Aufschwung des Tourismus ab den 1950er-Jahren brachte einen Wachstumsschub: Garaventa errichtete zahlreiche Luftseilbahnen, Gondeln und Skilifte in der ganzen Schweiz. Auch im Ausland machte sich die Zentralschweizer Firma einen Namen. Als ersten grossen Auftrag installierte sie 1964 einen schwenkbaren Kabelkran am Nil in Ägypten. Dann klopften die Amerikaner an. Der kalifornische Wintersportort Squaw Valley in der Sierra Nevada war 1960 Austragungsort der Olympischen Winterspiele. Der Ort boomte. Die Brüder Garaventa erhielten den Auftrag, eine neue Luftseilbahn zu bauen, welche die Gäste auf 2500 Meter Höhe bringt. Die Squaw-Valley-Luftseilbahn wurde an Weihnachten 1968 eingeweiht. Um die Belastbarkeit der Anlage zu demonstrieren, wurde ein junges Elefäntchen namens Bertha an Bord der Kabine gebracht. Dieser PR-Stunt wurde einige Jahre später in Bayern mit einem anderen Elefanten wiederholt.
Seilbahnen im urbanen Raum
Der Durchbruch am Weltmarkt war geschafft. Fortan bauten die Garaventas auf der ganzen Welt: von Grönland über Kanada und Salt Lake City bis nach Vietnam. Im Jahr 1989 starb Karl Junior und Willy führte die Firma alleine weiter. 1993 zog auch er sich aus gesundheitlichen Gründen aus der Firma zurück. Da keine seiner beiden Töchter in seine Fussstapfen treten wollte, übernahmen zwei Kaderangestellte die Leitung des Unternehmens. Im Jahr 2002 fusionierte die Firma Garaventa mit dem österreichischen Unternehmen Doppelmayr. Die Doppelmayr-Garaventa-Gruppe ist heute der Weltmarktführerin im Seilbahnbau. Wie hat Willy Garaventa diese Annäherung erlebt? «Ich hatte gemischte Gefühle. Aber ich war auch erleichtert, weil wir Doppelmayr gut kannten, und ich bin froh, dass es die Gruppe noch gibt», sagt er.
In der Geschichte von Garaventa gab es aber auch schwierige Zeiten. Es kam zu Unfällen. Ein Unfall ist immer ein Drama, und Willy hat jeden in schmerzlicher Erinnerung. In den 1970er-Jahren sah sich das Unternehmen mit der Insolvenz eines Kunden konfrontiert, der eine Seilbahn im bayerischen Hochfelln bestellt hatte. «Aber er war zahlungsunfähig geworden», erinnert er sich. Da nahmen die beiden Brüder das Heft selbst in die Hand, konnten einen Konkurs knapp verhindern, klopften an die Türen der Banken, erhielten Kredite und schossen ihr persönliches Vermögen ein. Nach zehn turbulenten Jahren konnte die Seilbahn in Bayern endlich realisiert werden.
Doppelmayr-Garaventa ist dank seiner kontinuierlichen Innovationskraft technologisch ganz vorne dabei. «Mein Bruder und ich haben immer auf Innovation gesetzt, und ich glaube, wir verstanden es, uns mit den richtigen Leute zu umgeben», hält Willy Garaventa fest. Er hat auch neue Geschäftsfelder für die Gruppe im Visier: Seilbahnen im urbanen Raum. «Ich bin überzeugt, dass Seilbahnen Lösungen für die Städte von morgen bieten können», prophezeit er.
* «Willy Garaventa. Biografie des Seilbahnpioniers», von Rebekka Haefeli, 216 Seiten, Verlag Hier + Jetzt, Baden, 2019.
Dieser Artikel von Bernard Wuthrich erschien ursprünglich im Juni 2020 in der Westschweizer Zeitung Le Temps.
https://www.letemps.ch/suisse/schwytz-une-famille-virtuoses-cable
Cover image: Standseilbahn Stoos © Doppelmayr/Garaventa