Die Kuh – eine Schweizer Ikone

Die Kuh – eine Schweizer Ikone

Die Kuh ist in der Schweiz allgegenwärtig, ob als Weidetier vor malerischen Landschaften, als symbolträchtiges Souvenir aus Holz oder als Werbeträgerin. Sie ist das Lieblingstier der Nation, Botschafterin im Ausland und Heimatsymbol. Warum?

Würde man Schweizerinnen und Schweizer nach einem typisch schweizerischen Tier fragen, wäre die Kuh zweifelsohne auch darunter. Denn sie ist in unserem Alltag präsent und Teil des kulturellen Erbes der Schweiz – aus historischen, wirtschaftlichen und emotionalen Gründen ... 

Die Kuh – eine Schweizer Ikone

Historisch, weil ...

«Meiner Meinung nach wäre die Kuh eine gute Kandidatin für das offizielle Nationaltier», sagt Jacqueline Perifanakis. Die Historikerin braucht den Konditional, weil in der Schweiz im Gegensatz zu anderen Ländern nicht nur ein Tier infrage kommt. In der Ausstellung «tierisch schweizerisch» präsentierte das Zürcher Landesmuseum 2018 ein Quartett: die Kuh, das Murmeltier, den Steinbock und den Bernhardiner, die alle für die Schweiz stehen und als Markenzeichen des Landes gelten. Im Wettstreit um das Nationaltier belegte gemäss Museumsumfrage die Kuh hinter dem Bernhardiner mit dem Schnapsfässchen um den Hals den zweiten Platz. «Dies ist wahrscheinlich einerseits auf die Beliebtheit des Hundes als Haustier zurückzuführen und andererseits auf die Tatsache, dass der Bernhardiner eine einheimische Hunderasse ist», meinte die Ausstellungsverantwortliche. «Für viele Schweizerinnen und Schweizer weckt die Kuh ein Zugehörigkeitsgefühl, das eng mit unserer Geschichte verknüpft ist. Seit der Gründung der Schweizer Eidgenossenschaft 1291 spielt sie eine wichtige Rolle. Während der Schlacht von Sempach 1386 war sie Symbol für den Kampf der Eidgenossen gegen die Habsburger, die den Löwen im Wappen trugen», sagt Jacqueline Perifanakis.

Fresque bataille Sempach
Fresko der Schlacht von Sempach
© Roland Zumbühl Fresco: Hans Rudolf Manuel (1525 - 1571), reworked by Hans Ulrich Wägmann (1583 - ca. 1648), Joseph Balmer (1828 - 1918) Quelle
 

Eine historische Gegenüberstellung, die oft belächelt wurde. «Die Schweizer galten zu jener Zeit als reiche Vieh- und Käsehändler, was ihnen das Schimpfwort Kuhschweizer einbrachte. Erst im 16. und 17. Jahrhundert wurden aus den einfachen Kuhhirten vorbildliche Hirten unseres Landes.»

Wirtschaftlich, weil ...

Die Kuh steht dank der Milchwirtschaft für wirtschaftlichen Wohlstand. Seit dem 18. Jahrhundert verkaufen Schweizer Bauern ihre Milchprodukte ins Ausland. «Früher lebten viele Familien von den Einkünften ihrer Kühe, namentlich von Milch, Fleisch und Leder, und wurden damit reich», erklärt Blaise Maître von der Dienststelle für Landwirtschaft des Kantons Wallis. «Insbesondere in den Bergkantonen, wo es vor dem Bau der Staudämme kaum Arbeitsmöglichkeiten gab.» Eine gewinnbringende Arbeit, auf die die Bevölkerung stolz war und die dem Tier einen Platz in der Volkskunst einräumte. So wurde die Kuh zum Beispiel zu einem Motiv des Alpaufzugs und zu einem Holzspielzeug für Kinder.

poya charmey
Der Alpaufzug von Charmey, Fribourg

 

Rinder spielen nach wie vor eine wichtige Rolle in der Schweizer Landwirtschaft. «Die Kuh ist das wichtigste Tier. Die Hälfte der verkauften Tiere sind Kühe», sagt Matthias Schelling, Präsident der Arbeitsgemeinschaft Schweizerischer Rinderzüchter. «Die Kuh ist ein werbewirksames Tier, viel mehr als das Schwein. Sie wird nicht nur wegen ihres sympathischen Images, sondern auch wegen ihrer Milchprodukte geschätzt. Ohne sie gäbe es weder Milch und Käse noch Schokolade.» Eine Schweiz ohne Kühe wäre undenkbar, werden in unserem Land doch jährlich 370kg Milchprodukte pro Person konsumiert. «2017 stellte die Schweiz 3,4 Millionen Tonnen Milchprodukte her. Fast die Hälfte der Milch wird zu Käse verarbeitet», präzisiert Reto Burkhardt, Kommunikationsverantwortlicher von Swissmilk. «Die Essgewohnheiten ändern sich. Heute wird weniger Milch getrunken, dafür werden mehr verarbeitete Produkte wie Käse und Milchdrinks konsumiert. Der Umsatz der Schweizer Milchwirtschaft liegt jährlich bei über 10 Milliarden Franken. Die Schweizer Kühe haben also einen starken Einfluss auf die Volkswirtschaft des Landes.

Emotional, weil ...

«Wir Schweizerinnen und Schweizer mögen Kühe, weil sie für viele von uns im Alltag sehr präsent sind. Wir haben eine besondere Beziehung zu ihnen, weil sie Erinnerungen an die Kindheit, das Chalet oder die Alp wecken», erklärt der Walliser Blaise Maître. «Das berühmte Hirtenlied ‹Ranz des vaches›, auch Lioba genannt, das beim Alpaufzug im Frühjahr und beim Alpabzug Ende Sommer gesungen wird, löst bei mir immer wieder Gänsehaut aus, ebenso die Kuhkämpfe. Den Ehringerkühen zuzuschauen, wie sie gegeneinander kämpfen, um in der Herde die Rangordnung auszumachen, ist immer ein besonderes Spektakel.»

battle of herens cow
Rinderkampf von Hérens

 

Für Reto Burkhardt steht die Kuh für Heimat, Tradition und Schweizer Kulturerbe. «Jede Schweizer Familie hat mindestens eine Generation oder Verwandte in der Landwirtschaft. Aus diesem Grund bedeuten uns Kühe so viel», ergänzt er. «Die Kuh steht für Werte wie Arbeit, Tradition und Familie, oder aber sie erinnert uns an die Berge und malerische Landschaften. Im Wallis wird der Charakter einer Kuh oft mit demjenigen der Bewohner verglichen», sagt Blaise Maître.

Der Tourismus und die Werbebranche nutzen die Kühe als Botschafterinnen. «Wenn man mit einem Ausländer über die Schweiz spricht, sind Uhren, Käse und Schokolade Teil des Gesprächs», sagt Reto Burkhardt. Das sympathische Image der Kuh wird für Marketingzwecke im Tourismus und im Branding genutzt. Ein gutes Beispiel ist Lovely, die berühmte Werbekuh von Swissmilk, die steppt, dribbelt und von der Skisprungschanze springt.

Aus all diesen Gründen ist die Schweizer Kuh eine nationale und internationale Ikone. Diese symbolische Beziehung wollen die 700,000 in der Schweiz registrierten Kühe sicher nicht mit ihren Klauen treten.