Die neue Schweizer Rockszene
Die aktuelle Rockszene reicht vom Tessin über St. Gallen bis Genf und ist ebenso aktiv wie vielfältig. Ein Überblick über Schweizer Gruppen, die rocken.
Peter Kernel
Eine unerschütterliche Glaubwürdigkeit, ein DIY-inspiriertes Arbeitsethos und ein wachsendes Renommee: Das 2005 gegründete Duo der Kanadierin Barbara Lehnhoff und des Tessiners Aris Bassetti, das auf den Spuren grosser Noise-Gruppen wie Sonic Youth oder Pixies wandelt, fand Anfang des Jahrzehnts geradezu explosionsartig zum Erfolg. Die von einem renommierten Avantgarde-Label – African Tapes – umworbene und überall in Europa eingeladene Tessiner Formation liefert intensiven Schlagzeugrock ohne Konzessionen. Der Band, die man unbedingt auf der Bühne oder auf Video sehen sollte, gelingt fast alles, was sie sich vornimmt.
Bonaparte
Der geborene Performer und Exzentriker, der neben der Bühne vollkommen unauffällig auftritt, der bunte und oft selbstgebastelt wirkende Musik schreibt, aber auch Komponist und Gastdozent am klassischen Mozarteum in Salzburg und der Zürcher Hochschule der Künste ist: Die Figur des Bonaparte ist voller Widersprüche. Tobias Jundt, der jung gebliebene Vierzigjährige, verfügt über ausserordentliche musikalische Fähigkeiten und schreckt vor keinem Wagnis zurück. Der Berner ist in Berlin, wo er mittlerweile stationiert ist, ein richtiger Star. Deshalb hat er in Neuseeland die Ruhe gesucht, um sein letztes Album, «The Return of the Stravinsky Wellington» (2017), aufzunehmen.
The Animen
Die Westschweizer Überraschung der letzten Monate! Vom Rock'n Soul inspiriert vertritt diese junge Genfer Gruppe musikalisch einen hundertprozentig analogen und handwerklichen Ansatz, der an frühere Zeiten erinnert. Das letzte Album der Genfer Gruppe, «Are We There Yet?», wurde in einem kleinen zum Studio umgebauten Holzhaus in Nashville realisiert und ist voll roher Energie und Ehrlichkeit. Ihr Garagenrock hat schon zahlreiche Veranstaltungsorte im In- und Ausland zum Kochen gebracht, insbesondere anlässlich ihrer Tournee 2017 in China. Die Fans von Creedence Clearwater Revival und Otis Redding bereiten gerade ein neues Album vor.
Panda Lux
«Panda Lux: Die Band, die bei Schweizern unbeliebt ist», wie das Schweizer Fernsehen 2015 schrieb. Die Band aus Rorschach, einer kleinen St. Galler Gemeinde am Bodensee, ist in Deutschland so beliebt, dass man meinen könnte, sie sei deutsch. Die Mitglieder von Panda Lux kennen sich seit Kindesbeinen und zeigen viel Geduld: Für ihr erstes Album «Versailles», das 2017 veröffentlicht wurde, brauchten sie zehn Jahre. Es besteht aus ausschliesslich deutsch gesungenen Popsongs. Das Album ist lange gereift und sollte es dem Quartett erlauben, sich nun auch im eigenen Land durchzusetzen. Der beste Beweis dafür ist ihr triumphales Konzert am Openair St. Gallen.
Faber
Wie soll man Faber beschreiben? Der Zürcher Musiker mit italienischen Wurzeln ist erst 23, könnte aber leicht als doppelt so alt durchgehen. Er sagt, er sei mit volkstümlichen Liedern aus Sizilien aufgewachsen, aber auch mit französischen Chansons, Polkas und amerikanischem Folk. Und das ist noch nicht alles: Wie auf dem Cover seines Debütalbums – «Sei ein Faber im Wind» (2017) –, wo er sich nonchalant mitten in einem typisch schweizerischen Orchester präsentiert, mischt Julian Pollina zahlreiche Musikgenres und singt seine deutschen Texte «mit Herz, Hirn und Humor», wie das legendäre deutsche Magazin «Spex» schrieb. Ein junger Sänger mit einer einzigartigen musikalischen Vision in der Schweiz.
Disco Doom
In ihrer zwanzigjährigen Karriere haben die Bandmitglieder von Disco Doom mit Spitzenacts wie Lou Barlow (Bandleader von Sebadoh), Deerhoof, Giant Sand, Built To Spill und Dinosaur Jr. gespielt. Das seit 1996 aktive Duo aus Anita Rufer und Gabriele De Mario ist eine der Stützen der Schweizer Indie-Szene, tritt aber auch erfolgreich im Ausland auf, insbesondere in den USA. Zwischen Noise, Popmelodien und psychedelischen Höhenflügen agiert die unverklemmteste Schweizer Band auf der Bühne geradezu entfesselt. Nach dem letzten Album der Zürcher, dem aufsehenerregenden «Numerals» von 2014, wartet man nun ungeduldig auf den Nachfolger.
Puts Marie
Das Schweizer Comeback der letzten Jahre! Nach vielversprechenden Anfängen in den 2000er-Jahren wurde es zehn Jahre still um die Bieler Formation, und man dachte, sie sei definitiv von der Bildfläche verschwunden. Mit ihrem überraschenden Comeback 2013 nach mehreren rätselhaften Geschichten und mit einer aufsehenerregenden Platte («Masoch») im Gepäck haute Puts Marie das anspruchsvolle Publikum von Festivals wie dem Eurosonic in den Niederlanden, den Transmusicales in Rennes, dem Printemps in Bourges und The Great Escape in Brighton geradezu um. Unter der Führung des Sängers Nick Porsche ging die Gruppe wieder auf Tournee und überzeugte auch die grössten Rockkritiker. Der Schlüssel zu ihrem Erfolg? Totale künstlerische und instrumentale Freiheit!
Und viele andere mehr
Mehrere andere Gruppen haben zum Reichtum und zur Vielfalt der Schweizer Szene beigetragen: die Neuenburger Rambling Wheels (fünf Alben, 500 Konzerte seit 2003 und gerade kürzlich eine Rockoper, die von H. G. Wells' «Krieg der Welten» inspiriert ist), die Luzerner Indierockband Dans la Tente (drei Alben), das Bieler Poprocktrio Pegasus, das mehrfach mit Platin und Gold sowie drei Swiss Music Awards ausgezeichnet wurde, das Genfer Rocktrio Adieu Gary Cooper, das mit seinem «French Noise Pop» insbesondere in Frankreich einen Blitzerfolg feierte, der Crooner, Spitzbube und Star der Berner Szene Bubi Rufener, der sich unter anderem in der bahnbrechenden Formation Bubi Eifach betätigt, der Zürcher Glamkünstler Fai Baba, die wandelbaren Musiker Louis Jucker (La Chaux de Fonds) und Monoski (Freiburg), die Genfer Neohippies von Magic & Naked oder die Blueser von Duck Duck Grey Duck, die Lausanner Noisekünstler der Bombers, die Vintage-Band The Mondrians oder die Hillbilly Moon Explosion. Schweizer Rock hat für alle etwas. Sie haben die Wahl!