Schweizer Regionalprodukte: die Wiederauferstehung der Grünen Fee
Das Val-de-Travers, die Geburtsstätte des Absinths, ist untrennbar mit diesem lange verbotenen Regionalprodukt verbunden. Ein Informationszentrum in Môtiers (NE) gibt einen Einblick in die bewegte Geschichte des Absinths, den einige Produzenten mit einer Geschützten Geografischen Angabe (GGA) schützen möchten. Fokus auf ein Kultgetränk mit bewegter Vergangenheit!
Der Name Absinth leitet sich von der lateinischen Bezeichnung für Wermut, Artemisia absinthium, einer bitter schmeckenden Heilpflanze, ab. Der regionaltypische Absinth – auch «Fée verte» (Grüne Fee) und «La Bleue» genannt – hat seinen Ursprung im Val-de-Travers, einer Talschaft im Neuenburger Jura, nahe der Grenze zu Frankreich. Er wird jedoch seit jeher in Destillerien beidseits der Grenze hergestellt. Nach fast hundertjährigem Verbot (und entsprechendem Schwarzhandel) ist der Absinth seit 2005 wieder legal erhältlich. Heute wird er von rund zwanzig Kleindestillerien im Val-de-Travers im Neuenburger Jura produziert.
Das erste Rezept wurde angeblich in der Mitte des 18. Jahrhunderts von einer Frau namens «Mère Henriod» erfunden, welche die verdauungsfördernden Eigenschaften des Wermuts nutzen wollte. Das durch Destillation gewonnene alkoholische Getränk enthält zwingend die drei Kräuter Wermut, Anis und Fenchelsamen. Dazu kommen je nach (oft geheimem) Rezept weitere Gewürzkräuter wie grüner Anis, Melisse und Ysop.
Die Grüne Fee, Muse der Künstler
Im 19. Jahrhundert verdankte der Absinth sein Renommee den Künstlern und Literaten, die ihn konsumierten und in ihren Werken verewigten. Er wurde zum Modegetränk in Paris, der damaligen Hochburg der Künste: Gauguin und Baudelaire sind nur zwei der bekannten Persönlichkeiten, die dem Absinth zusprachen. Das zunächst teure Getränk erlangte grosse Popularität und das damit verbundene Ritual begeisterte alle Schichten der Gesellschaft. In den Cafés schlug die grüne Stunde: Die Anhänger des Getränks versammelten sich um Absinthfontänen, deren Wasser tropfenweise auf ein Stück Zucker durch einen gelochten Silberlöffel herabtropfte.
Der Mythos vom Schnaps, der verrückt macht
Der Aufstieg des Absinths erzeugte auch Misstrauen, und die Grüne Fee machte sich Feinde. Zu den Absinthgegnern gehörten die Kirche, die Ärzteschaft, die gegen den Alkoholismus ankämpfte, die Presse und die Weinproduzenten (die Konkurrenz). Mehrere Sittlichkeitsvergehen erschütterten die Öffentlichkeit und die Vergehen wurden dem Konsum von Absinth zugeschrieben. Dem Volksglauben nach führte ein darin enthaltener Wirkstoff, das Thujon, zu Wahnsinn! Aktuelle Studien haben gezeigt, dass die im Absinth enthaltene Thujonmenge so gering ist, dass sich ihre Rolle als Auslöser von Halluzinationen und Wahnvorstellungen wissenschaftlich nicht begründen lässt.
Im Schatten der Illegalität
Die Kritiker setzten sich durch: 1910 wurde der Absinth in der Schweiz verboten, später zogen Frankreich, Deutschland und die USA nach. Aber das Geheimnis seiner Herstellung ging während der 95-jährigen Zeit der Illegalität nicht verloren. Die Schweizer Produzenten verlegten ihre Brennereien in den Untergrund und stellten heimlich weiter Absinth her. Ein heikles Unterfangen, denn bei der Destillation wird ein intensiver Kräutergeruch freigesetzt, der verräterisch ist. Dieser Duft des Widerstands schwebte fast ein Jahrhundert lang über den Dörfern des Val-de-Travers. Destillierapparate wurden in Höhlen versteckt, Waschkessel zum Brennen zweckentfremdet. Absinthliebhaber wussten, an wen sie sich wenden konnten, und das Getränk wurde unter der Hand verkauft – bisweilen als andere Schnapssorte getarnt. Die Inspektoren der Eidgenössischen Alkoholverwaltung spielten Katz und Maus mit den Brennereien: Während Jahrzehnten gingen sie mehr oder weniger massiv gegen diese vor.
Erst 2005 wurde das Absinthverbot in der Schweiz aufgehoben. Damit konnten die Produzenten aus dem Schatten der Illegalität treten und ihrer Tätigkeit offen nachgehen. Einige exportieren ihre Produkte in die ganze Welt, vor allem in die USA und nach Deutschland.
GGA im Visier
Die bewegte Geschichte um die Grüne Fee ist allerdings noch nicht zu Ende. Ein Teil der Kräuterproduzenten und der Brennereien im Val-de-Travers hat sich zu einem Branchenverband zusammengeschlossen, der die Aktivitäten im Zusammenhang mit dem Absinth fördern und vorantreiben soll. Aktuell wird der Erhalt der Geschützten Geografischen Angabe (IGP oder GGA) «Absinthe du Val-de-Travers» für dieses Regionalprodukt angestrebt. Claude-Alain Bugnon von der Destillerie Artemisia ist Mitglied des Branchenverbands. Für ihn geht es auch um eine Frage der Qualität. Er bedauert, dass in der Schweiz eine gesetzliche Grundlage zur Regelung der Absinth-Herstellung fehlt. Im Visier hat er nicht destillierte alkoholische Getränke, die sich mit dem Namen Absinth zieren, aber oft anderswo in Europa produziert würden. Ausserdem sollen die zur Absinth-Herstellung benötigten Wermut-Pflanzen künftig nur noch aus dem Val-de-Travers stammen, um den regionaltypischen Charakter optimal zur Geltung zu bringen. Grosser Wermut, kleiner Wermut, Melisse, Ysop und Minze werden heute alle im Tal angebaut. Solche Auflagen kommen nicht bei allen Produzenten gut an.
Revival eines Rituals
Mit dem Verbot des Absinths verschwand auch das entsprechende Zubehör wie die Absinthfontäne und der Absinthlöffel. Jetzt sind sie wieder da und tragen ihren Teil zur Popularität dieses Getränks bei. Aber wie funktioniert eigentlich diese seltsame Fontäne? Auf das Glas wird ein Absinthlöffel und darauf ein Stück Würfelzucker gelegt. Das Wasser, das tropfenweise aus einem der Wasserhähne der Fontäne fliesst, löst den Zucker auf und dient dazu, die bitteren und herben Noten des grünen Absinths, einer Sorte dieser Spirituose, auszugleichen. Der klare Absinth ist weniger bitter und wird in der Regel ohne Zucker getrunken.
Begegnung mit der Grünen Fee
Einblick in die bewegte Geschichte des Absinths gibt das Informationszentrum «Maison de l'absinthe» in Môtiers, das 2014 eröffnet wurde. Die interaktiv konzipierte Ausstellung lässt die Legende des Absinths und die Zeit des Absinthverbots mit Hilfe von Anekdoten und Exponaten aufleben. Neben den Beiträgen von Historikern gibt es Videobotschaften namhafter Branchenakteure und die Möglichkeit, die zur Absinth-Herstellung benötigten Kräuter zu entdecken. An der Bar werden 30 verschiedene Absinthsorten serviert. Die Besichtigung einer Kleindestillerie gehört zu den Highlights jedes Besuchs im Val-de-Travers. Verschiedene Produzenten bieten solche Führungen (in mehreren Sprachen) an.
Und schliesslich ist es gut möglich, dass man bei einem Spaziergang im Val-de-Travers in der Nähe einer Quelle zufällig auf eine Flasche der «Bleue» stösst. Die rätselhaften, schönen und mithin tief im Wald versteckten «geheimen Fontänen» bieten dem Wanderer die Möglichkeit, ein Glas Absinth vermischt mit Quellwasser zu verkosten. Dem Vernehmen nach werden die Flaschen, die in der Regel in geschnitzten Behältnissen verstaut sind, von den Liebhabern der Grünen Fee im ganzen Tal versteckt.