Die Bakterien, die den Klimawandel bezwingen könnten
Seen emittieren erhebliche Mengen an Treibhausgasen, insbesondere Methan, ein Treibhausgas, das mehr als 20-mal stärker wirkt als Kohlendioxid (CO2). Pro Quadratkilometer Seefläche kann 800-mal mehr Methan freigesetzt werden als auf einer gleich grossen Ozeanfläche.
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in der Schweiz haben durch Zufall entdeckt, dass schädliche Bakterien, die normalerweise im Seewasser vorkommen, das besonders klimaschädliche Treibhausgas Methan verbrauchen, bevor es in die Atmosphäre freigesetzt werden kann.
Süsswasser verursacht enorme Treibhausgasemissionen
Süsswasservorkommen verursachen schätzungsweise 22 Prozent der globalen Methanemissionen und rund drei Viertel der natürlichen Trebhausgasemissionen. Natürliche Emissionen sind Emissionen, die nicht direkt mit menschlichen Aktivitäten wie z. B. Verkehr und Nahrungsmittelproduktion zusammenhängen.
Methan und andere Treibhausgase entstehen durch die Zersetzung von organischem Material auf dem Seegrund. Die sauerstoffarme Umgebung am Boden der Gewässer fördert die Methanproduktion. Die Menge des freigesetzten Methans wird durch das vorhandene organische Material, die Temperatur und verschiedene andere Faktoren wie Wassertiefe, Boden und topographische Bedingungen beeinflusst.
Temperaturanstieg verschärft das Problem
Im Kontext der Klimaerwärmung stellen arktische Seen, Teiche und Tümpel aufgrund ihrer grossen Gesamtoberfläche, ihrer reichen organischen Sedimente (darunter Torf) und des bei steigenden Temperaturen raschen Aggregatwechsels von Eis zu Wasser ein besonderes Problem dar.
Die Schweiz zählt 1500 Seen und sechs Prozent der Süsswasservorräte Europas
Die Süsswasseremissionen in der Schweiz sind bedeutsam. Rund sechs Prozent der Trinkwasserreserven Europas befinden sich in der Schweiz. Die gut 1500 Seen und Flüsse nehmen rund vier Prozent der Gesamtfläche in Anspruch. Die meisten dieser Seen sind natürlich, aber einige wurden für die Wasserkraftproduktion angelegt, ein Prozess, der die Emissionen weiter erhöht, da schnellströmendes, aufgewühltes Wasser, welches die Turbinen passiert, mehr Treibhausgase freisetzt.
Wasserkraft ist nicht 100-prozentig ökologisch
Der Wohlensee, ein am Aarelauf zur Stromproduktion errichteter Stausee, verursacht Emissionen in der Höhe des CO2-Ausstosses von 25 Millionen gefahrenen Autokilometern. «Im Sommer sieht das Wasser des Wohlensees dann manchmal aus wie Champagner», sagt Umweltchemikerin Tonya Del Sontro, «Unmengen von Gasblasen steigen vom Grund an die Oberfläche.
Ganz so klimaneutral wie bisher angenommen ist die Wasserkraft also nicht», so Del Sontro. «Das wurde bisher in den Treibhausgasbilanzen übersehen», sagt Professor Bernhard Wehrli. Ein Kohlekraftwerk stösst bei gleicher Stromproduktion rund 40-mal mehr Kohlendioxid aus. Schweizer Wasserkraft bietet aus Sicht der Treibhausgasemissionen also immer noch einen erheblichen Umweltvorteil. Gleichwohl können Seen wie der Wohlensee eine bedeutende Emissionsquelle sein. Die Aare führt grosse Mengen an organischer Substanz aus einem relativ grossen Einzugsgebiet stromaufwärts mit. Im Stausee setzt sich das Material rasch ab und wird abgebaut. Ausserdem ist der See relativ flach, so dass er sich schnell aufwärmt, was den Zersetzungsprozess beschleunigt. Die Emissionen aus höher gelegenen, tieferen Seen sind in der Regel niedriger.
Zufällig entdeckt
Im Juni 2017 stiess ein Forscherteam der Eidgenössischen Anstalt für Wasserversorgung, Abwasserreinigung und Gewässerschutz (Eawag) zufällig auf einen neuen, leistungsstarken Mitspieler bei der Oxidation von Methan unter Wasser.
Fadenförmige Bakterien der Gattung Crenothrix bauen offenbar einen grossen Teil des Treibhausgases Methan ab, bevor es in die Atmosphäre entweichen kann. Die Bakterien sind als «Brunnenfäden» aus Trinkwassersystemen bekannt. Dort sind sie lästig, weil sie ganze Rohre verstopfen können. Mit dieser Entdeckung könnten sie sich vom Fluch zum Segen wandeln. Möglicherweise leisten sie den Löwenanteil des Methanabbaus in Süsswasserseen.
«Wir haben die Rolle dieser Bakterien im biogeochemischen Kreislauf wohl völlig unterschätzt», räumt Dr. Carsten Schubert, der zum Team gehörte, ein. Im Seewasser wurde bisher nicht spezifisch danach gesucht, und ihre Entdeckung war ein Zufallsfund. Die Forscherinnen und Forscher der Eawag hatten versucht, den Methanabbau in den Seen mit der Methode der stabilisotopen Markierung besser zu quantifizieren. Zu diesem Zweck markierten sie Methanmoleküle mit «schweren» Kohlenstoffatomen (C13). Diese markierten Moleküle tauchten dann bei der Analyse in den Crenothrix-Bakterien auf, was mit Verfahren der Massenspektrometrie sichtbar gemacht werden konnte. Das Team hatte erwartet, die Markierungen in kleinen runden Bakterien zu sehen. Sie waren erstaunt, sie stattdessen auch in den langen, fadenförmigen Crenothrix-Bakterien anzutreffen. Sie waren auch überrascht, wie viele dieser langen Bakterien die schweren Kohlenstoffatome enthielten.
Die Tatsache, dass das Bakterium in zwei verschiedenen Typen von Seen vorkommt, ist vielversprechend
Die Studie hat laut den Forschenden eindeutig gezeigt, dass die Crenothrix-Bakterien den Löwenanteil des Methanabbaus in zwei geschichteten Seen leisten.
Dr. Carsten Schubert ergänzt: «Unsere Befunde zu Crenothrix müssen noch in anderen Systemen bestätigt werden. Bisher haben wir es in zwei Seen gefunden. Die beiden Seen unterscheiden sich fundamental. Der Zugersee ist tief und das Sonnenlicht dringt nicht durch die Sauerstoffsprungschicht, eine Linie unterhalb welcher es keinen Sauerstoff, dafür eine höhere Methankonzentration und kühleres Wasser gibt. Im Rotsee, der flacher ist, dringt das Sonnenlicht durch die Sauerstoffsprungschicht hindurch. Die Tatsache, dass wir Crenothrix in diesen zwei verschiedenen Umgebungen gefunden haben, ist ermutigend.
Weitere Forschung notwendig
Könnte man diese Bakterien in anderen Seen einsetzen, um deren Treibhausgasemissionen zu verringern? Dr. Schubert zeigt sich vorsichtig. «Methanoxidierende Bakterien sind sehr speziell und erfordern sehr spezifische Lebensbedingungen. Es ist noch zu früh, Vermutungen darüber anzustellen, ob diese Organismen künstlich in Seen eingeführt werden könnten, um Methan zu oxidieren und die Methanemissionen von Süsswasser zu reduzieren.»
Als nächstes gilt es für die Forschenden herauszufinden, ob sich Crenothrix in anderen Umgebungen ähnlich verhält. Ausserdem müssen die Bakterien in diesen unterschiedlichen Lebensräumen eingehend untersucht werden, um besser zu verstehen, wie sie ihren Beitrag zum Methanabbau erbringen.