Die Schweiz und Blue Peace
Nichts ist wichtiger für das Leben auf der Erde als Wasser. Doch Wasser ist an vielen Orten des Globus ein Problem. Sauberes Wasser wird aufgrund des raschen Bevölkerungswachstums, veränderter Verbrauchsgewohnheiten und zunehmender Verschmutzung immer knapper. Dies hat direkte Auswirkungen auf Frieden und Stabilität in der Welt. Der Klimawandel verstärkt den Druck auf die Wasserressourcen zusätzlich. Es braucht deshalb eine bessere und innovative Zusammenarbeit zwischen Anrainerstaaten von Wasserläufen.
Die 2010 von der Schweiz ins Leben gerufene «Blue Peace»-Initiative arbeitet mit zahlreichen Akteuren in verschiedenen wasserarmen Regionen zusammen, um den Wettbewerb um begrenzte Süsswasserressourcen in eine konstruktive Zusammenarbeit zu verwandeln, die Stabilität und nachhaltige Entwicklung ermöglicht.
Wasser prägt die Geschichte der Schweiz
Wasser schafft eine enge Verbindung zwischen benachbarten Staaten. Grenzüberschreitende Flüsse machen weltweit nahezu 60 Prozent des verfügbaren Süsswassers aus. Doch die Ressource steht unter Druck. Die Zusammenarbeit zwischen Anrainerstaaten und Gemeinschaften ist deshalb wichtiger denn je, damit die Menschen auf eine angemessene Wasserversorgung und eine stabile Umwelt zählen können und nicht der Ungewissheit ausgeliefert sind.
Die Schweiz hat langjährige Erfahrung bei der gemeinsamen Bewirtschaftung von Wasserressourcen. Sie teilt sechs Flüsse und vier Seen mit benachbarten Staaten. Anfang der 1960er-Jahre bemerkten Fischer und Badegäste am Genfersee eine beunruhigende Veränderung: Ihr See nahm eine grünliche Farbe an. Der zunehmende Schadstoffeintrag infolge der Siedlungsentwicklung hatte zu einer massiven Vermehrung von Algen geführt. Dies trübte nicht nur das Badevergnügen, sondern stellte eine Bedrohung für das Ökosystem des Sees und die Bereitstellung von Trinkwasser dar.
Weil der Genfersee auf Schweizer und auf französischem Staatsgebiet liegt, suchten die Genfer Forschenden und Behörden bei ihren französischen Nachbarn um Unterstützung nach. Dank der grenzüberschreitenden Wasserkooperation konnte der Sauerstoffgehalt im See wieder angehoben werden. In den folgenden Jahren wurden neue institutionelle Rahmenbedingungen für eine bessere Bewirtschaftung der gemeinsamen Oberflächen- und Grundwasserressourcen im Raum Genf geschaffen. Das 1978 unterzeichnete Abkommen zwischen der Schweiz und Frankreich über die grenzüberschreitende Bewirtschaftung der Nappe du Genevois gehört zu den weltweit ältesten Verträgen dieser Art.
Der Rhein am anderen Ende der Schweiz, einer der wichtigsten Flüsse Europas, der in den Alpen entspringt und sechs Länder durchfliesst, ist Gegenstand eines besonders innovativen Übereinkommens zwischen Flussanliegerstaaten. Dieses fördert seit 1963 die nachhaltige Entwicklung des Einzugsgebiets durch gemeinsame hydrologische Schutzmassnahmen. Heute werden 90,2 Prozent der grenzüberschreitenden hydrologischen Einzugsgebiete in der Schweiz durch Wasserkooperationsabkommen abgedeckt. Die Zusammenarbeit mit den Nachbarländern hat zum Wohlstand des Landes beigetragen.
Blue Peace: eine Vision für nachhaltige Entwicklung
Weltweit teilen sich 153 Länder grenzüberschreitende hydrologische Einzugsgebiete. Da stellt sich die Frage: Wie lässt sich realer oder potenzieller Wettbewerb in Zusammenarbeit verwandeln? Wie kann die Frage, wer wie viel Wasser für welche Zwecke und in welcher Menge erhält, als Ausgangspunkt für einen breiteren sozioökonomischen Austausch dienen? Blue Peace will als Vision und diplomatische Initiative die Zusammenarbeit im Wasserbereich über Grenzen, Sektoren und Generationen hinweg unterstützen, um Frieden, Stabilität und eine nachhaltige sozioökonomische Entwicklung zu fördern, indem konkrete Instrumente für eine systemische grenzüberschreitende Wasserwirtschaft bereitgestellt werden.
Jeder grenzüberschreitende Kontext bringt seine eigenen Herausforderungen mit sich. Blue Peace verfolgt deshalb einen mehrstufigen, auf den jeweiligen Kontext zugeschnittenen Arbeitsansatz, der den Einsatz einer breiten Palette von diplomatischen, politischen, technischen, pädagogischen und finanziellen Instrumenten erfordert. Derzeit umfasst Blue Peace drei unterschiedliche, aber miteinander zusammenhängende regionale Initiativen: Blue Peace Naher Osten, Blue Peace Zentralasien und Blue Peace Westafrika. Die «Blue Peace»-Initiative wird vom Geneva Water Hub, einer Denkfabrik und Bildungs- und Forschungsinstitution der Universität Genf, unterstützt.
Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen stromabwärts und stromaufwärts gelegenen Staaten ist von zentraler Bedeutung für die Deckung des Bedarfs der Bevölkerungen, nicht nur was die Versorgung mit Trinkwasser und Nahrungsmitteln angeht, sondern auch hinsichtlich Umweltschutz und Energiesicherheit. Um die internationale Debatte über diese Anliegen weiter voranzubringen, wird «Wassersicherheit für Frieden und Entwicklung» Thema der 9. Ausgabe des Weltwasserforums sein. Das Forum ist die weltweit grösste Konferenz zum Thema Wasser, bei der die internationale Wassergemeinschaft und wichtige Entscheidungsträger zusammenkommen, um gemeinsame Visionen zu herausfordernden Wasserfragen zu entwickeln. Die 9. Ausgabe des Weltwasserforums findet vom 21. bis 26. März 2022 in Dakar (Senegal) und damit zum ersten Mal in Westafrika statt.
Blue Peace Westafrika – Massstäbe in der Wasserkooperation
Westafrikanische Länder und regionale Akteure, wie z. B. Einzugsgebietsorganisationen, -kommissionen und ähnliche Gremien haben im Bereich der regionalen Wasserkooperation in den letzten Jahren neue Massstäbe gesetzt. Im September 2021 unterzeichneten die für den Wassersektor zuständigen Minister Gambias, Guinea-Bissaus, Mauretaniens und Senegals in Genf eine Erklärung zur Institutionalisierung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit in Bezug auf die senegalesisch-mauretanischen Grundwasservorkommen, von denen über 15 Millionen Menschen abhängig sind. Grundwasserressourcen sind nur sehr selten Gegenstand von Abkommen zwischen zwei oder mehreren Ländern. Weltweit gibt es 468 grenzüberschreitende Grundwasservorkommen, aber weniger als zehn davon werden durch ein formelles Abkommen abgedeckt. Die gemeinsame Erklärung wurde durch Wasserdiplomatie ermöglicht und zeigt, dass die Herausforderungen im Zusammenhang mit der Bewirtschaftung von Wasserressourcen als Treiber für den Dialog zwischen betroffenen Ländern genutzt werden können, um langfristig Frieden und Sicherheit zu gewährleisten.
Wasser als Quelle des Lebens ist kein Gut, über das Staaten in alleiniger Hoheit bestimmen sollten. Um die Wasserkooperation als Instrument für friedliche Gesellschaften zu stärken, gilt es die Anliegen der Zivilbevölkerung zu berücksichtigen. Lokales Wissen und lokale kulturelle Gepflogenheiten bilden deshalb die Grundlage für die Arbeit von Blue Peace in der Region. Die Kunst kann ein wirkungsvolles Medium sein, um den gemeinsamen Dialog und das Verständnis für die Beziehung zwischen Wasser und Frieden zu fördern. Die Initiative Voix du Fleuve, Voie de la Paix im Einzugsgebiet des Senegalflusses stärkt den Einbezug der lokalen Bevölkerung bei Nutzungen, strategischen Entwicklungen und Entscheidungen im Wasserbereich, um Situationen mit Konfliktpotenzial zu vermeiden oder zu entschärfen. Mit der Unterstützung von Blue Peace wurde ein strategischer und kreativer Reflexionsprozess über Wasserfragen in Gang gesetzt. Der Prozess, an dem Anrainergemeinschaften, die Behörden des Senegal-Flusseinzugsgebiets sowie Fachpersonen für Wasserwirtschaft und Anpassung an den Klimawandel teilnehmen, soll zur Schaffung von Arbeitsplätzen und zur Stärkung des Friedens in der Region beitragen.
Weitere Informationen zu Blue Peace : https://www.thebluepeaceinitiative.org/
Künftige Wassernutzung sicherstellen
Bis 2050 werden mehr als 50 Prozent der Weltbevölkerung in wasserarmen Regionen leben, und da nahezu 60 Prozent des nutzbaren Süsswassers aus grenzüberschreitenden Flüssen stammen, werden diese Gewässer für die Sicherstellung einer angemessenen Wasserversorgung der Menschen weiter an Bedeutung gewinnen. Dies erfordert ein Umdenken und einen anderen Umgang mit Flussräumen von der Quelle bis zur Meeresmündung. Es braucht eine nachhaltige, gerechte und kooperative Nutzung von Wasser-Ressourcen, damit die Wasserversorgung auch in Zukunft gewährleistet werden kann.
Titelbild: Die integrierte Bewirtschaftung der Wasserressourcen des Gambia-Flusses für die nachhaltige Entwicklung der Region ist eine grenzüberschreitende Angelegenheit © DEZA