Ein Schweizer Segelschiff im Kielwasser Magellans
Seit April 2015 befindet sich die 33 Meter lange Ketsch Fleur de Passion auf einer vierjährigen Weltumseglung auf den Spuren des berühmten portugiesischen Seefahrers. Die von der Genfer Stiftung Fondation Pacifique initiierte Expedition will mit Projekten in den Bereichen Wissenschaft, Bildung und Kultur zu einem tieferen Verständnis unserer Beziehungen zum Lebensraum Ozean beitragen. Die Rückkehr nach Sevilla ist für den 6. September 2019 geplant.
Wer glaubt noch, dass der Schweiz die Verbundenheit mit dem Meer, der Seefahrergeist abgeht? Dass sie ein Binnenland und ganz von Bergen dominiert ist? Ist sie nicht vielmehr eine «Insel ohne Ufer», um es mit dem Titel eines aktuellen Dokumentarfilms über die Geschichte der Schweizer Handelsmarine auszudrücken? Ein Land, das aufs engste mit den Weltmeeren verbunden ist?
Ein 33 Meter langer Segler, der unter Schweizer Flagge fährt, zeigt dies auf ganz besondere Weise. Die Ketsch (Zweimaster mit vorderem Grossmast) Fleur de Passion, die wie alle Schweizer Schiffe Basel (am Rhein, der in die Nordsee mündet...) als Heimathafen hat, ist im südlichen Madagaskar in See gestochen, wo sie im Juni nach der Überquerung des Indischen Ozeans von Südostasien herkommend gelandet war. Sie nahm Kurs auf Maputo, Mosambik, von wo aus die Fahrt der afrikanischen Küste entlang in Richtung Durban (Südafrika) und rund um das Kap fortgesetzt wird. Anfang 2019 wird sie die Rückfahrt den Atlantik hinauf via Dakar, Cabo Verde und die Azoren nach Portugal und schliesslich Sevilla antreten, wo sie am Freitag, 6. September 2019, eintreffen soll.
Im September 2018 hat für den traditionellen Segler damit das letzte Jahr eines unvergleichlichen Abenteuers begonnen, das Wissenschaft, Bildung und Kultur verbindet und viereinhalb Jahre dauern soll. Die Ocean Mapping Expedition, eine Weltumrundung auf den Spuren von Fernando Magellan, dem berühmten portugiesischen Seefahrer, der vor fast 500 Jahren aufgebrochen war, um die Westpassage und damit einen neuen Seeweg zu den begehrten «Gewürzinseln» Indonesiens – heute als Molukken bekannt – zu erkunden.
Die Auswirkungen menschlicher Aktivitäten auf die Ozeane verstehen
Heute suchen die wechselnden Besatzungen nach etwas ganz anderem. Sie haben keine kommerziellen, sondern ideelle Ziele vor Augen, die sich aus dem Stiftungszweck der Fondation Pacifique, einer gemeinnützigen Organisation mit Sitz in Genf (an der Rhone, die ins Mittelmeer mündet...) ergeben. Die aus der Genfer Zivilgesellschaft hervorgegangene Stiftung will mit ihren Expeditionen und den dabei durchgeführten wissenschaftlichen, sozialpädagogischen und kulturellen Programmen zu einem besseren Verständnis der Auswirkungen menschlicher Aktivitäten auf die Ozeane und zu einer Sensibilisierung für die damit verbundenen Herausforderungen der nachhaltigen Entwicklung beitragen.
Darüber hinaus will die Stiftung durch den Brückenschlag zwischen Vergangenheit und Gegenwart, Gegenwart und Zukunft zum Nachdenken über die Welt von heute und die nicht immer störungsfreie Beziehung des Menschen zum Planeten Erde anregen. Dabei greift sie auf eine Reihe zeitloser Themen zurück: das Streben nach Wissen und Entdeckung; den Zugang zum Wohlstand und dessen Verteilung; den territorialen, kommerziellen, kulturellen und ideologischen Eroberungswillen, dessen sich die Menschheit so schnell nicht zu entledigen scheint; das unstillbare Verlangen nach Macht und Herrschaft; oder umgekehrt die Suche nach einem besseren Miteinander, der utopische Traum von einer friedlichen, im wahrsten Sinne des Wortes abgerüsteten Welt nach dem Vorbild der Fleur de Passion.
Ein Segelschiff mit einer bewegten Geschichte
Seit dem Start der Expedition im April 2015 in Sevilla, wo seinerzeit bereits Magellan Segel gesetzt hatte, ist das Schiff mit seiner besonderen Geschichte Träger dieser Hoffnung. Der spätere Segler Fleur de Passion wurde 1941 von der Deutschen Kriegsmarine als Kriegsfischkutter (KFK) gebaut, ein Motorschiff, das zur Überwachung der Küste und zum Ausbringen von Minen diente. Nach Ende des Krieges ging das Schiff an die französische Marine, die es in den 1970er-Jahren abrüstete und an einen Privatmann verkaufte. Dieser baute es zu einem Segler um und gab ihm den heutigen Namen Fleur de Passion. Im Jahr 2002 wurde das Schiff in nahezu abgewracktem Zustand von der Genfer Association Pacifique aufgekauft und komplett restauriert. Seit 2009 dient es als Operationszentrum für Expeditionen wie die Ocean Mapping Expedition, die sich mit multidisziplinären Projekten für ein besseres Zusammenleben einsetzen.
Ein schwimmender Mikrokosmos
Die Fleur de Passion ist ein schwimmender Mikrokosmos und ein Spiegelbild der Herausforderungen unseres Planeten: An Bord befinden sich unter der Leitung von professionellen Crews aus Frankreich, Spanien und der Schweiz in wechselnder Folge orientierungsschwache Jugendliche auf der Suche nach neuen Horizonten (in Zusammenarbeit mit den Behörden des Kantons Genf), Passagiere, die ferne Welten, andere Menschen und sich selbst entdecken wollen (es besteht die Möglichkeit, als Crewmitglied anzuheuern), und Comiczeichnende oder andere Illustratoren (bis anhin hauptsächlich aus der Westschweiz), die in der grossen Tradition der Marinemaler früherer Zeiten ihre Sicht auf die Welt von heute darlegen sollen. Die Expeditionsteilnehmenden sind hautnah mit den Umweltproblemen auf See konfrontiert und können Hand anlegen bei wissenschaftlichen Projekten, die sich mit der menschengemachten Mikroplastik- und Lärmverschmutzung der Ozeane, der Korallenbleiche und den Treibhausgasen befassen. Sie werden in Partnerschaft mit diversen wissenschaftlichen Institutionen in der Schweiz und im Ausland durchgeführt, darunter dem Verein Oceaneye in Genf, dem Bioakustik-Labor der Polytechnischen Universität Kataloniens in Barcelona, der University of Queensland in Brisbane und der Naturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Genf.
Das Schiff, ein traditionelles Segelboot, das noch von Hand manövriert wird, ist das Operationszentrum für alle Projekte dieser Expedition und ein idealer Rahmen zur Förderung von Solidarität und Hilfsbereitschaft. Vor allem während der Hafenaufenthalte, wenn das Schiff öffentlich zugänglich ist, beispielsweise in Buenos Aires, Valdivia, Tahiti, Brisbane, Singapur, Jakarta und demnächst in Kapstadt, Dakar und Lissabon, steht es für eine bestimmte Vorstellung von Seefahrt der Schweiz, die Neugierde und Begeisterung weckt.
Schweizer waren keine dabei, als Magellan 1519 mit fünf Schiffen in See stach. Aber im September 2019, wenn sich das Auslaufen seiner Flotte zum 500. Mal jährt, wird ein Schweizer Segelboot für sich in Anspruch nehmen können, das Ereignis als erstes begangen zu haben...