Die Lehre – eine Schweizer Erfolgsgeschichte
In der Schweiz hat die Berufsbildung einen hohen Stellenwert. Sie ermöglicht es Jugendlichen, durch alternierenden theoretischen Unterricht und praktische Arbeit in einem Betrieb einen Beruf zu erlernen. Das Modell, das ein wirksames Mittel gegen die Arbeitslosigkeit ist, stösst auf immer grösseres Interesse im Ausland.
Die gute Verfassung der Schweizer Wirtschaft, die u.a. eine Arbeitslosigkeit von weniger als 4% aufweist, ist namentlich auf die Qualität des Schweizer Berufsbildungssystems zurückzuführen, das sich am Arbeitsmarkt orientiert und das Bildungssystem einbezieht.
Nach der obligatorischen Schulzeit haben die Jugendlichen die Wahl, ihre Schulbildung fortzusetzen oder sich für eine meist duale Berufsausbildung zu entscheiden. Dieses Modell verbindet Schule und Praxis. Die Grundlage bildet eine Lehre, die drei bis vier Arbeitstage pro Woche in einem Unternehmen und Unterrichtseinheiten an einer Berufsschule vorsieht. Die Ausbildung, während der die Lernenden vom Arbeitgeber einen Lohn erhalten, dauert zwischen zwei und vier Jahren. Wer die Lehre erfolgreich abschliesst, erhält ein eidgenössisches Fähigkeitszeugnis (EFZ) oder ein eidgenössisches Berufsattest (EBA). Die Lernenden können nach ihrem Abschluss direkt in den Arbeitsmarkt eintreten oder eine höhere Ausbildung absolvieren. Viele Leitende in kleinen und mittleren Schweizer Unternehmen haben diesen Berufsweg gewählt.
Wer über ein Berufsdiplom verfügt, hat bessere Chancen, eine Stelle zu finden. «Wer eine Lehre absolviert hat, unterliegt einem dreimal kleineren Risiko arbeitslos bzw. langzeitarbeitslos zu werden», schreibt Rudolf Strahm in seinem Buch «Die Akademisierungsfalle» (hep Verlag, 2014) und unterlegt dies mit Statistiken. Der ehemalige alt Nationalrat der Sozialdemokratischen Partei (SP), der seine Berufslaufbahn mit einer Laborantenlehre begann, weist u.a. nach, dass die fünf europäischen Länder mit einem dualen Berufsbildungssystem (Schweiz, Deutschland, Österreich, Niederlande und Dänemark) eine geringere Arbeitslosigkeit aufweisen als die übrigen Länder.
Die Wahl der Berufslehre
Dank einer Lehre fand Léa Graham nach einigen Umwegen eine Stelle in der Küche eines der besten Restaurants der Welt, dem Hôtel de Ville in Crissier. 2016 schaffte es diese legendäre Schweizer Gaststätte auf Platz 1 einer Liste mit den 1000 besten Restaurants der Welt (Mille tables d'exception) und 2017 auf Platz 4. «Ich wollte schon immer in einem Restaurant arbeiten», erzählt die Waadtländerin. «Meine Familie hat mir jedoch am Ende der obligatorischen Schulzeit abgeraten, diesen harten Weg einzuschlagen, stattdessen legten sie mir nahe, mich fürs Gymnasium anzumelden.»
Léa Graham folgte diesem Ratschlag. Sie beendete das Gymnasium mit dem Schwerpunkt «Bildende Kunst» und nahm ihr Studium an der Haute école d’art et de design (HEAD) in Genf auf. Mit dem Bachelor in der Tasche entschied sie sich jedoch trotzdem, ihren Kindheitstraum zu verwirklichen und eine Kochlehre zu machen.
Während der Lehre wechselte die junge Frau zweimal den Lehrbetrieb und beendete schliesslich ihre Ausbildung an der Berufsschule Montreux. Dort hatte sie die Möglichkeit, einmal pro Woche im Restaurant des Hôtel de Ville in Crissier zu arbeiten. Nach der Ausbildung fand sie dort eine Stelle. Léa Graham ist mit Leib und Seele dabei: 2015 erhielt sie die Auszeichnung als beste Lernende des Kantons Waadt. «Dank der Lehre war es ein sanfter Einstieg ins Berufsleben, denn die Arbeit in der Küche ist schon sehr anstrengend», meint sie.
Grosses Interesse aus dem Ausland
Das Schweizer Berufsbildungssystem stösst auch im Ausland auf immer grösseres Interesse, namentlich bei den Ländern, die Lösungen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit suchen. «Die Anfragen zum Schweizer Bildungssystem und die Zahl der ausländischen Akteure, die sich dafür interessieren, haben in den letzten Jahren stark zugenommen, dabei ging es einerseits um vertiefte Informationen und andererseits um Kooperationen mit der Schweiz in diesem Bereich», erklärt Jérôme Hügli, Projektverantwortlicher beim Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI).
Das Schweizer Modell ist in ein komplexes Umfeld eingebettet. Dazu gehören der soziale Dialog, die Lernkultur und die drei Ebenen des föderalistischen Systems. «Es ist nicht möglich, das Schweizer Modell eins zu eins in einem anderen Land mit unterschiedlichen soziökonomischen und kulturellen Rahmenbedingungen umzusetzen», sagt Jérôme Hügli. «Es ist jedoch denkbar, gewisse Schlüsselelemente an den spezifischen Kontext eines anderen Landes anzupassen. Dazu braucht es natürlich eine vertiefte Analyse und die Bereitschaft des Partnerlandes, einen langfristigen Prozess einzuleiten.»
Welche Schwierigkeiten treten hier gewöhnlich auf? «In zahlreichen Ländern hat die Berufsbildung kein gutes Image. Ein langer Atem ist erforderlich, um die Zielgruppen (Jugendliche, Eltern, Lehrkräfte usw.) zu erreichen», erklärt Jérôme Hügli. «Die Stärkung der Rolle des Privatsektors in der Berufsbildung ist häufig auch problematisch. Der Staat muss der Wirtschaft mehr Einflussmöglichkeiten im Bereich der Berufsbildung einräumen. Gleichzeitig müssen die Unternehmen und die Wirtschaft Vorteile sehen, damit sie sich in diesem Bereich engagieren. Es steckt viel Arbeit dahinter, aber hier liegt auch der Schlüssel zum Erfolg.»