Éric Favre - der Vater der Kaffeekapsel
Dem aus dem Waadtland stammenden Aerodynamik-Ingenieur ist es zu verdanken, dass es Kaffee in der Kapsel gibt. Seine Innovation hat den Kaffeekonsum grundlegend verändert und den weltweiten Erfolg von Nespresso begründet.
Erfinder sind in der Regel bescheiden. Und Unternehmer selbstbewusst. Éric Favre gehört beiden Kategorien an. Mit seiner Erfindung vor mehr als 40 Jahren wurde die Ära des heute nicht mehr wegzudenkenden Kapselkaffees eingeleitet. Der in Saint-Barthélemy (VD) geborene Aerodynamik-Ingenieur ist «stolz» auf seine Erfindung, prahlt aber nicht damit. Éric Favre wusste schon immer, dass er Erfinder werden würde, aber den Anstoss dazu gab ihm seine Frau Anna-Maria. Wäre der Schweizer nicht mit einer Italienerin verheiratet, gäbe es Nespresso möglicherweise nicht.
Alles begann 1975 mit einer Wette zwischen den Eheleuten. Kurz zuvor hatte Éric Favre seine Arbeit bei Nestlé in der Verpackungsabteilung aufgenommen, um den Betrieb eines multinationalen Unternehmens von innen kennenzulernen. Damals machte sich Anna-Maria häufig über ihren Schweizer Mann und die Unkenntnis seines Landes in Sachen Kaffee lustig. «Ich wollte meiner Frau beweisen, dass ich fähig war, den besten Espresso zuzubereiten», gestand er letztes Jahr. Das Paar reiste nach Italien auf der Suche nach dem besten Kaffee. Die beiden machten Halt in Rom und besuchten das sehr beliebte Caffè Sant'Eustachio, das heute in den Reiseführern für den besten Espresso in Rom angepriesen wird.
Die Zauberformel
Anna-Maria und Éric gingen auf Auskundschaftung. Sie schauten den römischen Baristas über die Schulter und stellten ihnen Fragen. Bis zum Tag, an dem Éric Favre entdeckte, warum das Getränk, das Eugenio in seiner römischen Bar serviert, das beste von allen war. Seiner Ansicht nach war die Qualität dieses Kaffees massgeblich darauf zurückzuführen, dass der Barista intervallweise (und nicht kontinuierlich) heisses Wasser durch den gemahlenen Kaffee «pumpte», was zu einer Anreicherung mit Sauerstoff führte. «Das ist Chemie: Alle Duftstoffe und Aromen werden bei Kontakt mit Sauerstoff intensiver», erläutert Éric Favre.
Die Idee einer Kaffeemaschine mit grösstmöglicher Belüftung des Wassers, das durch eine einzelne Kapsel gepresst wird, war geboren. Zurück in der Schweiz entwickelte der Erfinder einen Prototyp einer Espressomaschine, das heisst eine Konstruktion aus Schläuchen und Zylindern, die direkt aus «Back to the Future» zu stammen schien. Dann brütete er über der Formel: Schaum = Luft + Wasser + Kaffeeöl. Éric Favre erfand die geschlossene Kapsel, die Luft speichern kann, welche beim Durchfliessen an das Wasser abgegeben wird und so einen Espresso mit Schaum entstehen lässt.
Diese Innovation war vielleicht revolutionär, vermochte Nestlé aber nicht zu überzeugen. Nescafé, der berühmte Instantkaffee von Nestlé, boomte zu dieser Zeit, und die Verantwortlichen bei Nestlé erachteten es nicht als nötig, in kostspielige Espressomaschinen zu investieren. Sie waren überzeugt, dass der lösliche Pulverkaffee das bevorzugte Heimgetränk der Konsumentinnen und Konsumenten bleiben würde. Es vergingen zehn Jahre, bevor Helmut Maucher, damals Chef des multinationalen Unternehmens, Éric Favre grünes Licht für die Lancierung von Nespresso als Tochtergesellschaft von Nestlé erteilte. 1986 wurden die ersten Nespresso-Kapseln unter der Leitung des Waadtländer Ingenieurs auf den Markt gebracht.
Die Einzelkapseln waren zuerst für ein Fach- und Geschäftspublikum bestimmt: Bars, Hotels und Büros. Die ersten für Büros und Privathaushalte bestimmten Kaffeemaschinen orientierten sich an den grossen Espressomaschinen für die italienischen Bars. 1984 testete Nestlé zwei Modelle in der Schweiz, in Italien und in Japan. Aber der Erfolg blieb aus. 1986 wurde das Nespresso-Kapselsystem als Luxusprodukt positioniert, ab 1988 vor allem für die breite Bevölkerung. Der Kapselkaffee hielt Einzug in die Schweizer Haushalte. Zwei Jahre später wurden die Kapseln in Frankreich und den Vereinigten Staaten lanciert. Doch Nespresso geriet in Schwierigkeiten, und Éric Favre musste Nestlé 1991 verlassen. Kurz darauf gründete er mit Erfolg mehrere Unternehmen für Espressokapseln, darunter Monodor, in dem Anna-Maria Favre ein einflussreiches Verwaltungsratsmitglied war.
Beginn des Kapselkriegs
Éric Favre nutzte die Gelegenheit, um eine neue Generation von Kapseln zu entwickeln, die aus brennbarem Kunststoff statt aus Aluminium bestanden. In dieser Zeit stieg die Beliebtheit von Nespresso sprunghaft an. Monodor schloss sich mit Lavazza und der Migros Schweiz (Delizio) zusammen. Die Erfolgsgeschichte des Kapselkaffees war auch geprägt von einer harten Konkurrenz und vielen Rechtsstreitigkeiten. Das 1991 ausgestellte Patent für diese neue Kapsel, das die Marke Nespresso bis 2012 schützte, führte zu einer Reihe von Prozessen mit Nestlé, die dafür die Urheberrechte geltend machte. 2003 wurde das Kriegsbeil schliesslich in Form einer Vereinbarung zwischen Éric Favre und dem CEO Peter Brabeck begraben.
Éric Favre ist ein begeisterter Unternehmer und Innovator, der immer wusste, dass er einmal auf eigenen Beinen stehen würde. Seit seinem Start bei Nestlé engagierte er sich zudem als «Intrapreneur», das heisst als interner Unternehmer, der den Betrieb dabei unterstützt, sein Ideal, das manchmal von Gewohnheiten oder zu viel Bürokratie überdeckt ist, wiederzufinden. In seinem 2014 herausgegebenen Buch «La créativité entrepreneuriale expliquée aux nouveaux talents» schrieb Éric Favre: «Die Innovation entzieht sich immer der Planung, und wer sie vorantreiben will, muss damit rechnen, ab und zu hinter der Ecke die dunkle Gestalt des Misserfolgs auftauchen zu sehen.»
Und weiter: «Aber ich wusste, dass Misserfolge denjenigen, der bereit ist, die Lehren daraus zu ziehen, näher zur Lösung bringt, was mich aber nicht davon verschonte, die volle Verantwortung für meine Fehler zu übernehmen. Ich weigerte mich, Entschuldigungen oder einen Sündenbock zu finden, und nahm die Verantwortung dafür voll und ganz auf mich.» So schrieb Éric Favre einmal an seinen Vorgesetzten: «Ich weiss, dass ich als Direktor des Unternehmens Nespresso Managementfehler gemacht habe, aber wenn ich nicht das Risiko eingegangen wäre, Fehler zu machen, würde es die Kaffeekapsel heute nicht geben. Und von allen Fehlern ist der bedauernswerteste immer noch der, zu viel Zeit für die Entwicklung der Kapsel gebraucht zu haben.»
2015 beschloss Éric Favre, seine langjährige Karriere zu beenden. Da er weder einen lokalen Investor noch einen Nachfolger fand, verkaufte der Waadtländer seine beiden Gesellschaften, zuerst Tpresso und schliesslich auch Mocoffee, mit 68 Jahren an ein brasilianisches Unternehmen. Über die Wehmut des Abschieds aus dem Berufsleben tröstet er sich mit dem Gedanken hinweg, dass mehr als die Hälfte der weltweit verkauften Kaffeekapseln auf seiner Erfindung basieren. Anna-Maria Favre hat auf jeden Fall keinen Grund mehr, sich über ihren Mann lustig zu machen.