Schweizer Jungunternehmerin bringt Neuerungen in der Frauenmedizin
Lea von Bidder gehört zu den erfolgreichsten Jungunternehmern der Schweiz. Sie ist Mitbegründerin des Schweizer Start-ups AVA, eines innovativen Medtech-Unternehmens, das im Bereich reproduktive Gesundheit tätig ist. Leas Ziel ist es, die Selbstbestimmung der Frauen durch die Förderung der medizinischen Forschung zu stärken.
Der Hauptsitz von AVA in Zürich weist Ähnlichkeiten mit einer Arbeitszone für Studierende auf: In einem weitläufigen Grossraumbüro mit nackten Wänden arbeiten junge Menschen am Computer. Das Dekor beschränkt sich auf ein paar Pflanzen und Papierlaternen. Dabei ist dies eines der aufstrebenden Hightech-Unternehmen des Landes. Im September 2018 gewann AVA zum zweiten Mal in Folge den Swiss Startup Award. Das AVA-Tracker-Armband, das Frauen hilft, ihre fruchtbaren Tage zu ermitteln, wird von Experten für seine intelligente Technologie gelobt. Es hat Investoren angezogen und verkauft sich gut in den USA und in der Schweiz, wo es seit zwei Jahren erhältlich ist. Die Mitbegründerin von AVA, Lea von Bidder, wurde 2017 vom US-Wirtschaftsmagazin «Forbes» auf die Liste der 30 bedeutendsten Firmengründerinnen gesetzt. Sie hat eine Vision: die Selbstbestimmung der Frauen durch medizinische Hightech-Forschung zu stärken.
Lea, 28, studierte zunächst an der Hochschule St. Gallen. Anschliessend absolvierte sie einen Master of Science in Global Entrepreneurship in Frankreich, China und den USA. Im Alter von 22 Jahren zog sie nach Indien, um gemeinsam mit einer Kommilitonin ihr erstes Start-up zu gründen: die Premium-Schokoladenmarke L'inoui. Die Erfahrung im indischen Metropole Bangalore war entscheidend für die Karriere, sagt Lea, eine grosse Frau mit wachen Augen. Dort erkannte sie, was es braucht, um aus einer Idee auf Papier ein echtes Unternehmen zu schaffen. «Der aufregendste, aber auch härteste Schritt bei der Unternehmensgründung ist der Moment, in dem man sich entscheiden muss, ob man das in die Tat umsetzt oder nicht.» Die Chocolaterie in Bangalore existiert noch, aber Lea ist schon einen Schritt weiter.
Medizintechnik zur Stärkung der Frau
Im Jahr 2014, nach ihrer Rückkehr nach Zürich, gründete Lea zusammen mit Pascal König, Peter Stein und Philipp Tholen die Firma AVA. Die Idee, Sensortechnologie zur Verfolgung des Menstruationszyklus einzusetzen, stammte ursprünglich von zwei ihrer Mitbegründer. «Beide hatten sich aufgrund persönlicher Erfahrungen mit ihren Partnerinnen mit dem Thema Zyklus-Tracking beschäftigt. Und beide hatten schon einmal Start-ups im Sensorbereich geleitet.» Die Idee war, das Zyklus-Tracking zu modernisieren. «Ich glaube, dass der Menstruationszyklus, Schwangerschaft und all diese Themen für uns Frauen mit einem gewissen Mysterium und Stigma behaftet sind. Ich denke, es war wirklich wichtig, dies irgendwie ins 21. Jahrhundert zu bringen und diese Bereiche unseres Lebens zu entmystifizieren. Solange sie ein Mysterium sind, bleiben sie bis zu einem gewissen Grad stigmatisiert.»
Das AVA-Sensorarmband sammelt während des Schlafs Millionen von Daten, z. B. über Atmung, Schlafqualität und Pulsfrequenz einer Person, sowie andere Parameter, die mit einem Anstieg der reproduktiven Hormone korrelieren. Das Armband verbindet sich mit einer App, die einen Algorithmus verwendet, um unter anderem die fruchtbaren Tage, das physiologische Stressniveau und die Schlafqualität zu ermitteln. «Es geht vor allem um Selbstbestimmung», sagt Lea. «Daten liefern die Grundlage für fundierte Entscheidungen.» Sie betont, wie wichtig es ist, Frauen die erforderlichen Mittel an die Hand zu geben, um zu verstehen, was in ihrem Körper vor sich geht.
Seit der Markteinführung 2016 in den USA sind mithilfe des AVA-Armbandes weltweit bereits über 10'000 Frauen schwanger geworden.
Internationale Präsenz mit Schweizer Wurzeln
Das Start-up beschäftigt rund 100 Mitarbeitende und verfügt neben dem Hauptsitz in Zürich über ein Büro in San Francisco. Lea leitet die Marketingabteilung vom Büro in San Francisco aus. Sie schätzt das Silicon Valley wegen der Präsenz starker Unterstützungsnetzwerke und der guten Chancen für Start-ups. «Im Valley gibt es ein unglaubliches Ökosystem, wie es sonst nirgendwo zu finden ist.» Obwohl Lea in San Francisco lebt, reist sie alle sechs Wochen in die Schweiz, um sich um ihr Unternehmen zu kümmern und ihre Familie zu sehen.
Schweizer Hightech
Die Technologie für das AVA-Sensorarmband wurde am Schweizerischen Forschungszentrum für Elektronik und Mikrotechnik (CESM) in Zusammenarbeit mit der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (EMPA) und dem Universitätsspital Zürich entwickelt. «Die Schweiz ist unglaublich», sagt Lea. «Meine Anerkennung gilt insbesondere der EFPL und der ETHZ, die einen brillanten Job machen. Meiner Meinung nach tragen diese beiden Universitäten das gesamte Startup-Ökosystem. Das macht die Schweiz zu einem perfekten Ort für Hightech-Innovationen.» Allerdings sind die Absatzchancen im Silicon Valley besser, bedingt durch den grösseren Markt, das verfügbare Finanzierungsangebot und die starken Unterstützungsnetzwerke.
Lea will aber nicht einfach nur das Produkt von AVA verkaufen, sondern das Start-up als Medizintechnikunternehmen positionieren, das wegweisende Forschung im Bereich Frauengesundheit betreibt. Viele medizinische Produkte und Behandlungen in diesem Bereich sind seit Jahrzehnten nicht mehr aktualisiert worden, sagt sie. Das liegt zum Teil an der fehlenden Finanzierung der Frauengesundheitsforschung, aber auch an «einem gewissen Sexismus in der Forschung», meint Lea. «Die Folge ist, dass sich Frauen, die die Hälfte der Bevölkerung ausmachen, in Situationen wiederfinden, in denen ihre Probleme nicht wirklich gelöst sind.» Leas Vision für AVA ist es, zu Veränderungen in den verschiedenen Lebensphasen der Frauen beizutragen: nicht nur vor und während der Schwangerschaft, sondern auch im Bereich der Schwangerschaftsverhütung und in den Wechseljahren. Noch ist das Sensorarmband nicht als Verhütungsmethode zugelassen. Die Entwickler von AVA arbeiten aber daran.
Weibliche Führungsrolle
Lea gehört zu den vergleichsweise wenigen Unternehmensgründerinnen. In der Schweiz werden lediglich rund 14,5 Prozent der Unternehmen von Frauen gegründet. Damit es mehr weibliche Führungskräfte in Hightech-Unternehmen gibt, braucht es mehr Frauen in den traditionellen MINT-Studiengängen, sagt Lea. Ausserdem haben Frauen mehr Mühe, das typische Verhalten eines Unternehmensgründers mit dem Verhalten zu vereinbaren, das sie für erwünscht halten, ergänzt sie. «Sie müssen lernen, dass die typischen Qualitäten, die man als Unternehmer braucht, nicht schlecht für sie sind.
Lea ist eine geborene Führungspersönlichkeit. «Es macht mir Freude, ein Unternehmen zu leiten, aber ich könnte mir auch vorstellen, etwas anderes zu machen. Ich bin nicht eine dieser Unternehmerpersönlichkeiten, die denken, dass Selbständigkeit das einzig richtige für sie ist.» Ein Team zu betreuen ist das, was ihr bei ihrer täglichen Arbeit im Moment am meisten Spass macht. «Vor einem Jahr habe ich die meisten Dinge noch alleine gemacht. Vor zwei Jahren habe ich alles selbst gemacht. Es kommen immer mehr Menschen dazu, die immer mehr von deiner Arbeit übernehmen, und es ist faszinierend, wie das dein Tätigkeitsfeld verändert. Jedes Jahr machst du ganz andere Dinge, und das ist wirklich spannend.»