Die Schiffswerft von Nha Trang

Auf allen Ozeanen präsent: 75 Jahre Schweizer Handelsmarine

Die Schweizer Hochseeflotte wurde während des Zweiten Weltkriegs gegründet, um die Versorgung des inmitten eines verwüsteten Europas zunehmend isolierten Landes zu sichern. Dieses Jahr feiert sie ihr 75-jähriges Bestehen.

Sie tragen Namen wie «Général Guisan», «Matterhorn», «Andermatt», «Moléson», «Romandie», «Aventicum» oder «San Bernardino». Es sind Massengutfrachter, die Weizen, Kohle, Stahl oder Bauxit transportieren, oder Chemikalientanker, die Säuren oder Raffinierieerzeugnisse über die Weltmeere tragen. Die Schiffe versorgen längst nicht mehr nur die Schweiz, via Rotterdam und Basel, sondern sind je nach Bedarf weltweit unterwegs.

Am 9. April 1941 rief der Bundesrat die Seeschifffahrt unter Schweizer Flagge ins Leben, mit Basel als (doch sehr theoretischem) Heimathafen. Der erste Frachter unter Schweizer Flagge trug den Namen «Calanda» und befand sich im Besitz der Schweizerischen Reederei AG. Derzeit betreiben sechs Reedereien – drei in der Deutschschweiz und drei in der französischen Schweiz mit Sitz am Genfer See – die insgesamt 49 Handelsschiffe unter Schweizer Flagge.

Die Schweizer Handelsmarine schickt heute mehr Schiffe unter Schweizer Flagge um den ganzen Globus als je zuvor.

Die 'Tzoumaz'

Die grössten je gebauten Schiffe

Mit ihren 87 000 Tonnen sind die «Tzoumaz», die «Diavolezza» und die «Bregaglia» die grössten Schiffe, die jemals für die Schweizer Handelsmarine gebaut wurden. Zum ersten Mal in 75 Jahren gab eine Reederei, die Suisse-Atlantique SA, die Schiffe bei einer Werft in Vietnam in Auftrag. Mit einer Grösse von 240 m Länge und 38 m Breite sind diese Schiffe so bemessen, dass sie die neuen Schleusen des Panama-Kanals passieren können, die dieses Jahr eröffnet werden. Ihr Neupreis liegt bei rund 33 Millionen Franken oder US-Dollar. Ihr Verbrauch beläuft sich auf rund 20 Tonnen Schweröl pro Tag! Die Schweizer Handelsmarine hat nie Öltanker besessen, aber sechs  Containerschiffe, die schliesslich von ihrer Reederei, Swiss- Atlantique SA, verkauft wurden.

The Panama Canal
Der Panamakanal (auf dem Bild die Schleuse von Miraflores) feiert diesen Sommer ein Grossereignis, die Eröffnung einer neuen Schleuse, welche die Durchfahrt von Frachtschiffen der Grösse einer Post-Panamax (bis zu 427 m Länger und 55 m Breite) erlaubt.
© Mike Gorsky

Mehr Schiffe, aber weniger Seeleute

In den 75 Jahren ihres Bestehens hat die Schweizer Handelsflotte ruhige und stürmische Zeiten erlebt. Während des Zweiten Weltkriegs wurden mehrere Schiffe (die «Chasseral», die «Maloja», die «Generoso» und die «Albula» ) von den kriegsführenden Parteien bombardiert und beschossen bzw. liefen im Süden Frankreichs auf Minen auf.

Andere Frachter setzten bei gefährlichen Rettungen von Schiffbrüchigen das Leben der Matrosen und Offiziere aufs Spiel. So barg die «Celerina» von Suisse-Atlantique im Jahr 1962 die 76 Passagiere und die Besatzung einer Super Constellation der amerikanischen Armee, die im Atlantik zur Notwasserung gezwungen war.

Heute zählt die Schweizer Flotte mehr als 50 Frachtschiffe, aber nur ein noch ein halbes Dutzend Matrosen mit Schweizer Pass. Im Jahr 1967, als sich der Bund noch am Ausgleich der Differenz zwischen den Löhnen der Seeleute und den an Land bezahlten Löhnen beteiligte, waren es noch über sechshundert gewesen, darunter zwölf Kapitäne.

'SCT Monte Rosa'
In Port Said, am Eingang des Suezkanals, lässt sich die Besatzung der «SCT Monte Rosa» Lebensmittel und Getränke für die Überfahrt nach Indien liefern.
© Mike Gorsky

Ein einziger Schweizer Kapitän

Das international niedrige Lohnniveau, die weit entfernten Häfen und die  kurzen Hafenaufenthalte – oft fernab der Städte –  halten junge Schweizer davon ab, dem Ruf der Ferne zu folgen. Seit der Pensionierung des Waadtländers Pierre Schwarb im Jahr 2015 ist nur noch ein Schweizer, der in Argentinien lebende José Luis Schaefli, als Kapitän tätig. Es gibt aber junge Offiziere, die eine maritime Ausbildung absolvieren. Im Gegensatz zu den Filipinos, Ukrainern, Russen und Kroaten, die den Grossteil der Besatzungen stellen, sind die Schweizer nicht als Matrosen geboren. Sie werden es durch Talent und harte Arbeit, wie der Kapitän Fritz Gerber, ein Berner Oberländer, der Offiziersaspirant auf den grossen Kap-Hoorn-Seglern und Walfänger in der Antarktis war. Andere Schweizer Offiziere waren 40 Jahre lang für die Schweizer Handelsmarine tätig, darunter der Waadtländer Charles Pichard.

Grösste Flotte aller Binnenländer

Die Schweiz verfügt über die grösste Flotte unter den Ländern ohne eigenen Zugang zum Meer, gefolgt von der Mongolei. Ihr Anteil an der Welttonnage beträgt 1 Promille. Die unter Aufsicht des Schweizerischen Seeschifffahrtsamts (SSA) stehende Schweizer Flotte liegt weltweit auf Platz 59 der 175 Staaten, die über Hochseeschiffe verfügen. Die Flaggenrechtsbestimmungen sind sehr streng: Der Schiffseigner muss die schweizerische Nationalität besitzen, das Aktionariat muss zu 51 Prozent in der Schweiz Wohnsitz haben, und für den Verkauf eines Schiffs gilt eine Sperrfrist von drei Jahren. Die Schweizer Handelsmarine muss im Kriegs- oder Krisenfall die Landesversorgung gewährleisten. «Grundprinzip der Landesversorgung ist, dass die Bevölkerung der Schweiz während sechs Monaten völlig autark leben kann. Wenn die Schweiz von ausländischen Frachtschiffen abhängig ist, kann dieser Auftrag nicht erfüllt werden», sagt Eric André, Präsident des Verbandes Schweizerischer Seereedereien.

SCT Monte Rosa
An Bord der «SCT Monte Rosa», einem 20 t schweren Chemietanker der Zürcher Reederei Swiss Chemical Tankers. Der Frachter transportiert via Suezkanal Phosphorsäure von Marokko nach Indien.
© Mike Gorsky

«Marine suisse: 75 ans sur les océans», von Olivier Grivat und Mike Gorsky, 168 Seiten, Editions Imagine, Genf, April 2016