Die Suonen oder Wasserleiten stellen heute eine touristische Attraktion dar
Die Suonen oder Wasserleiten gelten als Wahrzeichen der Walliser Landschaft und sind Meilensteine der Sozialgeschichte des Kantons. Sie wurden zwischen dem 13. und 20. Jahrhundert an den steilen Hängen und in den Seitentälern errichtet.
Umstrittene Herkunft
Über den Ursprung der Suonen gibt es viele Ansichten. Erste schriftliche Hinweise auf ihre Existenz finden sich in Dokumenten aus der Mitte des 13. Jahrhunderts. Aus historischen Dokumenten jener Zeit geht hervor, dass beim Bau einer Bisse jeweils auf die Existenz bestehender Wasserleiten verwiesen wird, was vermuten lässt, dass es noch ältere gibt. Der Walliser Historiker Pierre Dubuis hat dennoch eine andere Erklärung für den Bau dieser Bewässerungskanäle. Bis Mitte des 14. Jahrhunderts wurde im Wallis vorwiegend Getreide angebaut, das ohne Bewässerung auskam. Durch eine Pestepidemie um 1350 wurde die lokale Bevölkerung dezimiert und in der Folge der Ackerbau schrittweise aufgegeben. Aus den landwirtschaftlichen Flächen wurden Weiden und Mähwiesen, die den Weg für die Viehwirtschaft ebneten. Diese Form der Landwirtschaft liefert proteinhaltigere Nahrung, ist jedoch auf eine intensive Bewässerung angewiesen. Die geografische Beschaffenheit des Kantons Wallis und sein durch den damaligen Klimawandel bedingtes trockenes Klima zwangen die Bewohner des Vieux-Pays zum Bau von Bewässerungskanälen, den sogenannten Suonen. Das Wasser holten sie in den Flüssen am Ende der Seitentäler und leiteten es bis zu ihren Weidegebieten. Entstanden war eine erste Form von intensiver Landwirtschaft. Denn während der Hauptsaison wächst auf den bewässerten Feldern nicht nur das Gras für die weidenden Tiere, sondern auch das nötige Futter für die Wintermonate in Form von Heu.
Regionale Bezeichnungen
Aus schriftlichen Zeugnissen geht hervor, dass überall im Kanton zur gleichen Zeit Suonen errichtet wurden. Je nach Region trugen sie anfänglich unterschiedliche Bezeichnungen. Im Unterwallis wurden sie «Rais, Raye» genannt. Im Mittelwallis sprach man ursprünglich von «bief», daraus wurde das Wort «Bisse», das weit verbreitet ist und verschiedene Kurzformen kennt: «Bai, Bi, Bie, Bis, Bye». Heute wird in den französischsprachigen Regionen hauptsächlich das Wort «bisse» verwendet, während im deutschsprachigen Oberwallis die beiden Bezeichnungen «Suonen» und «Wasserleite» sehr verbreitet sind.
Die Suonen – Quelle von Konflikten
Über die Jahrhunderte gab es zahlreiche regionale Konflikte rund um die Bewirtschaftung der Suonen, die nicht selten blutig endeten. Zur Beilegung der Spannungen zwischen den verschiedenen Gemeinschaften mussten häufig Bischöfe oder die Freiherren jener Zeit eingreifen. Wasser gilt auch heute noch als Gemeingut, weil unser Überleben davon abhängt. Da die Bodenrechte früher nicht so gut geregelt waren wie heute, waren Konflikte unter den Nachbargemeinden vorprogrammiert.
Gemeinschaftliche Bauwerke
Für den Bau dieser häufig spektakulären Bauwerke – viele sind in schroffe Felshänge eingebaut – schlossen sich die betroffenen Gemeinden in Vereinen zusammen, die auch Geteilschaften genannt wurden und zum Teil noch heute bestehen. Die Mitglieder der Geteilschaft, die sogenannten Geteile, beteiligten sich am Bau der Bisse, indem sie ihre Arbeitskraft zur Verfügung stellten. Ihre Arbeitsleistung wurde im Verhältnis zu ihrer landwirtschaftlichen Fläche berechnet. Andere Suonen wurden von den Burgergemeinden errichtet. Sie setzten sich aus den Grundeigentümern einer Gemeinde zusammen und waren für die kollektive Verwaltung der Güter zuständig. Ihre Regeln zur Bereitstellung von Arbeitskräften waren ähnlich wie diejenigen der Geteilschaften. Seltener wurden Bissen auf Initiative eines Freiherrn jener Zeit erbaut, der die Arbeiter bezahlte, die am Bau mitarbeiteten.
Unternehmergeist
Der Bau von Bissen war häufig ein bedeutendes und gefährliches Unterfangen. Das Ausmass solcher Vorhaben können wir uns nur vorstellen, wenn wir uns in jene Zeit und in die verschiedenen Bauepochen versetzen und uns die wenigen und einfachen Werkzeuge wie Schaufel und Spitzhacke vor Augen führen oder die Baumaterialien wie Holz und Seile, die zum Befestigen der einige Hundert Meter über dem Abgrund aufgehängten Kännel dienten. Und natürlich kamen dabei nur Muskelkraft und Geschick zum Einsatz. Es brauchte echten Pioniergeist für diese Vorhaben. Einige bezahlten mit ihrem Leben.
Die meisten Suonen sind zwischen 5 und 10 Kilometer lang. Die Suone von Saxon ist mit 28 Kilometern die längste. Sie holt ihr Wasser aus der Prinzte in Siviez/Nendaz und führt es bis in die Höhen von Saxon. Die zweitlängste Bisse des Wallis ist diejenige von Levron oberhalb von Verbier. Sie liegt zwischen 2400 und 1900 Meter Höhe und misst 18 Kilometer.
Über das ganze Kantonsgebiet verteilt
In allen Höhenlagen und Regionen finden wir Bissen. Bis zu Beginn des 20. Jahrhundert wurden noch über 200 Suonen genutzt, was einer Gesamtlänge von 1800 Kilometern entspricht. Sie wurden regelmässig unterhalten, und die Nutzung war streng geregelt. Jede Bisse wurde von einem Hüter überwacht, der manchmal in einer Hütte neben dem Wasserlauf wohnte. Einige dieser Hüterhäuschen sind noch heute vorhanden. Der Hüter musste den Wasserlauf und die Verteilung des Wassers aufgrund der Bewässerungsrechte der Nutzungsberechtigten kontrollieren.
Die Bissen – eine touristische Attraktion
Heute sind viele Bissen verschwunden. Sie mussten der Modernisierung und dem Wirtschaftswandel weichen. Wenn wir die Landschaft betrachten, sehen wir an gewissen Orten noch Überreste und können uns den Verlauf der Suonen vorstellen. Für die lokale Bevölkerung sind die nach wie vor intakten Bissen von grossem Interesse, stellen sie doch touristische Attraktionen dar. Aus diesem Grund werden sie von gemeinnützigen Organisationen instand gesetzt und unterhalten.
Auf der Website www.les-bisses-du-valais.ch/de/ sind die für Wanderungen interessanten Suonenrouten aufgeführt. Sie führen durch die einzigartige Landschaft des Wallis. Die Website gibt Hinweise über Dauer und Schwierigkeitsgrad der Wanderungen. Die Pfade entlang der Bissen sind relativ leicht, die meisten sind flach oder nur mit geringen Steigungen.