West of Juba, camp of Dulamaya. A distribution of seeds and tools kits is about to start. Displaced families are starting to gather close to an ICRC vehicule.

Genfer Konventionen: 70 Jahre und noch immer aktuell

Mit der Schweiz verbindet man gerne Schokolade, Uhren und idyllische Landschaften. Sie zeichnet sich aber auch durch ihr humanitäres Engagement aus. Sie spielte namentlich bei der Verabschiedung der Genfer Konventionen, deren 70-jähriges Bestehen in diesem Jahr gefeiert wird, eine entscheidende Rolle. Seit der Verabschiedung im Jahre 1949 konnten dank dieser Abkommen in bewaffneten Konflikten unzählige Menschenleben gerettet werden. Die Durchsetzung der Konventionen braucht jedoch viel Beharrlichkeit. Ein Experte und eine Expertin der Humanitären Hilfe berichten von ihren Felderfahrungen.

Die Genfer Konventionen bilden das Fundament des humanitären Völkerrechts und gelten für bewaffnete Konflikte. Sie schützen im Wesentlichen Personen, die sich nicht oder nicht mehr an Feindseligkeiten beteiligen. Sie definieren ausserdem minimale Verpflichtungen für interne bewaffnete Konflikte. 

Alle Staaten der Welt haben sich heute zur Einhaltung der Konventionen verpflichtet. Diese universelle Verpflichtung zur Menschlichkeit zeigt, wie wichtig das Völkerrecht ist. Sie ist die Erfolgsgeschichte des Multilateralismus.

Eric Marclay, head of Swiss international cooperation in South Sudan, during a visit to a project in Mundri. © SDC

Auch wenn dank der Konventionen die Gräuel des Krieges kleiner geworden sind, steht das humanitäre Völkerrecht vor immer grösseren Herausforderungen: Entwicklung neuer Waffen, zunehmende Urbanisierung bewaffneter Konflikte, Vervielfachung der involvierten Konfliktparteien usw. 

Im Südsudan beispielsweise leidet die Zivilbevölkerung unter den Folgen des Bürgerkriegs, den sich seit 2013 die Regierung und mehrere bewaffnete Gruppierungen liefern. Der junge Staat, der erst 2011 die Unabhängigkeit erlangte, erlebt eine schwere humanitäre Krise. Über sieben Millionen Menschen benötigen Hilfe (Wasser, Nahrung, Schutz), was zwei Dritteln der Bevölkerung entspricht. Es kam zu zahlreichen Verstössen gegen das humanitäre Völkerrecht.

Im Dorf Ogossagou Dogon. Nahrungsmittelverteilung durch das IKRK. © IKRK
Im Dorf Ogossagou Dogon. Nahrungsmittelverteilung durch das IKRK. © IKRK

 

Laut Eric Marclay, Chef der internationalen Zusammenarbeit der Schweiz (IZA) im Südsudan «sind mangelnde Kenntnisse des Kriegsvölkerrechts und insbesondere die völlige Straflosigkeit der Urheber von Verstössen gegen die Genfer Konventionen eine grosse Herausforderung». Der Vertreter der Schweiz und sein Team setzen sich tagtäglich für die Einhaltung der Konventionen ein. «Wir müssen eine dauerhafte Veränderung des Verhaltens und der Handlungen erwirken. In diesem Sinne rennen wir einen Marathon und keinen Spurt», präzisiert er. 

Der frühere Delegierte des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) ist der Auffassung, dass die Glaubwürdigkeit der Schweiz in diesem Bereich, ihre Verantwortung gemäss Artikel 1, der in allen Genfer Konventionen[1] enthalten ist, und ihre Tradition der humanitären Hilfe für den Dialog mit unseren Gesprächspartnern von grösster Bedeutung sind. So hat die Schweiz zum Beispiel in Bezug auf die Frauen immer wieder die erwiesenen und wiederholten Verstösse gegen das humanitäre Völkerrecht verurteilt.

Die Herausforderungen mögen riesig, die Hürden zahlreich sein. Aber bei der uneingeschränkten Achtung des humanitären Völkerrechts gibt es keine Kompromisse

, bekräftigt Eric Marclay.

Diana ist eine Lokalangestellte des Schweizerischen Kooperationsbüros in Südsudan. Sie arbeitet an Projekten zum Schutz von Überlebenden von Gewalt sowie mit der örtlichen Community, um die Sicherheit der vom Konflikt betroffenen Zivilbevölkerung zu verbessern.
Diana ist eine Lokalangestellte des Schweizerischen Kooperationsbüros in Südsudan. Sie arbeitet an Projekten zur Unterstützung von Überlebenden von Gewalt sowie mit der örtlichen Community, um die Sicherheit der vom Konflikt betroffenen Zivilbevölkerung zu verbessern.

 

Mangelnde Kenntnisse und Nichteinhaltung der Genfer Konventionen sind nicht nur im Südsudan ein Problem. Martina Durrer beobachtet Ähnliches in Mali. «Es gibt keine Garantie für die Einhaltung der humanitären Grundsätze und der Konventionen, weshalb jede Woche zahlreiche Menschen ums Leben kommen», berichtet die stellvertretende Chefin IZA in Bamako. 

Seit 2012 herrscht im Norden Malis Gewalt, die sich allmählich ins Zentrum des Landes ausgebreitet hat. Trotz eines 2015 unterzeichneten Friedensabkommens liefern sich nach wie vor mehrere bewaffnete Gruppen Gefechte um die Vorherrschaft, darunter Dschihadisten. Dazu kommen Konflikte zwischen den Gemeinschaften, die die ohnehin komplizierte Lage weiter verschärfen. Die Auseinandersetzungen verursachen bei den 7,2 Millionen Menschen grosses Leid und schwere Traumata.

Indem wir auf die Einhaltung der humanitären Grundsätze pochen, setzen wir unseren Auftrag durch: Leben retten und Leid lindern

, sagt Martina Durrer. «Beim Zugang zu Menschen in Not verschafft uns das humanitäre Völkerrecht ein gewisses Mass an Schutz.» Trotzdem konnten die Angriffe vom Juni 2019 in der Region Mopti (Zentralmali) leider nicht verhindert werden. Zahlreiche Zivilpersonen wurden dabei getötet.

Zahlen und Fakten

4 Genfer Konventionen  

196 Vertragsstaaten: Die Genfer Konventionen gehören zu den am breitesten ratifizierten Verträgen  

221 Angriffe auf Mitarbeitende der humanitären Hilfe im Jahr 2018, davon 55 im Südsudan 

70’800’000 Menschen mussten weltweit ihre Häuser verlassen, namentlich aufgrund von Konflikten und Verfolgung  

131’700’000 Menschen benötigen humanitäre Hilfe

© EDA, Präsenz Schweiz
© EDA, Präsenz Schweiz

[1] Die Hohen Vertragsparteien verpflichten sich, das vorliegende Abkommen unter allen Umständen einzuhalten und seine Einhaltung durchzusetzen.