Geschichte, Kultur und Lebensfreude: die Genfer «Fête de l’Escalade»
Die «Fête de l’Escalade» wird traditionellerweise an dem Wochenende gefeiert, das am nächsten beim 11. und 12. Dezember liegt. Seit vielen Jahrzehnten lockt dieses Volksfest Gross und Klein in die Genfer Altstadt, wo ein bunter Reigen historischer und kultureller Anlässe geboten wird: ein Freudenfeuer, ein Kostümumzug, eine Gedenkfeier sowie Alltagsszenen aus dem 17. Jahrhundert, um nur einige der Attraktionen zu nennen, mit denen Genf ein Woche-nende lang aufwartet!
Eine Stadt im Festfieber
Diesem beliebten Grossanlass fiebern sowohl Genferinnen und Genfer als auch Freunde der Stadt entgegen. Den Auftakt zu den von der «Compagnie de 1602», einem historischen Verein, organisierten Festlichkeiten bildet eine würdevolle Gedenkfeier am Freitagabend. Bereits am Samstagmorgen ist das Strassenfest in vollem Gange: Man gönnt sich eine Gemüsesuppe oder einen Glühwein, bekommt Einblick in die Arbeit eines Schmieds, geniesst musikalische Darbietungen oder Kampfszenen mit historischen Waffen, besucht historische Stätten und lauscht Vorträgen und Lesungen. Viele Einheimische schlüpfen in Kostüme, um jenes Ereignis zu feiern, das vor über 400 Jahren die Geschichte der Rhonestadt grundlegend geprägt hat.
Geschichtlicher Hintergrund
Wir schreiben das Jahr 1602. Herzog Karl Emmanuel I. von Savoyen, der seit Jahren ein Auge auf Genf geworfen hat, besitzt den perfekten Eroberungsplan. In der Nacht vom 11. auf den 12. Dezember soll eine dreihundert Mann starke bewaffnete Vorhut mit zerlegbaren Leitern die Stadtmauern erklettern. Ihre Aufgabe ist es, den 2000 Soldaten, die vor den Stadtmauern geduldig warten, die Stadttore zu öffnen. Es ist kalt. Kein einziger Wächter ist in Sicht. Den Savoyern gelingt es, in die Stadt einzudringen. Doch plötzlich beschliesst ein Genfer Wächter, einen Wachrundgang zu machen und stösst auf die Eindringlinge! Ein Schuss aus seiner Hakenbüchse schlägt Alarm, und schon bald läuten alle Kirchenglocken und wecken die Bevölkerung. In wenigen Minuten greifen Männer und Frauen zu den Waffen und verteidigen sich gegen die Angreifer. Ein Genfer, der bemerkt hat, dass die Vorhut die Stadttore für die Truppen aufbrechen will, lässt das eiserne Fallgatter hinunter. Die Savoyer sitzen in der Falle, der Handstreich ist gescheitert.
Umzug in historischen Kostümen
Die vernichtende Niederlage der Savoyer erfüllt die Genfer zwar mit Stolz, doch im Verlauf der Jahrhunderte wurde dieses Ereignis immer wieder kontrovers diskutiert. Dennoch hat dieser manchmal gefeierte, manchmal stillschweigend übergangene Vorfall die Geschichte der Stadt geprägt. Seit mehreren Jahrzehnten lässt deshalb die «Compagnie de 1602» während eines Wochenendes mit einem vielfältigen Programm die Traditionen aus jener Zeit erneut aufleben. So kann man beispielsweise einem Steinmetz bei der Arbeit zusehen oder alte Kinderspiele spielen, Lampions kaufen, einem Pfeifen- und Trommelkonzert beiwohnen usw. Den Höhepunkt bildet aber zweifelsohne der Umzug am Sonntagabend mit rund 800 Personen in historischen Kostümen. Während sich der Festzug durch die Gassen der Altstadt bewegt, verkündet der Herold hoch zu Ross und in altem Dialekt den Sieg über die Savoyer. Der Umzug endet schliesslich vor der Kathedrale im Schein eines riesigen Freudenfeuers.
Die «Marmite», der legendäre Suppenkessel der Mère Royaume
Unter den Legenden, die sich um dieses Fest ranken, ist der Suppenkessel der Mère Royaume die wohl bekannteste. Diese etwa sechzigjährige Familienmutter soll einen Kessel mit heisser Gemüsesuppe aus dem Fenster geworfen und damit einen savoyischen Angreifer ausser Gefecht gesetzt haben. Auf diesem historisch nicht verbürgten Ereignis gründet der Genfer Brauch, einen mit Knallbonbons und Marzipangemüse gefüllten Schokoladenkessel zu zerbrechen. Diese süsse «Marmite» ist zum eigentlichen Symbol des Festes geworden, sehr zur Freude von kleinen und grossen Schleckmäulern! Der Mère Royaume wiederum gebührt die Ehre, den Umzug zu eröffnen, gemeinsam mit der Edelfrau Piaget, die den Genfern den Schlüssel zu ihrem Haus zugeworfen und ihnen so geholfen haben soll.