Dezemberbräuche in der Schweiz
Der Dezember: Magisch, festlich, lichtvoll – doch manchmal bricht sich auch das Unheimliche Bahn. Zum Jahresausklang feiern wir bekanntlich besonders ausgiebig. Zuallererst jene Feste, die von christlichen Traditionen ausgehen: Sankt Nikolaus („Samichlaus“) und Weihnachten.
Andere Bräuche sind der Arbeit der Bauern und Landwirte gewidmet, etwa in der Romandie, wo der Buche de Noël schon auf die Feldarbeit im kommenden Frühjahr verweist. Wieder andere haben mit der uralten Angst vor den dunklen Winternächten zu tun. In früheren Zeiten glaubten die Menschen, das Tor zum Reich der Geister und Toten stehe in den Rauhnächten rund um den Jahreswechsel weit offen… Gegen dieses „wilden Heer“ nützten nur Gegen- und Abwehrzauber. Das Prinzip ist simpel: Mit ohrenbetäubendem Lärm und furchterregenden Masken einfach noch schrecklicher daherkommen als die Dämonen der Finsternis und sie so vertreiben, notfalls auch mit Feuer und Wacholder... Aber weshalb feiern wir im Herbst und im Winter mehr Feste als im Sommer? Nicht zuletzt, weil die Bäuerinnen und Bauern, die Sennen- und Hirtenfamilien über die Sommermonate kaum eine freie Minute hatten. Erst wenn die Arbeit auf den Feldern und Alpweiden ruhte, hatten sie Musse, Feste vorzubereiten: zu sticken und zu nähen, Masken zu schnitzen und zu bemalen, Musik zu machen und allerlei Köstliches zu backen. Bräuche machen das Leben bunter und schöner. Sie sind Glanzlichter im Alltag, sie gliedern das Jahr. Gerade in der kalten Winterzeit berühren sie Herz und Seele. Was gibt es Schöneres, als gemeinsam zu feiern!
SAMICHLAUS-BRÄUCHE
Allerdings hat sich Sankt Nikolaus seither immer wieder verändert. Manchmal erscheint er als gemütlicher Mann mit Bauch und Pausbacken. Er kann aber auch streng sein und mit ungehorsamen Kindern schimpfen, wenn sie etwa die Zähne nicht gründlich genug putzen. Aber eigentlich immer trägt er einen roten Mantel und einen weissen Rauschebart. Beim Samichlaus-Besuch sagen die Kinder ein Sprüchlein auf und bekommen dafür Mandarinen, Nüsse, Schokolade, vielleicht sogar einen Lebkuchen.
Der Samichlaus von heute nutzt viele verschiedene Fortbewegungsarten: In Freiburg sitzt er auf seinem Esel Balabou. In Näfels wird er mit der Kutsche aus dem Wald abgeholt. In Brunnen kommt der Samichlaus mit dem Boot über den See. In Interlaken nimmt er den Zug. In Basel und Zürich schwingt er sich manchmal sogar auf ein Motorrad.
Chlaus-Eseln in Oberägeri und Unterägeri
In Oberägeri und Unterägeri klopfen die Schulkinder mit hölzernen, selbst gebastelten Eselsköpfen auf langen Stäben an die Fensterscheiben. Geschickt lassen sie mit Hilfe eines Schnurzugs die Kiefer auf- und zuschnappen: Der Esel hat Hunger, er wartet auf Gaben! Ein Stoffsäcklein ist dafür extra ins Maul eingebunden, da hinein werden Lebkuchen, Bonbons, Schokolade und Geldstücke gesteckt.
Klausenjagen in Küssnacht am Rigi
Die Klausenjäger unterwegs: 1400 Männer und Knaben im weissen Hirtenhemd und mit Glocken ausgestattet. Ihnen folgen die Lichtkläuse mit ihren mächtigen Kopfaufsätzen (Ifflen) – gefertigt aus Karton und Seidenpapier und von innen mit Kerzen beleuchtet. Im Tanzschritt rücken sie vor. Wie wandelnde Kirchenfenster sehen sie aus.
WEIHNACHTSBRÄUCHE
An Weihnachten feiern wir die Ankunft Christi auf Erden. An diesem Tag leuchtet alles festlich. Musik liegt in der Luft. Die Kirchen sind voll und die Menschen geniessen die festliche und freudige Stimmung. Im Familienkreis lassen Weihnachtsbaum, Weihnachtslieder, Gebäck, das Festessen und die Geschenke die Herzen von Klein und Gross höherschlagen.
Bûche de Noël in der Romandie
So hübsch ist dieser Kuchen, dass man sich fast nicht traut, ihn anzuschneiden. Ein Baumstamm aus Biskuit und Buttercreme, mit Schokoladerillen statt Rinde, verziert mit Käfern, Blättern und Pilzen aus Marzipan. Früher haben sich die Bauernfamilien um den Kamin versammelt, ein grosses Holzscheit verbrannt und die Asche auf dem Feld ausgestreut – als Dank für die Ernte und in der Hoffnung auf ein fruchtbares neues Jahr. Heute haben längst nicht mehr alle Leute ein offenes Feuer im Haus und Felder vor dem Haus schon gar nicht. Deshalb wird als Ersatz diese Süssigkeit am festlich gedeckten Tisch serviert.
Biciocada in Morcote
In Morcote versammeln sich in den neun Tagen vor Weihnachten und am Heiligabend Menschen im Glockenturm. Der hat sogar einen Kamin. Und alle bringen etwas mit: eine Flasche Wein, Würste oder ein Stück Käse. Einer nach dem anderen steht vom Tisch auf, klettert die Leiter hoch und schlägt von Hand mit dem Klöppel einfache, aber festliche Melodien an den Glocken.
Nünichlingler in Ziefen
Ein Nünichlingler kann sich nie und nimmer alleine kostümieren. Der bis zu 4 Meter hohe Kartonzylinder wird mit Latten und Bändern befestigt, das braucht helfende Hände. Vorne gehen die Riesenhüte, in der Mitte die Zylinder, hinten die normalen Hüte. An Heiligabend, beim neunten Schlag der Kirchenglocke, setzt sich der gespenstische Zug in Bewegung. Glocken erschallen im Takt der Schritte. Zuvorderst geht der «Bäsemaa» mit weissem Bart und einer langen Stange, an der ein russiger Lappen hängt. Wer den Nünichlinglern zu nahe kommt, kriegt eine geklatscht. Nach einer Dreiviertelstunde endet der Spuk und die Nünichlingler verziehen sich in die Dorfbeizen.
Appenzeller Chlause-Züüg
Wenn es einmal etwas anderes sein soll als ein klassisch geschmückter Weihnachtsbaum, wissen die Appenzeller und Appenzellerinnen Rat: Der «Chlause-Züüg» besteht aus einem Holzgerüst und essbarem Schmuck – Chlause-Bickli (verzierte Lebkuchen), Devisli (Zuckergebäck) und Äpfel. Dieser «Baum» wird in der Adventszeit Stück für Stück aufgebaut. An Weihnachten ist er fertig und der Blickfang in jedem Wohnzimmer, jedem Schaufenster, jeder Wirtsstube.
Räuchle in Appenzell Innerrhoden
Bernsteinfarben sind die Weihrauchkörner. Auf glühende Kohlen gelegt, verströmen sie ihren unverwechselbaren süsslichen Duft. Mit einem Rauchfass oder einer Räuchlipfanne werden Wohnräume, Werkstätten und Ställe gesegnet. «Räuchle» nennen die Appenzeller und Appenzellerinnen das. Psst, in der Heiligen Nacht sollen die Tiere in den Ställen sprechen können. Also leise sein und lauschen, was sie zu erzählen haben.
SILVESTERBRÄUCHE
Zum Jahreswechsel ist es Zeit für eine grosse Party: Her mit Feuerwerk, Tischbomben, Champagner für die Grossen und Traubensaft «mit Blööterli» für die Kleinen! Allerdings ging es nicht immer so ausgelassen zu und her. Früher ging in den zwölf «Raunächten» zwischen Weihnachten und Dreikönigstag die Angst um. Die Menschen glaubten, dass in dieser Zeit das Tor zum Geisterreich sperrangelweit offenstehe: Böse Geister und die Seelen der Toten fegen als «wildes Heer» durch die Lüfte. Das Feuerwerk von heute, die Raketen und Böllerschüsse zeugen noch davon, dass man sich das Unheimliche mit Lärm und Licht vom Leib halten wollte. In manchen Bräuchen ist noch etwas vom Schrecken der «Raunächte» zu spüren.
Römpelfeuer in St. Gallen
Furchterregende Gestalten vertreiben einen noch übleren Gesellen: Man nennt das «Abwehrzauber». Das Römpelfeuer ist so ein Brauch. Der Ritter von Rappenstein, so die Sage, wurde aufgrund seiner grausamen Taten verflucht und für alle Ewigkeit in eine Schlucht verbannt. Nur in der Silvesternacht kommt er frei und reitet auf einem Schimmel in die Stadt hinein. Doch da sind die Römpler, die sich ihm entgegenstellen. Sie veranstalten einen Riesenlärm mit Rätschen und Glocken. Sie singen Beschwörungslieder und tanzen mit Masken aus Tierknochen und Tierzähnen um ein Feuer. Und sie verbrennen den Römpel – eine hässliche vogelscheuchenartige Figur, die den Rappensteiner darstellt. So wird der Unhold zurück in sein Tobel getrieben, bis zum 30. und 31. Dezember nächsten Jahreswechsel…
Achetringeler in Laupen
«Si chöme, sie chöme!» Ein Zug wilder Gesellen wälzt sich vom Schloss hinunter in die Altstadt, an der Spitze gehen ein Anführer und zwölf «Bäsemanne». Schon die Ausstattung wirkt einschüchternd: Holzmasken, dazu ein mächtiger Wacholderbesen auf der Schulter und «Söiblatere» (Schweineblasen) am Gürtel. Dahinter folgen die «Glöggler» und machen ohrenbetäubenden Krach. Unten im Dorf bilden die Männer einen Kreis. Langsam werden die Besen gesenkt und in die Reihe der Zuschauer gestossen. So wird alles Böse verscheucht. Wacholder ist eine alte Heilpflanze. In den Bergen räuchert man mit ihrem Holz bis heute Stall und Haus aus, um Geister zu vertreiben.
Alle Auszüge stammen aus dem 2019 im NordSüd Verlag erschienenen Buch «Feste & Bräuche in der Schweiz», mit Texten von Barbara Piatti und Illustrationen von Yvonne Rogenmoser. Es lädt Sie ein auf eine Entdeckungsreise durch die Schweiz und ihre lebendigen Traditionen in allen vier Landesteilen.