Die Schweiz an den Olympischen Spielen in Peking: Wird sie besser abschneiden als in Pyeongchang?
Im Jahr 2018 holte die Schweiz an den Olympischen Spielen in Südkorea 15 Medaillen und egalisierte damit den Rekord von Calgary im Jahr 1988. Die Schweizer Delegation, angeführt vom Ausnahmetalent Marco Odermatt im Ski Alpin, hat gute Chancen, diesen Rekord im Februar 2022 in Peking zu brechen.
Der Nidwaldner Marco Odermatt (24) ist der neue König des alpinen Skisports. Vor vier Jahren, während die Olympischen Spiele in Pyeongchang in Südkorea stattfanden, errang er bei der Juniorenweltmeisterschaft in Davos einen Sieg nach dem anderen und holte insgesamt fünf der sechs Goldmedaillen. 2021 wurde er zum Schweizer Sportler des Jahres gewählt, und er hat seither seine ausserordentlichen Fähigkeiten vollauf bestätigt. Im Riesenslalom und im Super-G ist der vielseitige Skifahrer in dieser Saison eine Klasse für sich. Mit seinem zweiten Platz bei der Abfahrt in Bormio meldet er nun auch noch Ansprüche in der Königsdisziplin an.
«Marco hat eine wahnsinnige Intelligenz auf den Skiern, er weiss genau, wann und wo er die Schwünge optimal auslösen kann. Das ist ihm angeboren. Er macht seinen Gegnern Angst», schwärmt der ehemalige Schweizer Trainer Hugues Ansermoz, der den Aufstieg des Nidwaldners wie viele andere Ski-Experten gebannt verfolgt. Mit seiner Lockerheit und seinem unbekümmerten Wesen gelingt es dem jungen Mann zudem, dem Druck standzuhalten, der so viele andere Athleten lähmt. «Ich gebe alles und habe gleichzeitig Spass dabei», stellt er fest, und der Satz klingt wie sein Lebensmotto. «Heute Abend werde ich mir zur Feier des Tages ein oder zwei Bier gönnen», sagte er Anfang Januar nach seinem Triumph beim Riesenslalom in Adelboden. Kann das Spitzentalent bei seinen ersten Olympischen Spielen in Peking einen ähnlichen Erfolg wie bei der Juniorenweltmeisterschaft erzielen?
Bei den letzten Olympischen Spielen in Pyoengchang holte die Schweiz 15 Medaillen, darunter fünf Goldmedaillen, und war damit so erfolgreich wie letztmals 1988 in Calgary. Mit einem Unterschied allerdings: Das olympische Veranstaltungsprogramm, das in Kanada noch 46 Wettkämpfe enthielt, wurde seither stark ausgeweitet und umfasst mittlerweile über 100 Disziplinen. Die Schweiz hat als Favoritin in einer Vielzahl von Sportarten gute Chancen, in Peking genauso gut oder sogar besser abzuschneiden.
Von den 15 Medaillen bei den Spielen 2018 entfielen sieben auf den Ski Alpin, die Königssportart der Schweiz. In der Abfahrt wird der Berner Beat Feuz mit seinen 41 Weltcup-Podestplätzen und vier aufeinanderfolgenden Gesamtsiegen zu den Favoriten in dieser Disziplin gehören. Im Riesenslalom haben neben dem top gesetzten Marco Odermatt der ebenfalls sehr vielseitige Loïc Meillard sowie Justin Murisier, beide aus dem Wallis, realistische Medaillenchancen. Im Slalom kämpft sich der Walliser Zwei-Meter-Mann Ramon Zenhäusern, der Olympiasilbermedaillengewinner von Südkorea, nach einer Schulterverletzung, die ihn in der Vorbereitung zurückgeworfen hatte, an die Spitze zurück.
Bei den Frauen ist die 31-jährige Tessinerin Lara Gut mit mehr als 30 Weltcupsiegen die erfolgreichste Skifahrerin der Gegenwart. Nachdem schon Stimmen laut wurden, sie habe den Zenit überschritten, wurden die Weltmeisterschaften in Cortina im Februar 2021 mit drei Medaillen – darunter Gold im Riesenslalom und im Super-G – zu ihren Festspielen. An Olympischen Spielen musste sie sich bisher mit Bronze in der Abfahrt 2014 in Sotschi zufrieden geben: in Anbetracht ihres Talents eine bescheidene Bilanz. Die ehrgeizige Tessinerin hat intakte Chancen, bei ihren wahrscheinlich letzten Olympischen Spielen einen grossen Coup zu landen. Die Obwaldnerin Michelle Gisin, die vor vier Jahren in der Kombination Gold gewann, ist in der Lage, ihren Exploit zu wiederholen. Nachdem sie im letzten Sommer am Pfeifferschen Drüsenfieber erkrankt war und mehrere Wochen im Bett verbringen musste, kehrte sie mit ihrem dritten Platz im Riesenslalom von Val d'Isère an die Weltspitze zurück. Eine weitere Kandidatin für einen Podestplatz ist die Schwyzerin Wendy Holdener, die in Pyeongchang drei Medaillen holte und dennoch als «ewige Zweite» gilt: Die Slalomspezialistin ist im Weltcup schon knapp dreissig Mal aufs Podest gefahren, ohne ganz oben zu stehen. Und was, wenn die 22-jährige Walliserin Camille Rast, der aufsteigende Stern des Schweizer Skisports, die in dieser Saison sowohl im Slalom als auch im Riesenslalom an die Besten herankommt, die grosse Überraschung wäre?
Vor vier Jahren in Südkorea hatten die Genferin Sarah Höfflin und die Freiburgerin Mathilde Gremaud in der Freestyle-Disziplin «Slopestyle», bei der spektakuläre Sprünge und Tricks in mehreren Metern Höhe aneinandergereiht werden, einen fantastischen Doppelsieg mit Gold und Silber gefeiert.
In Peking werden die beiden Westschweizerinnen auf das chinesische Idol, die 18-jährige zweifache Weltmeisterin Eileen Gu treffen, die gerade auf der Titelseite von Vogue China erschienen ist. Die Show-Sportart ist beim chinesischen Publikum sehr beliebt, und das Duell zwischen der Schweiz und China wird zweifellos einer der Höhepunkte der Olympischen Spiele sein. Bei den Skiakrobaten wird auch Noé Roth zu den Favoriten zählen. Im Skicross wird die Waadtländerin Fanny Smith (30), die in Südkorea Bronze gewann, versuchen, Olympiagold zu holen – die einzige Medaille, die in ihrem glänzenden Palmarès noch fehlt. Im Snowboard gehen Julie Zogg und Ladina Jenny, die beim Weltcup-Riesenslalom in Scuol den zweiten und dritten Platz belegten, mit guten Chancen auf einen Podestplatz an den Start.
Der Bündner Dario Cologna ist eine wahre Ikone des Skilanglaufs und hat bei den letzten drei Olympischen Spielen nicht weniger als vier Goldmedaillen gewonnen. Der junge Familienvater hat angekündigt, dass die Spiele in Peking seine letzten sein werden. Im Januar beendete er die Tour de Ski vorzeitig, um sich besser auf die Olympischen Spiele vorbereiten zu können. Gelingt ihm zum Abschluss seiner aussergewöhnlichen Karriere ein letzter grosser Exploit?
Im Skilanglauf der Frauen könnte das Schweizer Duo Nadine Fähndrich und Laurienne Van der Graaf, das an der letzten Weltmeisterschaften in Obersdorf Silber im Teamsprint holte, für eine Überraschung sorgen. Die beiden Freundinnen, die seit Jahren unzertrennlich sind, waren dem ultimativen Erfolg noch nie so nahe. «Wir sind nicht immer nett zueinander, aber unsere Beziehung ist sehr ehrlich», offenbaren sie mit dem für sie typischen Humor.
Curling ist eine Sportart mit langer Tradition in der Schweiz, und Schweizer Curlerinnen und Curler haben in der Vergangenheit immer wieder für Medaillen an Olympischen Spielen gesorgt. Peter de Cruz und seine Teamkollegen vom Team Genf, die bei den letzten drei Weltmeisterschaften und in Südkorea vor vier Jahren jeweils Bronze holten, wollen in Peking mehr erreichen. Dasselbe gilt bei den Frauen für die Aargauerin Silvana Tirinzoni und ihr Team vom CC Aarau, die im letzten Winter in Calgary Weltmeisterinnen wurden.
Der Trainer des Schweizer Eishockey-Nationalteams Patrick Fischer hielt mit seinen Ambitionen nicht zurück, als er offen vom Olympia-Halbfinal sprach. Allerdings muss das Team wegen der Pandemie ohne seine Stars aus der NHL auskommen, was die Schweizer Hoffnungen dämpfen dürfte. Eine Medaille wäre eine schöne Überraschung.
Der viermalige St. Galler Olympiasieger Simon Ammann (zweifacher Goldmedaillengewinner in Salt Lake City 2002 und Vancouver 2010) wird seine siebten Winterspiele bestreiten. Wird es der bald 42-jährige Vater von drei Kindern in Peking noch einmal ganz nach oben schaffen? Bisher war sein Winter durchzogen, aber wie er schon in der Vergangenheit gezeigt hat, kann der Veteran des Skisprungzirkus an guten Tagen immer mal wieder auftrumpfen.