Electronic music

Die schweizerische Elektromusik in zehn Etappen

Unter dem Einfluss der ersten Synthesizer in den 1960er-Jahren, dem Aufkommen des Industrial in den 1970er-Jahren, der Entstehung der mythischen Musikszene Detroit Mitte der 1980er-Jahre oder der Explosion der Technoszene in Berlin nach dem Mauerfall haben mehrere Generationen von Künstlerinnen und Künstlern zur Ausstrahlung und zur hohen Qualität der schweizerischen Elektro-Szene beigetragen. Ein kleiner Streifzug durch die verschiedenen Musikepochen.

Lassen sich Sprachbarrieren dank Elektromusik überwinden? Die Frage ist nicht ohne Interesse – zunächst in technischer Hinsicht, weil es bei etwa hundert Dezibel schwierig ist, überhaupt eine Diskussion zu führen, und angesichts des Erfolgs der überall in der Schweiz alljährlich stattfindenden Events auch in künstlerischer Hinsicht. Fakt ist, dass die sich ständig entwickelnde Szene bei den keineswegs verschlafenen jungen Menschen in der Schweiz und bei den Pioniergenerationen, die musikalisch am Ball bleiben, grosse Beliebtheit geniesst. Die schweizerische Elektromusik ist generationen- und kulturübergreifend, und sie hat ihre eigenen Stars, die unser Land im Ausland stolz vertreten und in ihrem Gepäck typisch schweizerisches Know-how sowie ein Quäntchen Verwegenheit mit sich führen. Da die Clubs nicht erschöpfend aufgezählt werden können, beschränken wir uns auf eine repräsentative Auswahl.

Electronic dance music festival

Legendäre Künstler

– Yello

Fundamental! Boris Blank, zusammen mit Carlos Perón Mitbegründer der Band im Jahr 1979, spielte eine Vorreiterrolle im Bereich des Sampling und entwickelte Hunderttausende verschiedener Sounds. Die innovationsfreudige Band Yello (mit Dieter Meier) spielt nicht nur für ein Publikum von Kennern, wie der Welthit «Oh Yeah» – der Soundtrack zu «Ferris Buellerʼs Day Off» – beweist. Neben The Young Gods ist Yello sicherlich die bekannteste Gruppe der Schweiz.

– Bruno Spoerri

Bruno Spörri
Bruno Spörri © Julien Gremaud/Federal Office of Culture

Nach ersten Karriereschritten im Jazz begeistert sich der Saxophonist aus Zürich, geb. 1935, in den 1960-er Jahren für die Elektromusik. 1985 gründet der Diplompsychologe die «Swiss Society for Computer Music». Er ist Leiter zahlreicher Institutionen und Herausgeber von Büchern über die Geschichte dieser Musikrichtungen. Sein Name ist heute noch berühmt: 2013 verwendet sogar der Rapper Jay-Z – ohne Spoerris Zustimmung – den 1978 erschienenen Musiktitel «Lilith – On the Way».

– Deetron

Kaum zu glauben, aber wahr: Sam Geiser, der Künstler, der in den grössten Clubs der Welt auflegt, stammt ursprünglich aus Bern. Spezialisten sagen, dass er schweizerische Präzision mit der Seele von Detroit – dem Geburtsort der Technomusik in den 1980er-Jahren – verbindet. Sam Geiser gilt als würdiger Nachfolger von Legenden wie Kevin Saunderson und Juan Atkins. Nach Deetron kann keiner mehr sagen, dass die Schweizer nicht tanzen (oder zum Tanz auflegen) können.

– Norbert Möslang

Norbert Möslang
Norbert Möslang © Georg Gatsas

In dem 1972 mit Andy Guhl gegründeten Duo Voice Crack entwickelte der gelernte Geigenbauer aus St. Gallen, Jahrgang 1952, aus billiger Konsumelektronik wie z. B. Telefonen oder Taschenlampen eine «Geräuschemusik». Als künstlerisches Multitalent – er realisierte eine Klanginstallation für die Venedig-Kunstbiennale von 2011 – und Erfinder wird Möslang heute von einer ganzen Generation Hacking-Künstler des 21. Jahrhunderts glühend verehrt.

Labels und Clubs

– Mental Groove

1989 steckt die Elektromusik in Europa noch in den Kinderschuhen. Mit dem von Olivier Ducret gegründeten Label hält Genf definitiv auf der internationalen Karte Einzug. In 25 Tätigkeitsjahren importiert Mental Groove Vinylplatten und lädt die Galionsfiguren der Epoche in den eigenen Shop ein; dank ihm konnten viele Künstler ihre ersten Produktionen herausbringen – von Luciano und Crowdpleaser über DJ Sid und Sinner DC bis zu Kadebostany.

– Aisha Devi und Danse Noire

Aisha Devi and Danse Noire
Aisha Devi und Danse Noire © Emile Barret

Die schweizerisch-nepalesische Künstlerin veröffentlichte 2005 unter dem Pseudonym Kate Wax ihr erstes Album bei Mental Groove. 2011 fand ihre ausgezeichnete CD, die von Border Community produziert wurde, internationale Beachtung. Inzwischen hat sie das Label Danse Noire mitgegründet und ist unter ihrem richtigen Namen zu neuen musikalischen Abenteuern aufgebrochen. Die Enkelin eines CERN-Forschers gehört zu den spannendsten und innovativsten Künstlerinnen der Elektromusik.

– Kalabrese und die Zukunft

Kalabrese
Kalabrese © Florian Kalotay

Die mitten im Langstrassenquartier gelegene Zukunft gehört neben dem Cityfox zu den angesagten Clubs der Zürcher Szene. Wen wundert’s: Einer der Gründer war Kalabrese, der dynamische Moderator der lokalen künstlerischen Szene, der wie kein anderer klassische Kompositionen und Elektrorhythmen zu einem einmaligen Sound mischt. Trotz des Erfolgs und der Welttourneen hat das «Enfant terrible» seine Herkunft nicht vergessen, wie der Titel «Sihltal» zeigt: ein Disco-Song auf Schweizerdeutsch als Tribut an seine Heimatstadt.

 

Medien

– Sendung Alpenflage

Alpenflage
Logo officiel © Alpenflage

Der Schweizer Ableger des Radioprogramms der Red Bull Music Academy «Alpenflage» (nach dem berühmten Tarnmuster der Schweizer Armee benannt) wird von Stephan Armleder aus Genf moderiert, dem unter seinem DJ-Namen The Genevan Heathen bekannten Mitgründer des Labels Villa Magica. Jeden Monat stellt die Sendung die neuen Klänge der jungen Garde vor, präsentiert bewährte und historische Stücke und widmet sich den Labels und Events, die den Reichtum der Schweiz ausmachen.

– Zweikommasieben Magazin

Zweikommasieben magazine
Magazine Zweikommasieben © Julien Gremaud/Think Tank

Avantgardistisches Grafikkonzept, sorgfältig recherchierte Artikel, ausführliche Interviews und sehr beliebte Abendprogramme: Das 2011 von Marc Schwegler und Remo Bitzi als Momentaufnahme der lokalen Luzerner Szene gegründete halbjährliche Magazin Zweikommasieben (2,7 Tausendstelsekunden braucht ein Ton bis zum Gehirn) entwickelte sich rasch zu einer international renommierten Zeitschrift.

– Plattform Norient

Norient
Norient © Martin Bichsel

Die von Thomas Burkhalter 2002 in Bern gegründete Plattform Norient widmet sich der innovativen Musik aller Genres. Neben der Online-Zeitschrift und dem jährlichen Filmmusik-Festival bietet sie zahlreiche Kooperationen, Compilations und Ausstellungen an und hat vor kurzem das vielbeachtete Buch «Seismographic Sounds – Visions of a New World» veröffentlicht, das ein unverzichtbares Kompendium für die Erkundung der Klänge von morgen darstellt.