Félix Vallotton, The Gruerie Forest and the Meurissons Ravine, 1917 © Wikipedia Commons

Ein Streifzug durch die Schweizer Kunst anhand von 20 Werken

Inspiriert von den idyllischen Landschaften der Schweiz sind im Laufe der Jahrhunderte etliche Meisterwerke entstanden. So eindrücklich diese sind, sie allein werden der Vielfalt des Schweizer Kunstschaffens nicht gerecht. 20 Kunstwerke von Ferdinand Hodler bis Renée Levi.

Das Gemälde «La Pêche miraculeuse» (Der wunderbare Fischzug) von Konrad Witz (1444) aus der Sammlung des Kunstmuseums Genf gilt als die «älteste Landschaft» der abendländischen Kunst. Im Hintergrund von links nach rechts die Bergmassive Les Voirons, Le Môle, Mont-Blanc und Petit Salève, im Vordergrund der Genfersee mit seinen noch fast unberührten Ufern.

Gewisse Kunsthistoriker fragen sich, ob «Die Kreuzigung» von Jan van Eyck, die rund fünfzehn Jahre vorher entstanden war, Konrad Witz den ersten Platz streitig machen könnte, darunter auch Dominique Radrizzani in seiner «Lemancolia», einer interessanten Abhandlung über Schweizer Kunst. Auch auf van Eycks Bild ist eine Schweizer Landschaft erkennbar. Im Hintergrund sieht man die Windungen der Rhone und den bekannten Gipfel des Catogne. Dass die Schweiz ein besonderes Verhältnis zu ihren Landschaften hat, die immer wieder gemalt, gestochen, fotografiert, beschrieben oder besungen wurden, ist augenfällig.

Meret Oppenheim, «Fontaine», 1983 (Nägeligasse, Berne) © Wikipedia Commons

Die Liste dieser 20 Kunstwerke stellt keinen Anspruch auf Vollständigkeit in Bezug auf die Vitalität des Schweizer Kunstschaffens. Sie will lediglich zeigen, dass sich Schweizer Künstlerinnen und Künstler seit den historischen Avantgardebewegungen immer wieder mit diesen Landschaftskulissen und ihrem schweren Erbe – das heisst ihrer verhängnisvollen Schönheit – auseinandergesetzt haben. Sie taten dies, indem sie in andere Breitengrade auswanderten, indem sie der Darstellung von beliebten Sehenswürdigkeiten eine radikale Abstraktion entgegensetzten, indem sie die friedliche Kontemplation der Natur durch schwarzen Humor oder Sarkasmus ersetzten oder sich von Science-Fiction, Pop-Art oder Punk inspirieren liessen. Oder die Landschaft als Provokation verstanden und die technischen und urbanen Errungenschaften der Moderne der Weideromantik vorzogen.

Meret Oppenheim, «Oppenheimbrunnen» 1983 (Nägeligasse, Bern)

 

Es hat tatsächlich lange gedauert, bis der Meret-Oppenheim-Brunnen im Herzen der Bundeshauptstadt sein Publikum fand. Das Moos und die Tuffsteinbrocken, die sich stetig um die grauen spiralförmigen Wasserrinnen bilden, provozieren heute nicht mehr. Fast fünfzig Jahre nach der Einweihung sind diese anarchistischen Formen, die sich je nach Jahreszeit verändern, ein Symbol des Wachsens und Lebens, eine ökologische Allegorie.

Peter Fischli und David Weiss, «Der Rechte Weg», 1983

In diesem Werk, einer Art Tierfabel, machen die beiden Künstler verkleidet als Ratte und Bär eine Reise durch die Schweiz. Auf ihren Spaziergängen durch idyllische Landschaften sprechen sie über grosse philosophische Fragen und erleben Abenteuer, in denen keine Menschen vorkommen. Der Film ist eine Parodie auf den einsamen Spaziergänger und seine Träumereien, nimmt aber gleichzeitig die Fragen der Romantik, insbesondere ihr Verhältnis zur Natur, sehr ernst. Diese Mischung aus Humor und Ernsthaftigkeit wird zum Markenzeichen des Künstlerduos, das von John Waters euphorisch gefeiert wird.

Max Bill, «Pavillon-Skulptur», 1983 (Bahnhofstrasse, Zürich)

Max Bill war Maler, Designer, Architekt, Verleger, Kurator, Lehrer, Politiker. Er trat zeitlebens für seine starken Überzeugungen ein. Seine Granit-Skulptur steht an einer belebten Strasse im Zentrum von Zürich und veranschaulicht sein Bestreben, das Alltagsleben durch die Sprache der Geometrie tiefgreifend zu verändern. Max Bill, den Harald Szeemann 1969 eine Galionsfigur der kulturellen Schweiz nannte, verkörpert bis heute eine bestimmte Vorstellung von schweizerischem Kunstschaffen.

Max Bill, Sculpture-Pavillon, 1983 (Bahnhofstrasse, Zurich)
Max Bill, Sculpture-Pavillon, 1983 (Bahnhofstrasse, Zurich) © Switzerland Tourism

Pipilotti Rist, «Ever Is Over All», 1997

In einer der ersten grossformatigen Videoinstallationen von Pipilotti Rist sieht man eine junge Frau, die an Schneewittchen erinnert, in einer verlassenen Strasse. Aber im Gegensatz zur unschuldigen Schneewittchen-Figur von Disney zertrümmert sie im Vorbeigehen die Scheiben der parkierten Autos, mit einem süffisanten Lächeln auf den Lippen. Dieses surreale Punk-Video, von dem auch eine Version in der Sammlung des MoMA ist, hat einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen. Sogar in Clips von Beyoncé finden wir Spuren dieser Installation, ganz eindeutig in «Hold Up».

Félix Vallotton, «Le Bois de la Gruerie et le ravin des Meurissons», 1917

Orange, grün, gelb. In diesem Spätwerk stehen die Komposition und die für die Künstlergruppe der Nabis typischen konturierten Farbfelder in einem seltsamen Kontrast zum düsteren Bildgegenstand, einer Landschaft des Ersten Weltkriegs. Der Schweizer Künstler, der sich von allen am stärksten mit Paris identifizierte, emigrierte Anfang der 1880er-Jahre nach Frankreich und schloss sich rasch den avantgardistischen, aber auch anarchistischen Bewegungen an. Geprägt von den Schrecken des Krieges malte er zwischen 1914 und 1918 eine Reihe von Bildern, die, wie sein Friedhof von Châlons, «perfekter Ausdruck eines mathematischen Gemetzels» sind.

Ferdinand Hodler, «Bleu Léman», 1904 (Musée cantonal des Beaux-Arts, Lausanne)

2018 war ein Hodler-Jahr. Es war das Jahr seines 100. Todestags. In unzähligen Ausstellungen wurde sein Werk aus unterschiedlichen Gesichtspunkten beleuchtet. Neben Porträts, historischen Szenen und symbolistischen Figuren und Allegorien wurde er vor allem durch seine Seenlandschaften international bekannt, namentlich die Bilder vom Genfersee, und ist der berühmteste unter den Künstlern, die den Genfersee zu ihrem Motiv machten.

Ferdinand Hodler, Lake Geneva in Blue, 1904 © Wikipedia Commons
Ferdinand Hodler, Lake Geneva in Blue, 1904 © Wikipedia Commons

Emma Kunz, «Work No. 003», ohne Datum

Emma Kunz (1892–1963) war eine faszinierende Persönlichkeit, die sich zwischen Kunst und Esoterik bewegte. Sie lebte in der Deutschschweiz, wo sie als Telepathin, Hellseherin und Heilerin tätig war. Selber bezeichnete sie sich gern als Forscherin. Ab 1938 hielt sie ihre Erkenntnisse in verschlüsselter Form in grossformatigen Zeichnungen auf Millimeterpapier fest. Die Kunstwelt hat ihre Bilder in den letzten zehn Jahren mit Begeisterung wiederentdeckt.

H. R. Giger, «H. R. Giger Bar», 2003 (Greyerz)

Im Herzen der idyllischen Landschaft des Greyerzerlandes befindet sich eine düstere Einrichtung des Schweizer Künstlers Hans Ruedi Giger, eines Meisters des Morbiden. Weltweite Berühmtheit erlangte er durch seine Kreationen für den ersten Alien-Film (1979), namentlich für die Alien-Figur. H. R. Giger schuf unzählige Werke und Illustrationen. In der Bar, die zum H. R. Giger Museum gehört, sind seine skurrilen biomechanischen Kreationen ausgestellt.

Verena Loewensberg, «Ohne Titel», 1978 (Haus Konstruktiv, Zürich)

Verena Loewensberg (1912–1986) war eine der wichtigsten Vertreterinnen des Kreises der Zürcher Konkreten. Bereits in den 1930er-Jahren experimentierte sie mit Gestaltungsmöglichkeiten, die rationalen Prinzipien folgten. Die Verbindung von Systematik, minimalistischer Reduktion und Dynamik findet sich in ihrem gesamten Werk. Dieses avantgardistische Œuvre ist auch heute noch eine wichtige Inspiration für die zeitgenössische geometrische Kunst in der Schweiz und international.

John Armleder, Olivier Mosset und Sylvie Fleury, «AMF», 1990 (Galerie Rivolta, Lausanne)

John Armleder und Olivier Mosset hatten in den 1980er-Jahren bereits oft gemeinsam ausgestellt, aber «AMF» war die erste Zusammenarbeit zu dritt und die erste Ausstellung von Sylvie Fleury. In ihrer Installation stehen «Shoppingbags» mit Logos von Luxusmarken, die noch mit den eingekauften Produkten gefüllt sind, auf dem Boden. Die Pop-Art-Installation, die an die Pappkartons des Seifenpulvers «Brillo» von Andy Warhol erinnerte, war der Beginn einer Annäherung zwischen Kunst- und Modewelt, welche die 1990er- und 2000er-Jahre nachhaltig prägte.

Sophie Taeuber-Arp, «Dada-Komposition», 1920

Sopie Taeuber (1889–1943) war Malerin, Bildhauerin, Tänzerin und Textilgestalterin. Sie schloss sich 1920 mit Jean Arp, ihrem späteren Ehemann, dem Dadaismus an, einer Bewegung, die so eng mit Paris und Berlin assoziiert wird, dass manchmal vergessen geht, dass sie in Zürich entstanden ist. In dieser «Dada-Komposition», die Bewegung und Abstraktion verbindet, zeigt sich bereits ihr Interesse an einer Synthese der Künste, ein Merkmal, das sich durch das Gesamtwerk der avantgardistischen Künstlerin zieht.

Sophie Taeuber-Arp, Composition Dada, 1920 © Wikipedia Commons
Sophie Taeuber-Arp, Composition Dada, 1920 © Wikipedia Commons

Thomas Hirschhorn, «Swiss-Swiss Democracy», 2004 (Centre culturel suisse, Paris)

In seinen Notizen zur Eröffnung der Ausstellung kündigte Thomas Hirschhorn an, dass er im Schweizer Kulturzentrum in Paris «Einzug halten» wolle. Die Ausstellung, die als Reaktion auf die Wahl von Christoph Blocher in den Bundesrat einige Monate zuvor konzipiert war, löste in der Schweiz einen Politikskandal aus. Es hagelte Kritik gegen den Künstler und gegen Pro Helvetia, obwohl die meisten die Ausstellung nicht gesehen hatten. Aber Hirschhorns Konzept ist politisch und künstlerisch wirksam.

Aloïse Corbaz, «Montreuse de tableau dans la bannière de Montreux», 1941 (Collection de l’Art Brut, Lausanne)

Die international renommierte Collection de l’Art Brut zählt die Lausannerin Aloïse Corbaz (1886–1964) zu ihren wichtigsten Künstlerinnen und Künstlern. Nach verschiedenen Stellen als Kinder-Gouvernante in Deutschland – auch am Hof von Kaiser Wilhelm II., in den sie sich unsterblich verliebte, – kehrte sie 1918 in die Schweiz zurück und stürzte sich in die Malerei. Der Künstler Jean Dubuffet lernte sie 1947 kennen und nahm ihre Bilder mit den fürstlichen Personen und historischen Heldinnen in seine Sammlung auf.

Jean-François Schnyder, «Corso (Schnapsparade)», 2009

Der Basler Konzeptkünstler wurde 1945 geboren. Seit Ende der 1960er-Jahre lässt er sich von volkstümlichen und banalen Kulturformen inspirieren und ist ein Meister des Spotts. Sein Werk umfasst Bahnhofwartesäle, Ansichten von Autobahnen, unspektakuläre Sonnenaufgänge, kitschige Chalets oder wie hier kleine handgefertigte Skulpturen und einen Umzug mit Schnapsflaschen. 1993 vertrat er die Schweiz an der Biennale von Venedig.

Peter Stämpfli, «Proud Beauty», 1963

Die Pop-Art-Bewegung verbinden wir meist mit Grossbritannien und den USA, aber auch in der Schweiz schlossen sich Kunstschaffende dieser Kunstrichtung an, die von der Moderne, der Konsumgesellschaft und der Massenware beeinflusst wurde. Mitte der 1960er-Jahre schuf Peter Stämpfli, der sich vor allem durch seine Pneu- und Reifenbilder einen Namen gemacht hatte, eine Reihe von Gemälden, die alle dem gleichen Prinzip folgten: ein in den leuchtenden Farben der Werbung gemalter überdimensionaler Gegenstand auf weissem Hintergrund.

Franz Gertsch, «Medici», 1971–1972

Der Maler und Grafiker aus Bern hatte 1969 bei einem Ausflug ins Tessin eine Eingebung. Der damals Vierzigjährige realisierte, dass die Realität nicht nur mit einem Fotoapparat eingefangen werden kann. In den 1970er-Jahren dokumentierte er sein Leben als Maler in der Luzerner Kunstszene in fotorealistischer Weise. In seinen grossformatigen Gemälden verewigte er eine Generation von Künstlern und Kuratoren, von Markus Raetz über Urs Lüthi, Harald Szeemann bis Luciano Castelli.

Paul Klee, «Détachement de l’âme», 1934 (Zentrum Paul Klee, Bern)

Als Mitglied des Blauen Reiters, als Lehrer am Bauhaus in Weimar und später in Dessau stand Paul Klee im Zentrum der avantgardistischen Bewegungen der Zwischenkriegszeit. Nachdem er 1933 vom nationalsozialistischen Direktor der Düsseldorfer Akademie als Professor fristlos entlassen wurde, emigrierte er mit seiner Frau nach Bern. Hier entstand sein Spätwerk: grosse Formate, Experimente mit unterschiedlichen Materialien und Zeichnungen mit klaren Linien.

Collectif KLAT, «Frankie a. k. a The Creature of Doctor Frankenstein», 2013–2014 (Plaine de Plainpalais, Genf)

Die Bronzeskulptur, die am Rande des Parks Plaine de Plainpalais in der Nähe des Skateparks steht, erinnert an Frankensteins Genfer Herkunft. Sie hat aber auch eine starke symbolische Ausstrahlung, weil sie einer Randfigur der Gesellschaft einen Platz im öffentlichen Raum gibt. Das Collectif KLAT ist seit seiner Gründung 1997 in der alternativen und autonomen Genfer Szene aktiv. Heute zählt es drei Mitglieder.

Renée Levi, «Reuss», 2001 (Grossratssaal, Luzern)

Die Wandmalerei der Basler Künstlerin Renée Levi funktioniert sozusagen auf zwei Ebenen: auf der Bildebene und auf der Ebene des Raums, in dem sie ausgestellt ist, unabhängig von seiner Funktion als Ausstellungsraum oder als öffentlicher Raum. Die Künstlerin hat auch Architektur studiert. In dieser dauerhaften und farbintensiven Installation im Grossratssaal von Luzern bringt die Malerei nicht nur die Architektur zur Geltung, in der sie eingebettet ist, sondern auch die Institution, die sie beherbergt.

Gianni Motti, «Big Crunch Clock», 1999 (Mamco, Genf)

Diese zwanzigstellige Digitaluhr am Eingang des Museums für moderne und zeitgenössische Kunst (Mamco) in Genf zeigt nicht die Zeit an, sondern wie lange es noch dauert, bis die Sonne explodiert. Gianni Motti hat sich schon mit zahlreichen Katastrophen, natürlichen und vom Menschen verursachten, befasst: vom Unfall der Raumfähre Challenger bis zum Erdbeben in Kalifornien im Juni 1992. Mit dieser Sonnenuhr versucht er, die schrecklichste aller Katastrophen vorwegzunehmen. Er tut dies mit der für ihn so typischen Mischung aus Humor und Schrecken.

 

Der Artikel von Jill Gasparina erschien ursprünglich im Juli 2020 in der Westschweizer Zeitung Le Temps.

 

Cover image: Félix Vallotton, The Gruerie Forest and the Meurissons Ravine, 1917 © Wikipedia Commons