KT Gorique

KT Gorique: Schweizer Hip-Hopperin erobert die internationale Szene

Die Schweizerin setzt sich im Tempel des Hip-Hop in Szene und setzt sich durch. Sie hat ihren Stil zwischen Körpersprache und verbaler Sprache gefunden und verleiht ihm auch gesanglich Ausdruck. Ihre Kunst erklingt von der Schweiz bis nach Westafrika, in Italien, Deutschland, Frankreich, den USA und Kanada.

«Willkommen in meinem Zuhause», begrüsst uns KT Gorique. Die Walliser Rapperin hat gerade ihr neues Album «Akwaba» herausgebracht, was «Willkommen» auf Baoulé, einem Dialekt der Côte d’Ivoire, heisst. Sie lädt uns aber nicht einfach nur zu sich nach Hause ein, sondern zeigt uns ihr Universum, das starke Gefühle weckt und Vorurteile über das, was Rap ist oder sein soll, zerschlägt.

«Hip-Hop ist seit ein paar Jahren total angesagt, aber das war nicht immer so», erzählt die Künstlerin. «Als ich mit meinen Freunden in der Region die ersten Auftritte organisierte, war das noch ein Nischenmarkt für einen kleinen Kreis von Insidern.» Ihre Freunde erkannten ihr Talent und überzeugten sie, an einem Freestyle-Wettbewerb teilzunehmen. Die damals 21 Jahre alte KTG bestritt etliche Rap-Battles in mehreren Schweizer Städten, bis sie sich schliesslich für den nationalen Wettbewerb qualifizierte.

Mit dem Sieg in der Tasche flog sie nach New York, um die Schweiz an der internationalen Ausgabe von «End of the Weak» zu vertreten. Auch dort gewann sie, als erste Frau, erste Schweizerin und jüngste Teilnehmerin, die je den Freestyle-Weltmeistertitel erhielt. Das war 2012 – KT Gorique spricht voller Leidenschaft über jene Zeit. «Es ist verrückt, denn ich vertrat ein winziges Land, und keiner hatte damit gerechnet. Die Reaktionen waren überwältigend, die Leute konnten es nicht fassen und alle interessierten sich plötzlich für meine Arbeit, wollten ein Treffen, ein Interview.»

KT Gorique

Zwischen Motto und Ventil 


Mittlerweile ist das Pseudonym KT Gorique auch weit über das Wallis hinaus bekannt, und so landete ein Video der Künstlerin via Internet beim französischen Filmemacher Pascal Tessaud. Dieser suchte für die Rolle einer jungen Rapperin in seinem Filmprojekt eine Schauspielerin und kontaktierte KT Gorique über die sozialen Medien. «Zuerst wollte ich es nicht glauben, bis er mir seine Kurz- und Dokumentarfilme schickte», erzählt sie amüsiert. Sie hatte zwar noch nie eine Theater- oder Filmrolle gespielt, sagte aber ohne zu zögern zu. Eines ihrer Lebensmottos:

Zufälle gibt es nicht.

Der Film «Brooklyn» wurde 2014 am Filmfestival von Cannes im Rahmen des ACID gezeigt, aber auch an rund 40 anderen internationalen Festivals.

Die Filmrolle eröffnete ihr auch einen neuen Umgang mit ihrer Musik. «Ich habe gelernt, wie ich einen Text oder eine Situation interpretieren kann.» KT Gorique versucht sich in allen Facetten des künstlerischen Schaffens. Sie schreibt all ihre Texte selbst, komponiert die Musik, macht Tonarrangements und sorgt für die visuelle Ausstattung. Mit bemaltem Gesicht haucht sie ihren Texten auf der Bühne Leben ein und verstärkt so deren Wirkung. Dabei profitiert sie von ihrer jahrelangen Erfahrung als Hip-Hop-Tänzerin. «Jeder trainierte allein. Ich imitierte Videoclips, auch jene von Michael Jackson.»


Ihr aktuelles Album «Akwaba» führt ins in ihre persönliche Welt, intim und chaotisch zugleich, befreit und unstrukturiert, wo Reggae und Ragga auf afrikanische Perkussion und E-Gitarren-Riffs treffen. Es umhüllt uns mit einer warmen und doch gereizten Atmosphäre. Eine kunstvolle Mischung von Spannung und Anspannung. «Ich bin sensibel. Alles kann mich berühren, beschäftigen, betreffen oder beunruhigen. Insbesondere Ungerechtigkeiten. In solchen Momenten muss ich meine Gefühle zum Ausdruck bringen.» Die Rapperin bringt es in einem ihrer Songs auf den Punkt: «Ich lache ständig, aber ich bin nicht glücklich.» Egal, ob Raptext oder Novelle: Schreiben ist ein Ventil. Und kann man nicht schreiben, greift man als Künstlerin oder Künstler halt zum Pinsel.

08.03.2018 - KT Gorique - Cassiopeia

 

 

Musikalische Verneigungen


KT Gorique braucht immer einen Geräuschteppich, um sich ausdrücken zu können. «Wenn ich ein Instrumental höre, spricht es zu mir. Ich übersetze die Gefühle und Bilder, die es mir zuspielt.» Tag für Tag hört sie sich Instrumentals an, die sie aus der ganzen Welt erhält, oder beginnt selber eines zu komponieren, das ihr ihm Kopf herumschwirrt. «Akwaba» wurde ein Sammelsurium von Werken französischer, ivorischer, südafrikanischer und belgischer Beatmaker. Ihren Stil bezeichnet sie als «future roots». Eine Wortschöpfung, die für sie so viel bedeutet wie «die Modernität der Musik des 21. Jahrhunderts verankert in den Wurzeln und Einflüssen, auf denen meine Liebe zur Musik aufbaut».

Reggae war die erste Musikrichtung, die ihr starke Emotionen vermittelte, und der Rhythmus des Coupé-Décalé brachte sie zum Tanzen. «Wieso sollte ich sie aufgeben? Ich integrierte sie in mein Projekt», sagt sie. «Akwaba» vereint all ihre Vorlieben und Anschauungen.

Das Album widerspiegelt das, was tief in mir steckt, alles, was ich bin. 

Die Arbeiten an diesem Album begannen 2018 in Côte d’Ivoire, als KT Gorique ihre Heimat besuchte, die sie im Alter von elf Jahren verlassen hatte, ohne sie je ganz hinter sich zu lassen.

Im Tonstudio griffen alle, die gekommen waren, um sie zu unterstützen, gleich selbst zum Mikro. So zum Beispiel der Reggaesänger Taïro, der sie auch für einige Gesangsparts coachte, oder die Comedian Shirley Souagnon, die ein paar philosophisch angehauchte Intermezzi beisteuerte. KT Gorique wiederholt: dem Glück muss man auf die Sprünge helfen. «Lässt du die Vase fallen, darfst du dich nicht wundern, wenn sie in der Stille zerbirst», sagt sie in Outta Road. Und sie lässt sie nicht fallen.

08.03.2018 - KT Gorique - Cassiopeia

 

Profil

1991 Geboren in Abidjan, Côte d’Ivoire.

2002 Zieht in die Schweiz. Lebt zuerst im Kanton Waadt, dann im Wallis.

2012 Gewinnt den Schweizer- und Weltmeistertitel von «End of the Weak» im Freestyle-Rap.

2015 Spielt die Rolle der Coralie im Film «Brooklyn» von Pascal Tessaud.

2016 Erstes Album «Tentative de survie».

2017 Mixtape «Ora».

2018 EP «Kunta Kita».

2019 Gewinnt den Schweizer Musikpreis und ist Eröffnungs-Act von Nicki Minaj im Hallenstadion Zürich.

2020 Album «Akwaba». Organisiert im Lockdown den «Biggest Female Allstars Cypher», eine virtuelle Versammlung von 19 Rapperinnen aus 9 Ländern.

 

Der Artikel von Chams Iaz erschien ursprünglich im Juli 2020 in der Westschweizer Zeitung Le Temps