Nachtzüge – nachhaltig im Trend.
Die Bahn ist das umweltfreundlichste motorisierte Verkehrsmittel. Dieser Fakt ist vielen bekannt. Das zunehmende Umweltbewusstsein und der anhaltende Nachhaltigkeitsgedanke, lässt jedoch das Bedürfnis nach Reisen im Nachtzug wieder steigen. Der Trend ist klar erkennbar: Einmal Zürich–Wien – aber bitte mit gutem Gewissen.
Nachtzüge gibt es schon lange: Bereits im Jahr 1836 (Trbuhovic, 2002, S. 23) oder 1838 (Papazian, 2011, S. 7) sollen die ersten Schlafwagen auf der «Cumberland Valley Railroad» in Pennsylvania verkehrt haben. Aber gerade heute erhalten sie durch die Klimabewegung und den Trend hin zum «bewussteren Reisen» eine höhere Bedeutung. Die Nachfrage nach internationalen Nachtzugverbindungen hat im Jahr 2019 deutlich zugenommen: Im Vergleich zum Vorjahr sind über 25 Prozent mehr Personen in Nachtzügen gereist (SBB AG, 2020).
Im Einklang mit der Natur.
Nachtzüge bewirken eine Verlagerung von Auto- und Flugreisen auf die Schiene. Sicherlich ist der Reisegast etwas länger unterwegs als mit dem Flugzeug, spart dafür aber Übernachtungskosten und eine ganze Menge an Kohlendioxid ein. Gemäss Schätzungen der SBB beläuft sich diese Klimawirkung beim bestehenden Nachtzugsverkehr ab der Schweiz auf rund 50'000 Tonnen Co2 pro Jahr. Das entspricht in etwa dem jährlichen Co2-Ausstoss von rund 30'000 Autos. (SBB AG, 2020)
Die Verbraucher haben es in der Hand: Für jede Bahnstrecke und Nachtzugverbindung kann die genaue Co2-Menge, der Energieverbrauch wie auch die Reisezeit berechnet und dem Auto und Flugzeug gegenübergestellt werden. Auf sbb.ch gibt man die gewünschte Strecke ein und kann den angezeigten Umweltrechner aufrufen.
Ein Beispiel: Die Fahrt im ÖBB Nightjet von Zürich nach Wien verursacht insgesamt 6.1 Kilo Co2. Für die gleiche Strecke erzeugt die Autofahrt 143.6 Kilo Co2 und ein Flug gar 262.7 Kilo Co2. Die grössten Unterschiede ergeben sich beim Ausstoss der Stickoxide. Knappe 63 Mal höher sind diese Emissionen beim Flugzeug (881.8 gr.) gegenüber dem Zug (14 gr.).
Nur der Umwelt zuliebe?
Die nachhaltigste Reise ist die Reise, die nicht stattfindet. Aber Reisen ist identitätsstiftend und oft nötig oder wünschenswert. Es ist ein Erlebnis. Immer mehr Menschen suchen deshalb nach einer möglichst nachhaltigen Art des Reisens – und der Nachtzug bietet da eine ideale Alternative. Bahnreisen über Nacht ist faszinierend und stilvoll: Ein Hauch von Tempi Passati, aber aktueller denn je.
Dank dem komfortablen Rollmaterial fühlt man sich auf der nächtlichen Fahrt auch fast wie in einem netten Hotelzimmer: Zur Begrüssung gibt es einen Aperitif und einen kleinen Snack, Mineralwasser sowie Toilettenartikel befinden sich im Abteil und das Frühstück wird einem um die gewünschte Uhrzeit geliefert (Angebot Schlafwagen). Ein zusätzlicher Vorteil der Nachtzüge: Abreise- wie auch Ankunftsort ist meist mitten im Stadtzentrum. Das spart zusätzlich Zeit, Geld und natürlich auch Co2.
Nachtzüge gestern, heute…
Der Orient-Express und das Erbe eines Zuges, der zur Ikone wurde.
Exotisch, geheimnisvoll, sagenumwoben: Der Orient-Express war jahrzehntelang die schnellste (Nachtzug-)Verbindung zwischen dem Westen Europas und Konstantinopel. Er hiess an Bord seiner luxuriösen Wagen gekrönte Häupter, Magnaten, Waffenhändler und Spione willkommen – und nicht zuletzt eine berühmte Schriftstellerin, die mit ihrem nicht minder berühmten Kriminalroman «Mord im Orient-Express» dazu beitrug, diesen einzigartigen Zug in der kollektiven Vorstellungswelt zu verewigen (Picon & Chelly, 2019, S. 152-177). So ist der Orient-Express weltweit bekannt und bewundert.
Womöglich nicht allen bekannt ist die damalige Betreibergesellschaft vom Orient-Express, die Compagnie Internationale des Wagons-Lits et des Grands Express Européens (abgekürzt CIWL), welche nicht nur in ganz Europa, sondern auch in Asien und Nordafrika tätig war (Picon & Chelly, 2019, S. 136-151). Vor rund 90 Jahren gehörte der Firma das grösste Reisebüronetz der Welt (Picon & Chelly, 2019, S. 191), während sie einen Fuhrpark von beinahe 2’400 Wagen betrieb (Papazian, 2011, S. 34).
Kann sich ein solch gewaltiges Imperium einfach in Luft auflösen? Natürlich nicht: Die Spuren dieser goldenen Ära des Bahnreisens sind allgegenwärtig: Wer mit der Bahn durch Europa reist, bekommt eine lange und glorreiche Tradition zu spüren, die sich manchmal in kleinen Details offenbart.
Der Nightjet
Der heute wohl bekannteste Nachtzug in der Schweiz ist der Nightjet. Es stellt sich die berechtige Frage: Wo finden sich in diesem Zug die Spuren der goldenen Ära des Bahnreisens? Um eine Antwort zu erhalten, muss man ausholen und sich fragen, was aus der CIWL wurde: In der Nachkriegszeit veräusserte sie viele ihrer Wagen an verschiedene europäische Bahnen, welche 1971 den «Internationalen Schlafwagenpool», später «TEN-Pool» (Trans Euro Nacht) gründeten (Papazian, 2011, S. 106). Fortan diversifizierte die CIWL ihre Geschäftstätigkeit auf touristische Dienstleistungen (Mühl & Klein, 2006, S. 265). 1991 wurde der Konzern von der französischen Hotelgruppe Accor übernommen (Mühl & Klein, 2006, S. 265), welche 2006 die Reisebürosparte Carlson Wagonlit Travel verkaufte (mycwt.com, 2021). 2010 folgte schliesslich die Übernahme der Bahnservice-Sparte durch den Catering-Konzern Newrest (newrest.eu, 2021), welcher seitdem als Newrest Wagons-Lits auftritt (newrest.eu, 2021).
Newrest Wagons-Lits, die in sich die DNA der alten CIWL trägt, erbringt im Auftrag der ÖBB die Bordservices der Nightjet-Züge, und führt somit eine Tradition weiter, die vor rund 150 Jahren ihren Ursprung nahm. Dabei gilt es zu präzisieren, dass man heute am Bord eines Nightjet vielleicht kein Porzellan von Haviland, kein Besteck von Christofle und keine Kristallgläser von Baccarat vorfinden mag, wie einst am Bord des Orient-Express der Fall war (Picon & Chelly, 2019, S. 62). Dafür findet sich ein Catering mit qualitativen Produkten zu erschwinglichen Preisen, damit Bahnreisen über Nacht nicht nur das Privileg von gekrönten Häuptern bleibt.
Obschon die Gesellschaft, die damals den Orient-Express betrieb, unter einem anderen Namen weiterlebt, gilt dies nicht für den Orient-Express selbst. Die letzte Fahrt dieses legendären Zuges liegt jedoch nicht lange zurück. Der Orient-Express verschwand aus den Kursbüchern in der Nacht vom 12. auf den 13. Dezember 2009, als er zum letzten Mal als Euronight 469 die Strecke Strasbourg-Wien mit Rollmaterial der ÖBB befuhr (seat61.com, 2021). Es ist nämlich zu beachten, dass sich der Orient-Express im Laufe der Jahrzehnte verwandelte, um nach dem Zweiten Weltkrieg seine Natur als Luxuszug aufzugeben (Koschinski, 2008, S. 59-72).
… und morgen
Nachtzüge haben eine klar nachweisliche positive Klimawirkung. Um einen weiteren Beitrag zur Reduktion der Co2-Emissionen im Reisesektor zu leisten, verfolgen unter anderem die SBB und ÖBB das gemeinsame Ziel, mehr Reisen auf die Bahn zu verlagern. Deshalb wollen die beiden Unternehmen intensiv in Ausbaupläne investieren und haben dafür eine Absichtserklärung unterzeichnet: Der Nachtzugsverkehr soll von sechs auf zehn Linien ausgebaut werden. Weitere Bahnen wie SNCF und DB haben sich inzwischen dieser Erklärung angeschlossen. So wird es ab Dezember 2021 wieder einen Nachtzug Wien – Paris geben und auch der früheren Orient-Express-Strecke neues Leben einhauchen.
Kapazitätserhöhung Richtung Norden
Für die Schweiz erfolgt in einem ersten Schritt die neue Nachtverbindung zwischen Zürich und Amsterdam per 2022. Auch die heute schon bestehenden Verbindungen von Berlin und Hamburg über Basel nach Zürich erfreuen sich einer steigenden Nachfrage. Mit zusätzlichen separaten Zügen wird die Kapazität auf diesen Linien deutlich erhöht. Geplant ist dieser Schritt bereits ab 2023.
Des Weiteren soll die Verbindung nach Prag neu auch über Deutschland geführt werden. Die geänderte Linienführung ermöglicht neue direkte Verbindungen nach Leipzig und Dresden.
Nachtzüge nach Barcelona und Rom
Ein weiterer Schritt sind die geplanten täglichen Verbindungen Zürich–Bern–Lausanne–Genf–Barcelona und umgekehrt. Somit ist nicht nur eine weitere europäische Grossstadt ans Nachtverkehrsnetz angebunden, sondern auch die Westschweiz. Zur selben Zeit soll auch die Linie Rom–Zürich wieder aufgenommen werden. Ganz Europa rückt über Nacht näher zusammen.
Der genaue Einführungszeitpunkt für diese beiden Linien ist noch nicht abschliessend definiert.
Investitionen in neues Rollmaterial
Um den mittel- und langfristigen Ausbau des Nachtverkehrsnetzes sicher zu stellen, investiert die ÖBB auch in neues Rollmaterial. Die neuen Nachtzug-Garnituren sollen schrittweise zum Einsatz kommen. Voraussichtlich ab 2024 kommen sie auch vermehrt in der Schweiz zum Einsatz.
Artikel verfasst von Swiss Travel System AG und SBB AG
Literaturverzeichnis
(3. Juni 2021). Von mycwt.com: https://www.mycwt.com/why-choose-us/our-company/our-history/ abgerufen
(3. Juni 2021). Von newrest.eu: https://www.newrest.eu/country/austria/ abgerufen
(3. Juni 2021). Von newrest.eu: https://www.newrest.eu/who-we-are/our-history/ abgerufen
(3. Juni 2021). Von seat61.com: https://www.seat61.com/history-of-the-orient-express.htm abgerufen
Koschinski, K. (2008). Klangvolle Namen, verblasster Glanz. Eisenbahn Journal - 125 Jahre Orient-Express, S. 59-72.
Mühl, A., & Klein, J. (2006). Reisen in Luxuszügen - Die Internationale Schlafwagen-Gesellschaft. Freiburg: EK-Verlag.
Papazian, A. (2011). Hotel auf Schienen - Nachtzüge in Europa. Stuttgart: transpress Verlag.
Picon, G., & Chelly, B. (2019). Der Orient-Express - König der Züge. München: Frederking & Thaler Verlag GmbH.
SBB AG. (15. September 2020). Von company.sbb.ch: https://company.sbb.ch/de/medien/medienstelle/medienmitteilungen/detail.html/2020/9/1509-1 abgerufen
Trbuhovic, L. (2002). Schlafwagen im Wandel. Zürich: Unveröffentlichtes Manuskript.