Patinnen und Paten für Schweizer Kühe und Ziegen gesucht
Eine Kuh oder Ziege adoptieren, um Schweizer Züchterinnen und Züchter zu unterstützen? Eine Idee, die Städter und Produzenten glücklich macht.
Städterinnen und Städter mit Sehnsucht nach dem Landleben adoptieren Schweizer Kühe und Ziegen für einen Sommer und besuchen Fiona, Bella oder Blüemli auf der Alp und auf dem Hof. Im Gegenzug werden sie zu einer Betriebsbesichtigung eingeladen, erhalten Käse und können Hofprodukte zu vergünstigten Preisen beziehen.
Das Konzept findet Anklang in einer Zeit, da Städterinnen und Städter das Landleben und traditionelle Produkte vermehrt schätzen. Die Produzenten dagegen setzen auf Tierpatenschaften, weil sie ihre Philosophie der Stadtbevölkerung näher bringen wollen.
Hier drei konkrete Beispiele für solche Patenschaften:
Die Ziegen des Biohofs La Touvière
Ohne Patenschaften wäre das Projekt «Les Chèvres de la Touvière» nicht zustande gekommen. Seit Oktober 2016 haben vier junge Menschen einen Hof bei Genf gepachtet und die Räumlichkeiten zu einer Käserei umgebaut. Um das notwendige Kapital zu beschaffen, setzten sie auf Patenschaften, ähnlich wie beim Crowdfunding. Für ihre Idee wurden sie mit dem IDDEA-Preis ausgezeichnet, der für innovative Projekte im Bereich der nachhaltigen Entwicklung vergeben wird.
«Dank der Unterstützung der Patinnen und Paten konnten wir eine Herde kaufen und mit der Produktion beginnen. Längerfristig wollen wir aber vom Verkauf unserer Produkte leben», sagt Sophie Regard, eine der vier Genossenschafter. «Wir selber hatten kein Geld, das wir in den Betrieb investieren konnten.»
Die 27 Ziegen waren rasch vergeben. Die Patinnen und Paten verpflichten sich für mehrere Jahre, was sie insgesamt 3500 Franken kostet. Zum Schluss soll der Betrieb rund sechzig Tiere zählen – alle sind bereits reserviert. «Es läuft sehr gut, aber das haben wir auch der glücklichen Tatsache zu verdanken, dass wir uns in unmittelbarer Stadtnähe befinden und die Genferinnen und Genfer den Ort kennen», meint Sophie.
Die Patinnen und Paten adoptieren eine Ziege für deren ganzes Leben (rund acht Jahre). Sie wählen den Namen und können Trifoline, Frisette, Flocon oder Suzette regelmässig besuchen. Viele Grosseltern und Eltern schenken einem Kind eine Patenschaft, damit es Einblick in das Leben auf einem Bauernhof erhält. Sophie Regard ist es auch ein Anliegen, ihren Betrieb Jung und Alt zu zeigen. «Wenn ich mit den Leuten rede, merke ich, wie weit sie von der Realität der Landwirte entfernt sind.»
Das Quartett hinter dem Hofkonzept hat noch weitere innovative Ideen umgesetzt, etwa ein Käseabonnement oder ein Unterstützungsdarlehen, das mit Ziegenkäse verzinst wird!
Adoption einer Alpkuh
Bei Michel Isoz im Pays-d’Enhaut (Kanton Waadt) können Städterinnen und Städter bereits seit fünfzehn Jahre Kühe «mieten». Der Bauer gehört in der Westschweiz zu den Pionieren. «Als ich den Hof von meinem Vater übernahm, suchte ich nach einer Idee, um die Städter aufs Land zu bringen, denn ich wollte die Kontakte zwischen Stadt- und Landbevölkerung fördern.» Er stiess auf das «Kuhleasing», das von Bernern erfunden worden war, und beschloss, die Website «Mavachamoi» zu lancieren.
Sein Ziel ist es, Menschen aus der Stadt auf seinen Alpbetrieb zu bringen, um seine Hofprodukte direkt verkaufen zu können. «Alternative Vertriebskanäle sind mit mehr Aufwand verbunden. Aber ich kann meine Käse- und Fleischprodukte so besser verkaufen», erklärt der Bauer, der vor Kurzem eine kleine Alpbeiz eröffnet hat. «Die Städterinnen und Städter sollen sich hier zu Hause fühlen!»
Der Bauer «vermietet» nur ein Dutzend Kühe seiner 36- bis 38-köpfigen Herde. Er will mit seinen Patinnen und Paten einen persönlichen Kontakt pflegen, was zeitaufwendig ist. Neben individuellen Besichtigungen organisiert er ein Fest für die Patinnen und Paten, die auch an der Taufe der Kälber ihrer Kuh teilnehmen können.
Zudem können sie selber Hand anlegen und sehen, welche Arbeiten auf einem Bergbauernhof anfallen. «Die Arbeit ist schwierig, das merkt man schnell!», sagt Claude Kobler, seit fünf Jahren Pate der Kuh Sirène. «Ich habe beim Heuen geholfen. Das war alles Handarbeit: An den steilen Hängen können keine Traktoren eingesetzt werden.»
Der Genfer, der traditionelle Produkte liebt, besucht den Hof einmal pro Monat, um Käse und Fleisch zu kaufen. Häufig verbindet er den Ausflug mit einer Wanderung. «Die Patenschaft bringt mich in Kontakt mit Natur und Landleben, und ich kann Qualitätsprodukte kaufen. Man darf keine Rendite anstreben. Es ist eine Form der Unterstützung für einen Produzenten», erklärt er. Das Kuh-Leasing kostet 380 Franken pro Saison. Inbegriffen ist ein Rabatt auf den verkauften Produkten.
Claude Kobler hat zwar keine enge Beziehung zu seiner Kuh aufgebaut, die ihn seiner Meinung nach jedes Mal wieder vergisst, dafür aber zu deren Besitzer Michel Isoz.
Rettungsaktion für einen Bienenzüchter
Dass Didier Bettens in der Nähe von Oron (Kanton Waadt) immer noch Bienen züchtet, hat er seinen Bienenstockpatinnen und ‑paten zu verdanken. Im besonders schwierigen Winter 2011 verlor er alle Bienenvölker. «Es ist schwierig, heute in der Schweiz als Bienenzüchter zu überleben. Es gibt viele, die das Handtuch werfen», sagt er. Dank der Patenschaften konnte er die Bewährungsprobe meistern und neue Bienenstöcke kaufen (400 Franken pro Stück). Heute besitzt er 46 Stöcke.
Die Patenschaften ermöglichen es ihm, weiterzumachen und die Bienenverluste während des Winters unabhängig von den Einnahmen aus dem Honigverkauf zu kompensieren. «Dank der Unterstützung kann ich meine Ausgaben in etwa decken, unabhängig davon, ob es ein gutes oder schlechtes Jahr war.»
«In einem guten Jahr investiere ich das Geld der Patenschaften in verschiedene Projekte, die ich den Patinnen und Paten jeweils ankündige. Ich verwende es nicht für ein höheres Einkommen für mich», präzisiert er. Zum Beispiel kaufte er einen Beobachtungsstock mit durchsichtigen Wänden für Schulbesuche.
«Wenn wir die Bienen schützen wollen, müssen wir auch die Bienenzüchter schützen, denn sie pflegen die Bienen!», erklärt er. Er freut sich über das Interesse der Öffentlichkeit an Schweizer Honig und muss sogar neue Paten ablehnen. Er will nur 10 bis 15 Patinnen und Paten pro Jahr, weil er den persönlichen Kontakt mit ihnen sucht. Eine Patenschaft kostet 250 Franken. Die Patinnen und Paten bekommen 3 kg Honig und profitieren von Vorzugspreisen für Bienenprodukte.
Sie werden auch zu einer Besichtigung eingeladen und erhalten einen Newsletter per Mail. «Ich zeige meine Bienen sehr gerne den Leuten, denn ich schätze den Austausch», sagt Didier Bettens.
Im Trend
Tierpatenschaften scheinen ein voller Erfolg zu sein. Die oben erwähnten Betriebe haben mehr als genug Patinnen und Paten. Sie bieten nur eine beschränkte Zahl von Patenschaften an, um den persönlichen Kontakt pflegen zu können. Ziel ist es nicht, möglichst viel Geld zu beschaffen, sondern den Austausch zu fördern und neue Vertriebskanäle zu erschliessen.
Eine Möglichkeit auch für andere Produzenten? Es gibt in der ganzen Schweiz Produzenten, die Tierpatenschaften anbieten. Bei der Familie Breitenmoser in Appenzell kann man Kühe «mieten» und bei Bérangère Carron in der Nähe von Martigny (Wallis) Ziegen, Esel und Kaninchen adoptieren. Die Stiftung Pro Specie Rara bietet Tierpatenschaften für bedrohte Rassen wie Spiegelschaf und Appenzeller Barthuhn an.