Schweizer Uhrmacherkunst
Mit der Schweiz werden typischerweise Uhren assoziiert. Ein Klischee, das einer Realität entspricht: Die Schweizer Uhrmacherkunst ist seit dem 17. Jahrhundert international bekannt und anerkannt. Die Geschichte einer immer noch lebendigen Tradition, die viele Krisen überstanden hat.
Von der Turmuhr zur Armbanduhr
Die Geschichte der Uhrmacherei in der Schweiz beginnt mit der Turmuhr und den Taschenuhren. «Zwischen dem 14. und 16. Jahrhundert waren handgefertigte Zeitmesser ein rares Gut. Es ist bekannt, dass sich zum Beispiel die Familie Liechti aus Winterthur seit Mitte des 16. Jahrhunderts auf Turmuhren spezialisiert hatte. Damals war die Schweiz nicht vergleichbar mit Mächten wie Frankreich, die Niederlande oder England. In diesen Ländern entstanden glanzvolle Objekte der Uhrmacherei dank der Unterstützung grosszügiger Kunst- und Wissenschaftsmäzene. In der Schweiz ging es eher darum, mehr über Astronomie und Zeitmessung zu erfahren», erklärt Régis Huguenin-Dumittan, Direktor des Internationalen Uhrenmuseums in La Chaux-de-Fonds im Kanton Neuenburg. In verschiedenen Regionen der frühen Eidgenossenschaft gab es kleine lokale Uhrenproduktionen und sachkundige Meister, die ins Ausland abwanderten. Gegen Ende des 16. Jahrhunderts änderte sich die Situation dank des Zustroms französischer Flüchtlinge, vor allem in den Kanton Genf
«Die Hugenotten kamen mit ihrem Know-how in der Uhrmacher- und Goldschmiedekunst in die Schweiz und brachten ihre Vorliebe für kleinformatige Uhren mit». Es begann die Herstellung von gravierten und ausgeschmückten Prestigeobjekten. Im Kanton Genf spezialisierte man sich auf die Endfertigung und den Verkauf, während sich die Produktion der Uhrwerke für die mechanischen Uhren im Jurabogen etablierte. «Der Legende nach waren die Bauern in dieser Gegend arm und langweilten sich im Winter. Viele von ihnen wandten sich deshalb industriellen Berufen zu. Die Uhrmacherei erforderte nur wenige Werkzeuge, und weil bereits andere Industrien (Eisen, Spitzen, Textil) präsent waren, nutzten die Leute ihr handwerkliches Geschick und ihr Vermarktungsnetz für den Aufbau dieser neuen Industrie», erklärt Régis Huguenin-Dumittan. Ab dem 18. Jahrhundert spezialisierte sich das Vallée de Joux auf Taschenuhren, und La Chaux-de-Fonds wurde zur Referenz für Neuenburger Pendeluhren. Auch der Berner Jura, Solothurn, Thun und Zürich entwickelten ihre Uhrenindustrie.
Die Schweizer Uhrenindustrie überstand die beiden Weltkriege, und in den 1930er-Jahren führte die Schweiz ein Uhrenkartell ein. «Zu jener Zeit setzten die USA mit ihrer modernen Industrietechnik das Schweizer System, das aus zahlreichen unorganisierten Manufakturen bestand, unter Druck. Während der Weltwirtschaftskrise entstanden in der Uhrenindustrie die ersten gemeinsamen Strukturen (Holdings). Gleichzeitig wurde die Armbanduhr immer beliebter und man fand sie am Handgelenk der grossen Entdecker, in über 10’000 Metern Tiefe im Marianengraben 1960 und auf dem Mond 1969. Die grosse Herausforderung in den 1970er-Jahren war die Miniaturisierung der Elektronik. Vor dem Hintergrund einer sich wandelnden wirtschaftlichen und geopolitischen Weltlage sah sich die Branche mit einer neuen Krise konfrontiert, in deren Verlauf sich die Dynamik und die Tradition der Schweizer Uhrmacherei verändern sollte», erinnert sich der Konservator des MIH.
Von der mechanischen Uhr zur Quarzuhr
Zwischen 1970 und 1980 sah sich die Schweizer Uhrenindustrie, die hauptsächlich mechanische Uhren herstellte, durch die Entwicklung der Quarzuhren bedroht. «In den 1960er-Jahren fanden 60 Prozent der weltweiten Uhrenproduktion in der Schweiz statt. Produziert wurden zunächst mechanische Uhren, bis elektrische und Quarzelemente verbaut wurden, die einen höheren Grad an Präzision ermöglichten», erklärt Régis Huguenin-Dumittan. Die Schweizer Uhrenindustrie, die sich noch immer unter staatlicher Kontrolle befand, war der Konkurrenz aus Japan ausgesetzt, wo die Quarztechnologie industrielle Ausmasse annahm. Japanische Uhren waren genauer und billiger als mechanische Uhren aus der Schweiz. «Swiss made» war nicht mehr gefragt, was zu einer völligen Verunsicherung in der Branche führte.
Der libanesisch-schweizerische Unternehmer Nicolas Hayek wurde beauftragt, einen letzten Rettungsversuch zu starten. Dank der Hilfe der Banken und der Fusion der Asuag und der SSIH, der beiden Schweizer Uhrengruppen von damals, konnte die Schweizer Uhrenindustrie überleben. Die Swatch wurde 1983 zum Symbol für den Wandel in der Schweizer Uhrenindustrie. «Die Swatch war die in grossem Massstab produzierte Schweizer Quarzuhr. Man verabschiedete sich von der Uhr aus Edelmetall und verschrieb sich dem bunten und kostengünstigen Modeobjekt aus Plastik, das die Verbraucherinnen und Verbraucher damals nachfragten», erklärt der Direktor des Internationalen Uhrenmuseums. Der Erfolg war durchschlagend: seit der Lancierung der Swatch wurden über 400 Millionen Exemplare verkauft. Heute gibt es in der Schweiz drei grosse Uhrenkonzerne: Swatch Group, Richemont und LVMH. Die Uhrenindustrie zählt hierzulande über 500 Unternehmen, und es gibt sechs Uhrmacherschulen. Das Know-how in den Bereichen Uhrmacherhandwerk und Kunstmechanik ist seit 2020 Teil des immateriellen Kulturerbes der Menschheit.
Mit Wissenstransfer zu Luxusuhren
Die Massenproduktion von Quarzuhren war ein Bruch mit der traditionellen Uhrmacherei, wie sie in der Schweiz vorherrschend war. Zunächst waren die Arbeitnehmenden und Handwerksleute im Bereich der mechanischen Uhrmacherei von dieser Veränderung betroffen. Mit ihrem Wissen und ihren Werkzeugen für die Produktion dieser Art von Uhren konnten sie sich jedoch neu orientieren, denn schliesslich repräsentierten sie die Geschichte, Tradition und Exzellenz der Uhrmacherkunst. Im Nachgang zu dieser Krise entwickelte sich das Segment der Luxusuhren. Moderne Maschinen haben zwar gewisse Arbeitsschritte ersetzt, doch die manuellen Fertigkeiten und das Geschick der Fachkräfte sind in der Schweizer Uhrenindustrie nach wie vor unverzichtbar und schaffen ihren Mehrwert. Bei diesen besonderen Uhren sind die Handgriffe präzise und spezialisiert, und die Weitergabe des fachlichen Know-hows erfolgt in der Schule, im Betrieb oder in der Familie. Dies ist auch der Fall bei der Marke Antoine Preziuso, deren Atelier sich in der Nähe von Genf befindet.
Ich bin im Genfer Stadtteil La Jonction geboren. Es wimmelte von allen möglichen Berufen, darunter auch Uhrmacher, bei denen ich immer reinschaute.
erzählt Uhrmacher Antoine Preziuso, dessen Marke seinen Namen trägt. «Die Handwerker schenkten mir einzelne Teile, die sie loswerden wollten, z. B. Zifferblätter. Ich nahm sie mit nach Hause, um damit herumzubasteln. Mein Vater arbeitete auch in dieser Branche: er stellte Rolex-Gehäuse her und hatte seine Werkstatt im Keller. Von ihm lernte ich, wie man ein Uhrwerk zusammen- und auseinanderbaut. Ich war sieben Jahre alt, als meine Leidenschaft für die Uhrmacherei begann.» Nach Abschluss der obligatorischen Schule meldete sich Antoine Preziuso an der Uhrmacherschule in Genf an, um Uhrmacher-Rhabilleur zu werden. Er schloss als bester Lehrling seines Jahrgangs ab und fand eine Anstellung bei Patek Philippe, wo er zum Spezialisten für komplexe Uhrwerke wurde. «Die mechanische Uhr ist ein Mikrokosmos: sie besteht aus unzähligen millimetergrossen Einzelteilen. Man setzt sie mithilfe einer Lupe zusammen und es bedarf grosser Sorgfalt, damit das Ergebnis perfekt aussieht», betont er.
Antoine Preziuso eröffnete 1981 sein Atelier als unabhängiger Uhrmacher und kreierte 1985 seine erste Uhr mit dem Namen «Siena». Als er sie zehn Jahre später auf einer Messe ausstellte, erregte sie die Aufmerksamkeit eines Japaners, der gleich 100 Stück bestellte. Bei den Preziusos, die sich selbst als Familie «Ticktack» bezeichnen, ist der Sohn in die Fussstapfen des Vaters getreten und die Tochter ist Juwelierin. Gemeinsam schrieben die beiden Uhrmacher Geschichte, indem sie ein weltweit einzigartiges Uhrwerk entwickelten: den Tourbillon of Tourbillons. Mit ihrer Kreativität, ihrer Leidenschaft und ihrem Know-how haben sie schon viele Preise gewonnen. «Ich bin ein kreativer Mensch. Wenn ich eine Uhr entwerfe, bin ich wie ein Maler vor einer weissen Leinwand – ich muss inspiriert sein, um etwas zu produzieren. Manchmal sind es Einzelanfertigungen und manchmal Modelle, die auf Wunsch reproduziert werden können. Als ich anfing, produzierte ich zwischen 10 und 15 Uhren pro Jahr. Dann kam eine industrielle Phase, in der wir jährlich etwa tausend Uhren herstellten. Heute bin ich wieder unabhängiger Uhrmacher und stelle jährlich zwischen 50 und 60 Uhren her.» Ein Schweizer Kunsthandwerker, der die Uhrmachertradition seines Landes in Ehren hält. «Ich habe mit älteren Uhrmachern zu tun, die mir Geheimnisse aus ihrer Praxis anvertrauen. Unser Know-how ist Teil unserer Geschichte. Unsere Leidenschaft und Präzision werden auf der ganzen Welt bewundert. Überall schätzt man das vertraute Ticktack der Schweizer Uhren», schliesst der Genfer Uhrmacher.