Ausschnitt aus einem Wandteppich – Wolle auf Leinwand: © Museum für Gestaltung, Zürich

Sophie Taeuber-Arp – Gelebte Abstraktion im 20. Jahrhundert

Drei Museen in Basel, London und New York haben Sophie Taeuber-Arp kürzlich eine umfassende Retrospektive gewidmet – eine Hommage an eine Pionierin der abstrakten Kunst und eine herausragende Schweizer Künstlerin des 20. Jahrhunderts.

Wer bei der Schweiz an ein konservatives, materialistisches und von bürgerlichen Werten geprägtes Land denkt, sollte sich mit dem Leben und Werk von Sophie Taeuber-Arp (1887–1943) auseinandersetzen. Nach Jahrzehnten relativer Vernachlässigung ist Sophie Taeuber-Arp heute als führende Avantgardekünstlerin anerkannt. In der Schweiz ist ihr Gesicht vielen noch von der früheren 50-Frankennote in Erinnerung. Drei bedeutende Museen haben ihr Werk kürzlich ausgestellt: das Kunstmuseum Basel, das Museum of Modern Art in New York und die Tate Modern in London.

Sophie Taeuber-Arp : © Centre Pompidou 2003

 

Kunsthandwerk- und Tanzausbildung

Die 1889 in Davos geborene Sophie Taeuber-Arp interessierte sich schon als Kind für die einheimische Kunst. Mit achtzehn Jahren verliess sie ihr Elternhaus, um Kunsthandwerk zu studieren, zunächst in St. Gallen und dann in München, wo sie sich auf Textildesign und anschliessend auf Holzbildhauerei an der Debschitz-Schule spezialisierte. Zu dieser Zeit erlebte das Kunsthandwerk als Reaktion auf die industrielle Massenproduktion eine Renaissance. 

Kunstgewerbesammlung: © Kunstmuseum Basel 2021
Kunstgewerbesammlung: © Kunstmuseum Basel 2021

 

Nach ihrer Rückkehr nach Zürich im Jahr 1914 unterrichtete sie Kunstgewerbe und war von 1916 bis 1929 Leiterin des Fachbereichs textiles Gestalten an der Zürcher Kunstgewerbeschule. In diese Zeit fällt der Beginn ihrer ausserordentlich vielseitigen Karriere, in der die Webtechnik mit ihrer rechtwinkligen Verkreuzung von Kette und Schuss sie dazu inspirierte, vertikal-horizontale Raster in ihren Kompositionen zu verwenden.

Gleichzeitig besuchte sie Kurse in modernem Ausdruckstanz bei Rudolf von Laban und Mary Wigman in Zürich und Ascona. Der Tanz sollte in den Jahren zwischen 1914 und 1926 eine prägende Rolle spielen.

Protagonistin des Dada

Eine der interessantesten Bewegungen, die der Krieg hervorbrachte, war Dada. Die Dadaisten, denen Künstlerinnen und Künstler verschiedener Sparten angehörten, griffen den Rationalismus und die gesellschaftlichen Konventionen an, die ihrer Meinung nach zum Ersten Weltkrieg geführt hatten. Sophie Taeuber-Arp war eine der wenigen Frauen der Gruppe, die sich die absurdistischen, spielerischen und radikalen Praktiken des Dadaismus zu eigen machte. 

In dieser Zeit begann Taeuber-Arp auch mit der Herstellung von Marionetten, und 1918 erhielt sie den Auftrag, die Figuren für das Stück König Hirsch zu entwerfen. Parallel zu ihrem Marionettentheaterprojekt schuf sie eine Serie von gedrechselten, bunt bemalten Köpfen aus Holz, die im Kontext des Dadaismus künstlerische Bedeutung erlangten.

Marionetten-Sammlung: © Kunstmuseum Basel 2021
Marionetten-Sammlung: © Kunstmuseum Basel 2021

 

Zufluchtsort Zürich

Die Schweiz war während des Ersten Weltkriegs neutral geblieben. Viele Kunstschaffende und Intellektuelle aus ganz Europa, die dem Konflikt entfliehen wollten, hatten sich in Zürich niedergelassen, das zu einem Zufluchtsort für die Avantgarde wurde. Dies erlaubte eine nie dagewesene Meinungsfreiheit und eröffnete Möglichkeiten für Experimente mit unterschiedlichsten Medien. Unter diesen Flüchtlingen befand sich auch der Künstler Hans (Jean) Arp, der Sophie Taeubers Lebensgefährte werden sollte. Sie heirateten 1922 und begannen in der Schweiz und in Frankreich zu arbeiten. 

Architektur- und Innenarchitekturprojekte

Zwischen Mitte der 1920er- und Anfang der 1930er-Jahre verlagerte sich der Schwerpunkt des Schaffens von Sophie Taeuber-Arp auf Architektur und Innenarchitektur. 1925 wurde sie zum Jurymitglied der Schweizer Sektion der «Exposition Internationale des Arts Décoratifs et Industriels» in Paris berufen. Sie konnte an dieser Ausstellung verschiedene Arbeiten zeigen, die prämiert wurden. Daraufhin beantragten sie und ihr Mann die französische Staatsbürgerschaft und erhielten den Auftrag, in einem denkmalgeschützten Palais in Strassburg einen Vergnügungskomplex, die so genannte Aubette, zu realisieren.

Entwurf für eine Foyer-Bar in der «Aubette»: © Musée d’Art Moderne et Contemporain de Strasbourg
Entwurf für eine Foyer-Bar in der «Aubette»: © Musée d’Art Moderne et Contemporain de Strasbourg

 

Dieser Auftrag brachte ihr internationale Anerkennung als Innenarchitektin ein, und 1928 baute das Paar in Meudon bei Paris nach Sophies Entwürfen ein Wohn- und Atelierhaus. Sie hatten beide ihr eigenes Studio innerhalb eines offenen Grundrisses, um den freien Gedankenaustausch und Synergien zu fördern. Das Haus und der Garten wurden zu einem Treffpunkt für eine Reihe bekannter moderner Künstlerinnen und Künstler, von denen viele aus dem Ausland kamen.

In Frankreich wurde Sophie Taeuber-Arp Mitglied der Künstlervereinigungen «Cercle et Carré» und «Abstraction-Création», denen auch Wassily Kandinsky, Piet Mondrian und Kurt Schwitters angehörten. Diese Gruppen setzten sich dafür ein, die Kluft zwischen angewandter und bildender Kunst zu schliessen. Sie blieb jedoch eng mit Basel verbunden, insbesondere durch ihre Beteiligung an einer Ausstellung konstruktivistischer Kunst in der Kunsthalle im Jahr 1937, zu der sie zahlreiche Werke beisteuerte.

Nazi-Besetzung Frankreichs und Zuflucht in Grasse

Im Frühjahr 1940 flohen die Arps vor den einmarschierenden Nazi-Truppen aus Paris. Auf dem Weg nach Süden fanden sie zunächst Obdach bei ihrer engen Freundin Gabrielle Buffet-Picabia in Nérac und verbrachten anschliessend ein paar Tage bei der amerikanischen Sammlerin Peggy Guggenheim in Veyrier-du-Lac. Im September kamen sie in Grasse an, wo sie auf Künstlerfreunde trafen, aber es war eine Zeit der Isolation und der Armut, in der auch das Künstlermaterial sehr knapp war.

1942 wurde ihr Antrag auf ein Visum für die Vereinigten Staaten bewilligt, aber das Paar beschloss schliesslich, in Europa zu bleiben. Ein befristetes Visum für die Schweiz ermöglichte es ihnen, der Besetzung Südfrankreichs zu entkommen.

Rückkehr nach Zürich und Unfalltod

Bei ihrem tragischen Unfalltod 1943 umfasste das Werk von Sophie Taeuber-Arp Textilien wie Kissen und Tischdecken, Perlarbeiten, ein Marionettentheater, Kostüme, Wandmalerei, Möbel, Architektur, Grafikdesign, Malerei, Zeichnung, Skulptur und Reliefs. 

Sophie Taeuber-Arp gelang es in der Ära der klassischen Moderne auf einzigartige Weise, die Grenzen zwischen Kunst und Alltag zu verschmelzen. Sie gilt zu Recht als eine der innovativsten Künstlerinnen des 20. Jahrhunderts, und ihr Einfluss auf Design und Kunst hält bis heute an.

Coverbild: Ausschnitt aus einem Wandteppich – Wolle auf Leinwand: © Museum für Gestaltung, Zürich