Saype - ONU

Saype und seine gigantischen Bilder für Solidarität

Der schweizerischste unter den französischen Graffitikünstlern, Saype, will eine humanistische und ökologische Botschaft vermitteln. Mit seiner Kunst möchte er «auf die Menschen Einfluss nehmen, ohne der Natur zu schaden».

Mit seinen vergänglichen Werken an der Nahtstelle zwischen Street Art und Land-Art gehört Saype zu den Pionieren auf dem Gebiet der Grasmalerei.  Für seine in die Landschaft gesprayten gigantischen Fresken verwendet der Graffitikünstler biologisch abbaubare Farbe. Er kam vor fast zehn Jahren als Pflegefachmann in die Schweiz und gilt heute als einflussreiche Persönlichkeit in Kunst und Kultur. 2019 trat Saype eine neue Herausforderung an: eine Reise um die Welt mit «Beyond Walls». Das Projekt will eine echte soziale Bewegung auslösen und den Zusammenhalt fördern. Porträt eines Mannes, dem es nicht in die Wiege gelegt war, mit einer Airbrush um den Globus zu reisen.  

Jugend

Guillaume Legros, alias Saype, wuchs unweit der Schweiz im französischen Belfort auf. Er kreierte seine ersten Graffiti als Teenager unter dem Pseudonym «SAYPE» – eine Abkürzung für «Say Peace». Die Botschaft seiner Graffiti war ihm von Anfang sehr wichtig. Als leidenschaftlicher Autodidakt brachte er sich zahlreiche Maltechniken bei und richtete seine eigene Werkstatt ein. Mit 16 Jahren stellte er erstmals in einer Galerie aus. Als begabter Schüler lebte er parallel zu seiner Ausbildung seine künstlerische Ader aus. Mit dem Pflegefachdiplom in der Tasche kam Saype zum ersten Mal in die Schweiz, um hier zu arbeiten. Es war eine Art Rückkehr zu den Wurzeln. Sein Urgrossvater stammte aus Biel, wie er lächelnd anmerkt.

Saype - Paris © Valentin Flauraud

Werdegang eines Künstlers

Fast sieben Jahre lang führte Saype ein Doppelleben zwischen seinem Beruf als Pflegefachmann und seiner Berufung als Künstler. Seine Kunstform, mit der er die Aufmerksamkeit der Menschen zu gewinnen versucht, ist die Land-Art, insbesondere die Grasmalerei. Ein Jahr lang tüftelte er an der Entwicklung einer biologisch abbaubaren Farbe, mit der er markante, vergängliche Fresken schafft. Im Jahr 2016 stellte der auf eine Bergflanke in der Gemeinde Leysin gesprühte «ruhende Hirte» Saypes Karriere auf den Kopf. Das 10 000 m2 grosse Graffiti war das grösste jemals realisierte Grasbild. Tausende von Menschen und viele Medien strömten herbei, um dieses monumentale Fresko zu sehen, das die Beziehung zwischen Natur und Mensch reflektierte. Mir wurde klar, dass wir die Kraft haben, Ideen zu vermitteln […] Kunst kann im realen Leben etwas bewirken», sagt er.

Saype
Saype

Der Mensch liegt dem gelernten Pflegefachmann am Herzen. Nach einer längeren Reflexionsphase beschloss er, die Organisation «SOS Méditerranée» zu unterstützen und sich mit der Frage der Flüchtlinge im Mittelmeer zu befassen. In diesem Zusammenhang realisierte er 2018 eine weitere Performance im internationalen Genf. Das Bild des kleinen Mädchens, das ein Origami-Boot auf den Genfersee schubst, berührte über 120 Millionen Menschen weltweit. Die Wirkung war so stark, dass sie ihm die Türen zum Pariser Rathaus öffnete. Ein neues Abenteuer begann. 

Saype-Geneva © Valentin Flauraud
Saype-Geneva © Valentin Flauraud

Beyond Walls 

Im Sommer 2019 erfolgte der Auftakt zu «Beyond Walls», einem Projekt von einer Grössenordnung, die sich Saype selbst nicht hätte vorstellen können. Er überzeugte die Pariser Behörden davon, einem XXL-Fresko am Fusse des Eiffelturms zuzustimmen, das einen Solidaritätsaufruf aussenden sollte. «Ich hatte diese Vorstellung von ineinander greifenden Händen als Symbol der gegenseitigen Hilfe», erklärt er.  Während das Pariser Projekt Gestalt annahm, verspürte der Künstler das Bedürfnis, die Performance in anderen Städten zu wiederholen. Ich dachte: «Wir müssen mit dieser Kette um die Welt gehen. […]  Klar, ich war mir nicht bewusst, welche Riesenarbeit damit verbunden ist, aber es ist cool! Wenn du zu viel nachdenkt, lässt du es bleiben! », meint er mit ansteckender Begeisterung. In Paris begann Saype mit der Kreation der grössten Menschenkette der Welt. 

Saype-Paris © Valentin Flauraud
Saype-Paris © Valentin Flauraud 

Nach Paris macht die von dem Graffiti-Künstler ins Leben gerufene Solidaritätsbewegung in weiteren Städten Halt, darunter Andorra, Berlin, Genf und Ouagadougou. Die Liste der Termine für die Welttournee wird immer länger. Er hofft, dieses Projekt bis 2024 fortführen zu können und damit seine Botschaft der Hoffnung in die ganze Welt hinauszutragen. Für Saype ist klar: «Nur gemeinsam können die Herausforderungen der heutigen Zeit gemeistert werden.»  Parallel zu «Beyond Walls» schuf er als Reaktion auf die COVID-19-Pandemie ein Riesenfresko in Leysin. Die Schweiz lud ihn daraufhin ein, anlässlich des 75. Jahrestags der UNO-Charta ein Kunstwerk im Park des Völkerbundpalasts in Genf zu gestalten. Unter dem Titel «World in progress» symbolisiert es die Zusammenarbeit an der Welt der Zukunft.

Saype-ONU
Saype-ONU 

Bote der Solidarität  

Heute spricht der ehemalige Krankenpfleger die Menschen durch sein Werk an. Saype will mit einer zuversichtlichen und verbindenden Botschaft zu einer gerechteren Welt beitragen. Wie andere Kunstschaffende fordert er die Menschen mit gigantischen Kunstwerken heraus. Zu seinen Inspirationsquellen zählt er den Land-Art-Pionier Christo, Vihls, der für seine an die Wand gemeisselten Gesichter bekannt ist, oder die grossformatigen Poster von JR. Bei der Schaffung seiner Kunstwerke kann er auf die Unterstützung seiner zwei Assistenten und Jugendfreunde zählen. «Angesichts des Ausmasses meiner Performances ist ihre Hilfe unverzichtbar. Sie standen mir bei diesem gemeinsamen Abenteuer von Anfang an zur Seite.»

Saype
Saype

Heute lebt Saype in Gruyère und sagt, er habe das Paradies auf Erden gefunden: «Dies ist die ideale Gegend für Land-Art, es gibt überall Täler. Wir könnten überall loslegen. Hier hat es alles, was ich brauche, um mich wohlzufühlen.» Der schweizerischste unter den französischen Graffitikünstlern schliesst mit einem Lachen, dass kein Ort auf der Welt so «tipptopp» sei wie dieser. 

Saype portrait © Valentin Flauraud
Saype portrait © Valentin Flauraud 

Eckdaten

1989: Geburt in Belfort 
2005: erste Ausstellung in Belfort
2011: Ankunft in der Schweiz 
2013: Entwicklung einer biologisch abbaubaren Farbe 
2016: «Ruhender Hirte» in Leysin 
2018: «Kleines Mädchen mit Boot» in Genf 2019: Start des Projekts «Beyond Walls» in Paris
2020 : «Beyond crisis» in Leysin
2020: «World in progress» bei der UNO in Genf