Mehrsprachigkeit in Schweizer Schulen inspiriert die internationale Zusammenarbeit
In den vier Sprachregionen der Schweiz ist es selbstverständlich, dass der Unterricht in der jeweiligen Sprache, das heisst auf Deutsch, Französisch, Italienisch oder Rätoromanisch, stattfindet. In vielen Ländern der Welt besuchen die Kinder aber Schulen, deren Unterrichtssprache sie nicht verstehen. Mehrsprachigkeit und Sprachunterricht in der Schule haben in der Schweiz traditionell einen hohen Stellenwert. Diese Stärken unseres Schulsystems fliessen auch in die Bildungsprogramme der internationalen Zusammenarbeit der Schweiz ein.
Die Ziele für nachhaltige Entwicklung betonen die Bedeutung der Unterrichtssprache für eine gleichberechtigte und hochwertige Bildung. Und die UNESCO anerkennt die Mehrsprachigkeit in der obligatorischen Schule und die Förderung der Muttersprache als bewährte Praktiken. Kinder lernen besser und scheitern weniger, wenn die erste Unterrichtssprache ihre Muttersprache ist. Weltweit haben ausserdem fast 40 Prozent der Schulkinder keinen Zugang zur Schulbildung in einer Sprache, die sie sprechen oder verstehen, was ihre Bildungschancen mindert. Viele Kinder brechen die Schule vorzeitig ab oder können nach Abschluss der Primarschule weder lesen noch schreiben. Dies ist der Fall im Tschad und im Niger, wo der Unterricht ohne Rücksicht auf die sprachliche Vielfalt des jeweiligen Landes fast ausschliesslich in den Amtssprachen stattfindet. Die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) beruft sich auf die Stärken des Schweizer Schulsystems, insbesondere auf die Mehrsprachigkeit, und unterstützt die beiden Partnerländer mit Programmen zur Verbesserung der Bildungsqualität.
Mehrsprachigkeit des Schweizer Schulsystems: Mehrwert für die internationale ZusammenarbeitDas Schweizer Schulsystem widerspiegelt die sprachliche und kulturelle Vielfalt des Landes. Die Unterrichtssprache ist je nach Sprachregion Deutsch, Französisch, Italienisch oder Rätoromanisch mit gradueller Einführung einer zweiten Landessprache sowie des Englischen ab der Primarschule. Das Beherrschen mehrerer Sprachen ist eine persönliche Bereicherung und ein Vorteil auf dem Arbeitsmarkt. Sprachen ermöglichen aber nicht nur die Verständigung, sondern eröffnen auch den Zugang zu anderen Kulturen. Mehrsprachigkeit fördert den gesellschaftlichen Zusammenhalt, stärkt die Achtung der Vielfalt und ist ein Merkmal der nationalen Identität. |
Im Tschad führt der Unterricht in der Lokalsprache zu einer stärkeren Beteiligung von Schülern und Eltern
Das Bildungssystem des Tschad ist eines der schwächsten in Subsahara-Afrika. Nur gerade 41 Prozent der Kinder schliessen die Grundschule ab, und nur eines von fünf Kindern kann nach der Primarstufe lesen, schreiben und rechnen. Im Rahmen des Programms ProQEB (Verbesserung der Qualität der Grundbildung) unterstützt die DEZA den Unterricht in der Lokalsprache während der ersten Primarschuljahre mit gradueller Einführung der Amtssprachen. Das Programm legt den Fokus auf die Ausbildung der Lehrkräfte, die Anpassung der Unterrichtsinhalte, die Bedürfnisse und Realitäten der lokalen Bevölkerung sowie eine aktive Pädagogik. «Seit wir die Lehrpersonen in diesem neuen pädagogischen Ansatz geschult haben und den Unterricht in den lokalen Sprachen durchführen, stellen wir fest, dass die Schülerinnen und Schüler aktiver mitmachen und besser lernen, und dass die Eltern vermehrt eingebunden werden», berichtet die Ausbildnerin Fotina Mirayam. Mit diesen Neuerungen können den Familien ausserdem wichtige Informationen vermittelt werden, beispielsweise wie man Trinkwasser aufbereitet oder sich vor Malaria schützt, was zu weniger Konflikten in den Gemeinschaften führt. Nach der erfolgreichen Pilotphase im Süden des Tschad wurden die Aktivitäten auf vier Provinzen im Süden und Norden des Landes ausgeweitet. Der zweisprachige Unterricht in der Lokal- und der Amtssprache wurde in etlichen Primarschulen sowie in Schulen für Nomadenkinder, in Ausbildungseinrichtungen für Kinder, die von der Schule ausgeschlossen sind, und in Alphabetisierungszentren für Erwachsene eingeführt.
Dank dem Unterricht in lokaler Sprache geht Sylvain wieder zur Schule
Die Geschichte von Sylvain veranschaulicht, wie wichtig es ist, die Unterrichtssprache und die Lehrinhalte auf die lokalen Gegebenheiten abzustimmen. Sylvain ist 12 Jahre alt und wohnt in einem kleinen Dorf im Süden des Tschad. Er brach die Schule ab, weil seine Eltern das Schulgeld nicht mehr bezahlen und dem Schulbesuch nichts mehr abgewinnen konnten. Sylvain wollte lieber die Rinder transhumanter Viehzüchter hüten. An einer Informationsveranstaltung in seinem Dorf erfuhr Sylvain vom Ausbildungsangebot in der lokalen Sprache sowie in Französisch, das von der DEZA unterstützt wird und Kindern, die keine Schule besuchen, zur Verfügung steht. Er erzählt: «Im Unterricht beschäftigten wir uns als Erstes mit einer Geschichte in der Sprache Sar: ‹Die Hyäne, der Affe und der Hase›. Anhand der Geschichte lernten wir lesen und schreiben auf Sar und später auf Französisch. Danach kamen Rechnen und andere Fächer dazu. In sieben Monaten habe ich viele interessante Dinge gelernt, mehr als in meiner alten Schule. Neulich hat mein Vater meiner Mutter gesagt, dass ich das Rinderhüten nicht mehr erwähne. Ausserdem hat er gesagt, dass er meine beiden jüngeren Brüder nächstes Jahr auch in den Unterricht in lokaler Sprache schicken will. Ich glaube, er hat gemerkt, dass mich der Unterricht verändert hat und dass wir dort nützliche Dinge lernen.»
Förderung des politischen Dialogs im Niger zur Institutionalisierung lokaler Sprachen im Unterricht
Trotz besserem Zugang zur Grundbildung sind im Niger die Leistungen vieler Schülerinnen und Schüler noch immer sehr schlecht; viele brechen die Schule ab. Nach Abschluss der Primarschule können über 90 Prozent der Kinder kaum lesen und rechnen. Die DEZA engagiert sich seit mehreren Jahren im Rahmen ihres Programms zur Verbesserung der Qualität der Grundbildung (PAQUE). Auch hier steht die Zweisprachigkeit im Mittelpunkt, damit die Kinder die Schule in der Lokalsprache beginnen und allmählich die Amtssprache Französisch lernen können. Mehr als 20 000 Lehrpersonen wurden entsprechend ausgebildet. Die Lehrmittel in den lokalen Sprachen wurde an die Lebensumstände der Kinder angepasst. Innerhalb weniger Jahre haben sich die Schulleistungen in den von der DEZA unterstützten Schulen verbessert. Der Anteil der Schülerinnen und Schüler, die nach Abschluss der Primarschule lesen können, stieg von 4 auf 20 Prozent. Dank ihrer Erfahrung und angesichts der guten Resultate des PAQUE-Programms spielt die DEZA eine wichtige Rolle im politischen Dialog mit der nigrischen Regierung im Hinblick auf die laufende Bildungsreform und die Förderung des zweisprachigen Unterrichts. Die DEZA unterstützt ausserdem ein regionales Masterprogramm der Universität Niamey für Kadermitarbeitende aus Ministerien und zivilgesellschaftlichen Organisationen verschiedener westafrikanischer Staaten. Das Programm bezweckt die Erarbeitung pädagogischer Methoden, die den lokalen Gegebenheiten und Sprachen Rechnung tragen.
Image Cover: Lesen lernen in der Landessprache, Schule von Bourbo, Provinz Moyen-Chari (Tschad). © Enfants du Monde (Mathieu Savoy)
Image Lead: Schreiben lernen in der Schule von Donanga, Provinz Moyen-Chari (Tschad). © Enfants du Monde (Mathieu Savoy)