Ursula Keller

Ursula Keller hat das Licht am Ende des Lasers gesehen

Die renommierte Schweizer Physikerin Ursula Keller hält mehr als einen Trumpf in der Hand: Als erste Frau mit einer Professur für Physik an der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich wurde die Erfinderin und Spezialistin für ultraschnelle Lasertechnologie 2018 mit dem Europäischen Erfinderpreis und 2020 mit der Goldmedaille der Internationalen Gesellschaft für Optik und Photonik (SPIE) ausgezeichnet. Zudem setzt sie sich dafür ein, dass Frauen den ihnen gebührenden Platz in der Wissenschaft einnehmen können.

Als Kind war Ursula Keller nicht besonders gut in der Schule. Einzige Ausnahme: Mathematik und Naturwissenschaften. «Ob im Lesen oder Schreiben, irgendwie machte ich alles falsch. Aus heutiger Sicht waren diese schlechten Leistungen jedoch ganz klar ein Vorteil. In der Innerschweiz, wo ich aufgewachsen bin, wurde ein Mädchen, wenn es in allen Fächern gut war, meist in traditionelle Frauenberufe gedrängt. Technische Fächer wie das Ingenieurwesen standen überhaupt nicht zur Debatte.»

Ursula Keller

Ein Lebenswerk

Hätte Ursula Keller in der Schule mehr Erfolg gehabt, wäre sie Anfang der 1980er-Jahre wohl nicht zum Studium ans Departement Physik der ETH Zürich gekommen. Ebenso wenig hätte sie wahrscheinlich 2018 den Europäischen Erfinderpreis des Europäischen Patentamts oder 2020 die Goldmedaille der Internationalen Gesellschaft für Optik und Photonik (SPIE) erhalten.

Diese Auszeichnungen wurden ihr für eine eindrucksvolle Karriere zuteil. Mit der Entwicklung des ersten Verfahrens zur Herstellung von Ultrakurzpulslasern in den 1990er-Jahren hat die renommierte Physikerin den Einsatz der Lasertechnik im wahrsten Sinne des Wortes revolutioniert. Inzwischen ist das sogenannte SESAM-Konzept Industriestandard in der Elektronik, Automobilindustrie und medizinischen Diagnostik, aber auch in der Chirurgie. Ursula Keller war damals gerade einmal 30 Jahre alt.

Von Natur aus neugierig

Zu jenem Zeitpunkt war die Wissenschaftlerin am angesehenen Forschungszentrum AT&T Bell Labs im US-amerikanischen Bundesstaat New Jersey tätig, an das sie kurz nach ihrer Promotion 1989 an der Stanford University gewechselt hatte.

«Im amerikanischen Umfeld hatten Frauen in dieser Disziplin bessere Möglichkeiten, sich zu entfalten. Man dachte fortschrittlicher und hatte leichter Zugang zu einem Labor. Allerdings wurde mir von Anfang an zu verstehen gegeben, dass ich mir etwas Innovatives einfallen lassen musste, etwas, das funktioniert.»

Keller war fasziniert von der Lasertechnik und ging daher ein Problem an, mit dem sich schon viele Ingenieure und Ingenieurinnen vor ihr auseinandergesetzt hatten: «Seit der Erfindung des Lasers wollte man diese Technik für die Verarbeitung von Werkstoffen nutzen. Mit einem Dauerstrahl wird das zu bearbeitende Element jedoch zu stark erwärmt und dadurch beschädigt.» Dank der Idee, einen Halbleiter als Spiegel zu verwenden, gelang es der Wissenschaftlerin, eine gepulste Strahlung zu erzeugen und den Laser so in ein deutlich stärkeres und präziseres Instrument zu verwandeln, das insbesondere zum Schweissen und Schneiden, aber auch für Operationen am Auge oder am Gehirn eingesetzt werden kann. 

Ursula Keller
© Europäisches Patentamt

 

Ursula Keller, die ständig auf der Suche nach neuen Anwendungen für die Laserstrahlung ist und sich zudem für Quantenphysik begeistert, kreierte 2010 auch den damals genauesten Zeitmesser der Welt, die Attouhr, die Intervalle von einer Attosekunde, also einer Trillionstel Sekunde, messen kann.

Attoclock
Die Attouhr, eine laserbetriebene Ultrapräzisionsuhr. © Europäisches Patentamt

«Die Forschung und scheinbar ausweglose Situationen faszinieren mich. Je mehr Fragen auftreten, desto glücklicher bin ich. Ich glaube, ich war schon immer so. Bereits als Kind habe ich jede Menge Fragen gestellt und mich mit einem «Nein» als Antwort nie abgefunden. Meine Eltern hatten es sicher nicht leicht, aber es ist wohl diese natürliche Neugierde, die einen zu einer guten Forscherin, einem guten Forscher macht.»

Unterschätzte Schwierigkeiten

Ursula Kellers Entdeckungen erregten in Wissenschaftskreisen rasch Aufsehen. 1993 beschloss die ETH Zürich, sie als Physik-Professorin zu berufen.

Mit nur 33 Jahren war sie die erste Frau mit einem wissenschaftlichen Lehrstuhl an dieser Einrichtung, hatte jedoch mit einigen Hindernissen zu kämpfen: «Der damalige Präsident, Jakob Nüesch, bemühte sich sehr darum, mehr Frauen einzustellen. So gab es an der ETH bereits Professorinnen für Architektur und Pharmazie, doch ich war die erste in den so genannten «harten» Wissenschaften. Tatsächlich hatte ich vollkommen unterschätzt, was der Eintritt in eine reine Männerwelt bedeutet. Es war sehr schwierig in dem Sinne, dass wichtige Informationen beispielsweise nur in Insider-Kreisen unter Ausschluss von Frauen besprochen wurden.»

Ursula Keller
© Europäisches Patentamt

Gemeinsam die Zukunft gestalten

Die Wissenschaftlerin will nicht weiter auf ihre persönliche Erfahrung eingehen, denn ihr Kampf findet mittlerweile auf einer ganz anderen Ebene statt. Als Mitbegründerin und Präsidentin des ETH Women Professors Forum engagiert sich die Mutter von zwei Söhnen im Alter von 19 und 21 Jahren dafür, Frauen wieder ihren gebührenden Platz in der Wissenschaft zu verschaffen und so grundlegende institutionelle Veränderungen anzustossen.

«Idealerweise möchte ich dafür sorgen, dass der Professorinnenanteil an der ETH auf mindestens 30 Prozent steigt, und ich bin überzeugt, dass die derzeitigen Professorinnen, deren Anteil bei 10 Prozent liegt, uns dabei unterstützen können. Wir müssen uns solidarisch zeigen und gemeinsam aktiv auf dieses Ziel hinarbeiten, damit die Physik – oder jede andere wissenschaftliche Disziplin – nicht allein den Männern überlassen bleibt. Wir müssen in der Lage sein, gemeinsam und gleichberechtigt unsere Zukunft zu gestalten.»

 

Dieser Artikel von Sylvie Logean erschien ursprünglich im April 2018 in der Westschweizer Zeitung «Le Temps».