Der Zaubertrank aus Bern
Aus Gerstenmalz hat der junge deutsche Chemiker Georg Wander in den 1860er Jahren einen kräftigen und heilenden Extrakt gewonnen. Später wurde auf dieser Basis die Ovomaltine entwickelt. Das Pulvergetränk in den schmucken orangen Dosen eroberte von Bern aus die Welt.
320 Schweizer Franken betrug Georg Wanders (1841-1897) Monatsgehalt, als er 1862 als Assistent an den Lehrstuhl für Chemie und Pharmazie der Universität Bern kam. Zum Vergleich: Ein Professor verdiente um die 2'800 bis 3'200 Franken, Assistenten anderer Fakultäten immerhin noch 600 Franken.
Kein Wunder, dass der junge, hochbegabte und bereits mit Doktortitel ausgestattete Chemiker aus Hessen nach Alternativen suchte. Nach knapp drei Jahren verliess er die Universität. Doch hatte er die Laboratorien und Bibliotheken während dieser Zeit rege genutzt: Nun besass er das Rüstzeug für das Abenteuer Selbständigkeit.
Wundermittel Malz
1865 übernahm Wander in der Berner Altstadt die Mineralwasserfabrik «Sommer & Comp.». Wenig später trat die Firma unter dem Namen «Dr. Georg Wanders chemisch-technisches und analytisches Laboratorium» auf. Produziert wurden Tinkturen, Salben und Pastillen, Öle und Erfrischungsgetränke. Daneben offerierte Wander Bodenanalysen – eine Dienstleistung für landwirtschaftliche Betriebe der Umgebung. Sein Hauptinteresse galt aber von allem Anfang an dem Malzextrakt. Um die Wirksamkeit seiner Produkte zu testen, arbeitete Wander eng mit Ärzten am Berner Inselspital zusammen; diese stellten dem «Kraftnährmittel» exzellente Zeugnisse aus als Aufbaukur für geschwächte Patienten.
«Dem practicierenden Mediziner mußte es natürlich als eine freudige Neuerung erscheinen, als zur Zeit ein Präparat aus dem Malze hergestellt wurde, das frei von Alkohol und Kohlensäure in dicker Honigconsistenz, lediglich die schon längst geschätzten vortrefflichen Nährstoffe desselben in höchst concentrierter Form enthält», notierte der Erfinder 1869 nicht ohne Stolz.
Wirtschaftlicher Erfolg in der Wahlheimat Bern
Wanders Geschäft wuchs und 1873 liess er eine kleine Fabrik am Berner Stadtbach erbauen, daneben sein Wohnhaus. Auch privat lief alles wunderbar – seine Frau Anna Maria Katharina Webel schenkte ihm 1867 einen Sohn, Albert, der später Wanders wichtigster Mitarbeiter und Nachfolger werden sollte. Ausserdem wurde Wander in die ehrwürdige Berner Burgergemeinde aufgenommen, was gleichbedeutend war mit einem Berner Heimatschein.
In den 1890er-Jahren arbeiteten Vater und Sohn Seite an Seite mit Geräten wie Weingeistlampen und Vakuum-Verdampfern. Im Jahr von Wanders frühem Tod, 1897, kam ein heute immer noch beliebtes Schweizer Produkt in die Regale: das Herbalpina-Kräuter-Bonbon.
1904 vollendete Albert das vom Vater begonnene Werk: Die Ovomaltine war marktreif. Sie bestand aus dem neuartigen Malzextrakt, das nach Zugabe von Milch, Eiern und Kakao pulverisiert wurde. Zu Beginn waren die Büchsen nur in Apotheken und Drogerien erhältlich, schliesslich handelte es sich um ein «diätetisches Nahrungspräparat». Als die Zulassung auf dem Lebensmittelmarkt erfolgte, explodierte der Umsatz.
Das Instant-Getränk verspricht Stärkung für alle
Obwohl medizinische Wirkungen im engeren Sinne nie nachgewiesen werden konnten, erschlossen sich immer neue Zielgruppen und Absatzgebiete: Stillende Mütter, gebeugte Fabrikarbeiter, gestresste Automobilisten («Nervenkraft!»), Sportler und Sportlerinnen. In einer nächsten Phase fand der Schweizer Verkaufsschlager auch den Weg in die Armee, wo er die «Wehrkraft» stärken sollte.
Und im Ausland wurde ein Firmen-Ableger nach dem anderen eröffnet: Mailand (1906), Frankfurt und London (1910), Wien und Budapest (1912), Chicago (1917), Prag (1929), Zagreb, Toronto und Petersburg (1930), Warschau und Krakau (1931), Brüssel (1935), Kopenhagen (1937) ... Am Ende dieser Entwicklung erstreckte sich die Wander-Expansion über alle fünf Kontinente.
«Hesch Dini Ovo hüt scho gha»?
Diese Erfolgsgeschichte wurde und wird bis in die Gegenwart fortgeschrieben – als besonders werbewirksam erwies sich dabei die Verbindung von energiespendender Ovo und sportlicher Aktivität. Wander lieferte den Powerdrink an Grossanlässe wie die Olympischen Spiele, Fussballweltmeisterschaften oder die Tour de Suisse. Einige Jahrzehnte lang waren Erfolge im Schneesport, schweizerische Identität und Ovo untrennbar miteinander verbunden. Das begann 1972, mit der Lancierung des Ovo Grand Prix. Dieser Nachwuchs-Wettbewerb etablierte sich in den folgenden 25 Jahren als Talentschau der Schweizer Skination und als Karrieresprungbrett vieler späterer Spitzensportler, unter ihnen etwa Pirmin Zurbriggen. Und eine ganze Reihe von Wintersport-Stars wurden zu Ovo-Markenträgern ernannt: Die dreifache Olympiagold-Gewinnerin Vreni Schneider, der fotogene Snowboarder Ueli Kestenholz oder Publikumsliebling und Skirennprofi Didier Cuche.
Im schweizerischen kollektiven Bewusstsein hat die geliebte Ovomit dem unverkennbaren Schriftzug vor orangem Grund noch immer einen hohen Stellenwert. Entsprechend gross war die Entrüstung, als 2002 bekannt wurde, dass die Schweizer Marke «Wander» an die Associated British Food (ABF) verkauft wurde. Immerhin: Ovo-Produkte für ganz Europa werden weiterhin am bernischen Firmenstandort Neuenegg produziert. Und die orangen Muntermacher – ob als Brotaufstrich, Schokoriegel oder Instantgetränk – sind aus dem Schweizer Alltag nicht mehr wegzudenken.