Der Eiffelturm

Maurice Koechlin, der Schweizer Erfinder des Eiffelturms

Der Eiffelturm hat Schweizer Wurzeln! Es mag vermessen klingen, ist aber wahr: Das Wahrzeichen von Paris ist zwar nach Gustave Eiffel benannt, eigentlicher Urheber des Turms ist jedoch der französisch-schweizerische Ingenieur Maurice Koechlin.

Die Schweiz ist mit der Geschichte des Eiffelturms eng verbunden. Der Name von Maurice Koechlin ist im Gegensatz zu dem von Gustave Eiffel in Vergessenheit geraten. Doch war er es, der die Idee für den Turm hatte und den ersten Entwurf zeichnete. Sein Urenkel Jean-David Koechlin gibt Einblick in das Leben seines Vorfahren, der ein Mitarbeiter, Freund und später der Nachfolger von Gustav Eiffel war.

 Maurice Koechlin wurde 1856 im Elsass (Frankreich) geboren und starb 1946 in Veytaux im Kanton Waadt.

Von Mülhausen nach Zürich

Die Geschichte beginnt im benachbarten Frankreich, genauer gesagt in Mülhausen, das im 19. Jahrhundert eine wichtige Industriehochburg war. Die Stadt am Rhein erlebte als Zentrum der chemischen, Textil- und Maschinenindustrie und dank der Teilhabe der Basler Finanzwelt einen enormen wirtschaftlichen Aufschwung und wurde sogar das «französische Manchester» genannt. «Es herrschte Euphorie, man glaubte an den Fortschritt», beschreibt Jean-David Koechlin die damalige Stimmung. Dann brach der Deutsch-Französische Krieg von 1870 aus und Mülhausen geriet unter preussische Herrschaft. Einige der grossen protestantischen Familien, die den Wohlstand der Stadt mit aufgebaut hatten, gingen ins Exil, darunter auch die Familie von Maurice Koechlin, die sich in der Schweiz niederliess. Der Vater von Maurice schickte seine Kinder zum Studium an die Polytechnische Schule (die spätere Eidgenössische Technische Hochschule, ETH) nach Zürich, die auf dem Gebiet das Ingenieurwesens weltweit führend war.

Empfehlung des Professors

Maurice, der Älteste, hatte sich nach dem Umzug von Mülhausen in die Schweiz zusammen mit der ganzen Familie einbürgern lassen und studierte bei einem der hervorragendsten Dozenten seiner Zeit. Karl Culmann, der Begründer der «graphischen Statik», brachte ihm die damals neuartige Methode zur statischen Berechnung von Balken sowie von Stab- und Fachwerken bei, die es erlaubte, Bauten von grosser Höhe zu errichten. Der junge Student war begeistert von dieser Technik – und damit nicht allein: Auch der grosse Pariser Baumeister Gustave Eiffel interessierte sich für das Schweizer Know-how. Er bat den Zürcher Professor, ihm einen seiner Studenten zu empfehlen, worauf Culmann ihm von Koechlin erzählte.

Aus einem Projekt in nie dagewesener Grössenordnung...

Im November 1879 trat Maurice Koechlin eine Stelle bei dem 1868 von Eiffel gegründeten Unternehmen für Metallkonstruktion und Tiefbau an. Bereits sein erstes Projekt war spektakulär: der Bau des Garabit-Viadukts in der Auvergne, der das Tal der Truyère in 122 Metern Höhe überspannt und 1884 eingeweiht wurde. Dort experimentierte er mit Brückenpfeilern, die offensichtliche Gemeinsamkeiten mit dem späteren Eiffelturm erkennen lassen. Als nächstes verfeinerte er die Tragkonstruktion der für New York bestimmten Freiheitsstatue, die von Auguste Bartholdi, einem elsässischen Ingenieur entworfen worden war.
Im Jahr 1884 wurde der erst 28-jährige Maurice Koechlin zum Leiter des Konstruktionsbüros der Firma Eiffel ernannt. Die Weltausstellung von 1889 stand bevor: Dafür musste ein Bauwerk her, das der Veranstaltung ein markantes Gepräge geben sollte. Koechlin dachte an einen sehr hohen Turm und zeichnete einen Entwurf für einen – wie er es nannte – «Pylone de 300m de hauteur», einen in Eisenkonstruktion zu errichtenden Turm von 300 Metern Höhe. So hoch hatte noch niemand gebaut. Das höchste Gebäude der Welt war damals der Kölner Dom mit einer Höhe von 150 Metern. 

Der Vorentwurf von 1884 zum Eiffelturm, der 300 Meter hohe «Pylone» ©DR
Der Vorentwurf von 1884 zum Eiffelturm, der 300 Meter hohe «Pylone» ©DR

 

«Er ging an die Grenze des Machbaren und vertraute auf die menschliche Intelligenz», stellt Jean-David Koechlin fest.

Am nächsten Tag unterbreitete Koechlin die Skizze seinem Kollegen Émile Nouguier, dem technischen Leiter der Firma. Als die beiden ihren Chef um seine Meinung baten, zeigte sich dieser zunächst wenig begeistert. Er erkannte die Kühnheit des Entwurfs, dieser entsprach jedoch ästhetisch nicht seinen Vorstellungen und er beauftragte den Ingenieur, weiter daran zu arbeiten. «Eiffel faszinierte die Idee eines 1000 Fuss hohen Turms, aber er wünschte sich unter anderem einen grossen Torbogen an der Turmbasis.» Koechlin und Nouguier zogen den Chefarchitekten der Firma, Stephen Sauvestre, zu Rate. Dieser verpasste dem spartanischen Pylon eine neue Aufmachung. Neben dem Torbogen am Fuss des Turms sah er im ersten Geschoss einen grossen Kongresspalast vor, der nie gebaut wurde, und fügte eine Reihe von Verzierungen hinzu, wie die Statuen von Trompete spielenden Engeln an jeder Ecke des zweiten Etage.

...geht ein imposanter Turm hervor 

Dieses Projekt überzeugte schliesslich auch Eiffel. Er fand den Turm grossartig und erkannte auch die Möglichkeiten, die das Bauwerk für wissenschaftliche Forschung, Beleuchtung oder optische Telegrafie bot. Er stellte sich einen Leuchtturm vor, der über ganz Paris erstrahlen sollte. Er nutzte den Turm sein Leben lang, um Experimente durchzuführen, Gegenstände von den verschiedenen Geschossen fallen zu lassen und Newtons Schwerkraft zu berechnen. 
Gustave Eiffel liess den Entwurf als Patent anmelden «für eine neuartige Vorrichtung, die es ermöglicht, Pfeiler und Pylonen aus Metall zu bauen, die über 300 Meter hoch sind». Koechlin und Nouguier wurden in der Anmeldung ebenfalls als Erfinder genannt. Kurz darauf kaufte er seinen beiden Ingenieuren ihre Anteile am Turmpatent ab, sie sollten dafür später je 1% der Baukosten des Turmes erhalten. Damit hielt Eiffel alle Rechte am Entwurf des Turms. Als geschickter und anerkannter Geschäftsmann schien er der Einzige zu sein, der in der Lage war, das Bauwerk rechtzeitig zur Ausstellung fertig zu stellen. Koechlin leitete später die Bauarbeiten. Keines der 18’038 Teile des Gebäudes verliess die Werkstatt ohne seine Zustimmung. 

Die Konstrukteure Maurice Koechlin, Stephen Sauvestre, Gustave Eiffel, Emile Nouguier und der Prokurist Adolphe Salles. © DR
Die Konstrukteure Maurice Koechlin, Stephen Sauvestre, Gustave Eiffel, Emile Nouguier und der Prokurist Adolphe Salles. © DR

 

Vom Provisorium zum Wahrzeichen

Im Januar 1887 gewann Gustave Eiffel den Wettbewerb für die Weltausstellung mit seinem Entwurf für einen 300 Meter hohen Turm, der für die Ausstellung vom 6. Mai bis zum 31. Oktober 1889 errichtet und nach einer Nutzungsdauer von 20 Jahren wieder abgebaut werden sollte . Der Turm wurde in zwei Jahren, zwei Monaten und fünf Tagen gebaut und am 1. März 1889 eingeweiht. Dank seines phänomenalen Erfolgs und der soliden Bauweise blieb der Eiffelturm schliesslich weit über die zwanzigjährige Konzession hinaus bestehen. 
Der Eiffelturm, das Symbol Frankreichs in der Welt und das Wahrzeichen von Paris, gilt heute als eines der meistbesuchten kostenpflichtigen Bauwerke der Welt. 

Eine Freundschaft auf Augenhöhe

Maurice Koechlin, der 1893 Gustave Eiffels Nachfolger als Leiter der «Compagnie des établissements Eiffel» wurde, scheint es seinem Chef nicht übel genommen zu haben, dass dieser sich seine Idee zu eigen machte. Sein Urenkel, Jean-David Koechlin, betont: 

Zwischen Eiffel und meinem Vorfahren, der sein Angestellter und später sein Nachfolger war, gab es nie die geringste Feindseligkeit. Im Gegenteil, ihre Beziehung war ausgezeichnet, sie waren Freunde. Ich bin überzeugt, dass Eiffel, der oft an die Waadtländer Riviera kam, dem 24 Jahre jüngeren Maurice die Gegend zeigte und ihm wahrscheinlich auch das Haus vorstellte, das dieser kaufte und in dem er bis zu seinem Lebensende wohnte.

Der Eiffelturm

Weltweit kopiert 

Der Eiffelturm, das Symbol Frankreichs in der Welt und das Wahrzeichen von Paris, gilt heute als eines der meistbesuchten kostenpflichtigen Bauwerke der Welt. 
Heute gibt es auf der ganzen Welt zahlreiche Nachbildungen des Eiffelturms, von denen jedoch keine an das Original herankommt. Die älteste ist der Blackpool Tower, der 1894 in Nordengland erbaut wurde. Neben dem sehr authentisch wirkende Replikat in Las Vegas wurden auch in den amerikanischen Städten Paris (Texas) und Paris (Tennessee), in Tokio (Japan), in einem Vergnügungspark in Shenzhen (China), in Hangzhou (China), in Prag (Tschechische Republik), in Slobozia (Rumänien) usw. Bauwerke errichtet, die stark vom Pariser Turm inspiriert sind.

Dieser Artikel von Marc David erschien ursprünglich am 3. November 2021 in der Westschweizer Zeitschrift «L'Illustré».