Christine Schraner Burgener visits the Thet Kel Pyin Muslim Internally Displaced Persons camp in Sittwe, Rakhine State, Western Myanmar (2018)

Frauen in Friedensprozessen

Vor etwas mehr als zwanzig Jahren, am 31. Oktober 2000, verabschiedete der UNO-Sicherheitsrat einstimmig die wegweisende Resolution 1325. Damit anerkannte er erstmals, dass die aktive und konstruktive Mitwirkung von Frauen in politischen und sicherheitsbezogenen Entscheidungsprozessen den Frieden und die Sicherheit dauerhaft fördert. Die Umsetzung der Agenda für Frauen, Frieden und Sicherheit ist in diesen zwei Jahrzehnten aber nur schleppend vorangekommen. Obwohl sich Frauen in ihren Gemeinschaften an vorderster Front für die Bewältigung von Krisen und für die Förderung von Dialog und Vertrauen in Konfliktzeiten einsetzen, werden sie oft ausgeschlossen, wenn es darum geht, die Zukunft der Gesellschaften zu gestalten, in denen sie leben. Die Schweiz verfügt über langjährige Erfahrung im Bereich der Konfliktbeilegung und ist eine verlässliche Partnerin in der Friedensförderung. Wie können Frauen in diesen Prozessen mitwirken? Antworten von vier Frauen, die sich in verschiedenen Funktionen in Friedensprozessen engagieren.

Die Zahlen sind ernüchternd: Laut dem Thinktank Council on Foreign Relations waren in den grossen Friedensprozessen zwischen 1992 und 2019 gerade mal 6 Prozent der Mediatoren und 13 Prozent der Unterhändler weiblich. In den letzten Jahren gab es eine leichte Verbesserung: Zwischen 2015 und 2019 bewegte sich der Frauenanteil bei der Friedensvermittlung mit 11 Prozent im zweistelligen Bereich, während er in der Verhandlungsführung auf 14 Prozent stieg. Die Einbeziehung von Frauen geht jedoch über die offiziellen Verhandlungen hinaus. Ein inklusiver Friedensprozess verfügt über formelle und inoffizielle Räume, in denen die Perspektiven und Erfahrungen breiter Bevölkerungsschichten, einschliesslich Zivilgesellschaft und Friedensvermittlerinnen, eingebracht werden können. 

Christine Schraner Burgener

Von offiziellen Räumen…

Die Schweizer Diplomatin Christine Schraner Burgener verfügt über 30 Jahre Berufserfahrung. Seit 2018 ist sie Sondergesandte des UNO-Generalsekretärs für Myanmar. Der Wechsel von der Botschafterin zur Mediatorin ergab sich fast natürlich. Als es 2010 in Thailand zu gewaltsamen Auseinandersetzungen kam, ergriff Schraner Burgener die Initiative. Sie war als Schweizer Botschafterin in Bangkok gut vernetzt und genoss das Vertrauen der Konfliktparteien. Dies ermöglichte es ihr, mit der Unterstützung von Bern einen fünfjährigen Mediationsprozess zwischen den beiden Parteien zu initiieren und zu leiten, der in der Residenz stattfand. Die Tatsache, dass sie eine Frau ist, war dabei nie ein Thema. «Asien ist anders als Europa. Hier spielt es keine Rolle, ob man eine Frau oder ein Mann ist; wichtig ist die Position. In Thailand gehen die Leute davon aus, dass man seine Position verdient hat, und respektieren einen dafür», erklärt sie. In Europa gilt es immer noch als aussergewöhnlich, wenn Frauen Führungspositionen innehaben, die früher Männern vorbehalten waren. Als Schraner Burgener von Thailand nach Berlin wechselte, wiesen die Schweizer Medien sofort darauf hin, dass dieser Botschafterposten damit zum ersten Mal in Frauenhand war.

Natürlich war ich die erste Frau, aber das sollte eigentlich ganz normal sein.

Christine Schraner Burgener visits the Thet Kel Pyin Muslim Internally Displaced Persons camp in Sittwe, Rakhine State, Western Myanmar (2018)
Christine Schraner Burgener besucht der Thet Kel Pyin Muslim Internally Displaced Persons camp in Sittwe, Rakhine State, Western Myanmar (2018)

 

Mô Bleeker, Sondergesandte für Vergangenheitsarbeit und Prävention von Gräueltaten, sieht ihre Vermittlerrolle ähnlich.

Die Parteien behandeln Frauen mit einer offiziellen Rolle im Allgemeinen respektvoll.

Während zwanzig Jahren ihrer Karriere beriet sie Konfliktparteien und nahm an Friedensprozessen teil, unter anderem in Kolumbien und auf den Philippinen. Dabei ging es um eine der heikelsten Fragen in Friedensverhandlungen: den Umgang mit dem im Krieg begangenen schweren Menschenrechtsverletzungen und Gräueltaten. Bis Ende der 1990er-Jahre wurden die Themen Justiz und Frieden als Gegensätze angesehen. Die meisten Mediatoren plädierten dafür, zuerst einen Waffenstillstand zu erzielen, und kümmerten sich erst sehr viel später – wenn überhaupt – um die Rechenschaftspflicht. Dies änderte sich mit der Schaffung des Internationalen Strafgerichtshofs Anfang 2000. Bald darauf erklärte die UNO, sie werde nur noch Friedensabkommen zustimmen, die auch das Thema Straflosigkeit angehen, und keine pauschalen Amnestien für schwere Verstösse gegen das Völkerrecht mehr akzeptieren. «Damals gab es noch eine Generation meist älterer, männlicher Mediatoren aus dem Westen, die sich noch nie in einem Friedensprozess mit dem Thema Rechenschaftspflicht befasst hatten, nur im Rahmen von Amnestien», sagt Bleeker. Es war ein mühsames Unterfangen, bis es gelang, die Transitionsjustiz in die Friedensverhandlungen einzuführen, so dass die Parteien schon in einem frühen Stadium des Prozesses mit diesem zentralen Thema konfrontiert werden können. 

Mô Bleeker at the Peace Dialogue Columbia
Mô Bleeker in Quito während the Peace Dialogue Columbia - ELN in Quito (2018)

 

Mediatorinnen werden von den Parteien oft gut akzeptiert, aber häufig unterschätzt, vor allem von ihren westlichen Kollegen. Aber «wenn man unter dem Radar fliegt, kann man Dinge erreichen, die einem niemand zugetraut hat. Man kann sich beispielsweise Zugang zum Armeechef verschaffen oder für vertrauliche Gespräche riskante Orte aufsuchen», erklärt Schraner Burgener. «Ich kann auch die Rohingya in Bangladesch besuchen und mit den Frauen offen über ihre Situation sprechen. Männer können das wegen der kulturellen Normen nicht», meint sie weiter. Wichtig für eine Mediatorin oder einen Mediator sind zudem soziale Kompetenzen und ein respektvoller Umgang, aber auch Autorität und Gewieftheit in den Verhandlungsthemen, wenn dies nötig ist. Ausserdem sollte man den Prozess vor seine persönlichen Karriereambitionen stellen. «Der Erfolg gehört den Parteien, es ist nicht der eigene Erfolg, sondern derjenige der Menschen vor Ort», bestätigt Bleeker. 
Die Einbeziehung der Frauen in den Prozess ist auch ein wesentlicher Bestandteil der Verhandlungsführung. «Als Sondergesandte für Myanmar habe ich ein Frauennetzwerk aufgebaut, das mich in verschiedenen Fragen berät und mit dem ich mich regelmässig treffe», sagt Schraner Burgener. Sie unterstützt die Frauen des Netzwerks auch dabei, die bei den Treffen erzielten Ergebnisse voranzubringen. Heute ist die Agenda für Frauen, Frieden und Sicherheit Teil der Friedensprozesse. 

…zur konkreten Friedensarbeit im Feld ..


Der Staat Südsudan wurde 2011 nach einem jahrzehntelangen Bürgerkrieg gegründet. Die Schweiz unterstützt den südsudanesischen Friedens- und Staatsbildungsprozess unter anderem durch die Arbeit von Lydia Minagano, National Programme Officer, und von Joane Holliger, Schweizer Beraterin für menschliche Sicherheit in Juba seit 2018. Die beiden Frauen engagieren sich für eine breitere Bürgerbeteiligung im Versöhnungsprozess, unterstützen junge Menschen und deren Mitwirkung bei der Umsetzung des Friedensabkommens von 2018 und fördern den Dialog zur Stärkung des friedlichen Zusammenlebens und des sozialen Zusammenhalts. 

Lydia Minagano
Lydia Minagano in the Youth dialogue in Juba,die Hauptstadt des Südsudan (2020) 

 

Holliger ist es gewohnt, mit Männern in Führungspositionen zu arbeiten. «Sobald sie sehen, dass man einen Mehrwert und Input bringt, dass man nicht schüchtern ist und ‹seinen Mann steht›, respektieren sie einen als Frau», sagt sie. Hilfreich ist auch, dass die Schweiz im Südsudan einen guten Ruf geniesst, weil sie 2005 das umfassende Friedensabkommen unterstützte, das zur Unabhängigkeit führte. Gleichzeitig sind die Männer weniger offen für die Zusammenarbeit mit Südsudanesinnen als mit ausländischen Frauen. Beim Friedensabkommen von 2018 setzten Zivilgesellschaft und Aktivistinnen eine Bestimmung durch, die einen Frauenanteil von 35 Prozent in den Regierungsbehörden garantiert. Diese wurde bis jetzt aber nicht umgesetzt. «Wenn wir darüber sprechen, dass Frauen teilhaben und am Verhandlungstisch Platz nehmen sollen, stellen wir einige gesellschaftliche Normen und Überzeugungen in Frage», erklärt Minagano.

Wir haben es mit Politikern zu tun, die aufgrund ihrer Sozialisierung glauben, dass Frauen in der Politik nichts verloren haben. 

Die politischen Parteien haben aber auch gar nicht genügend weibliche Mitglieder. Einigen Parteien ist es zwar gelungen, Frauen zu berufen, die ihre Ämter kompetent ausüben. Andere wählen aber nur pro forma Frauen, wobei sie auf Personen setzen, die ihrer Meinung nach die Anliegen einzelner Parteimitglieder stützen. «Das Patriarchat ist ein System, das Männer bevorzugt, aber Frauen für seine Erhaltung instrumentalisiert. Das wirkt sich negativ auf die Teilhabe der Frauen aus. Die Frauen mussten sich die 35-Prozent-Klausel hart erkämpfen. Wenn die Parteien dann Frauen ernennen, die dem Job nicht gewachsen sind, vermitteln sie ein negatives Bild weiblicher Fähigkeiten», sagt Minagano.

Joane Holliger
Joane Holliger und die Youth dialogue in Torit, Eastern Equatoria, ihre Stimmen für eine friedliche Koexistenz aller Südsudanesen zu erheben (June 2019)

 

Wenn es um gesellschaftliche Versöhnung geht, sind Frauen nach Holligers Erfahrung oft vernünftiger als Männer und suchen konstruktiv nach Lösungen. Männer beharren eher auf ihren Positionen und drohen mit Krieg, während Frauen mehr nach Möglichkeiten suchen, um den Kreislauf der Gewalt zu durchbrechen. Das liegt nicht daran, dass Frauen friedfertiger sind als Männer, sondern eher daran, dass sie die «Hauptlast des Krieges tragen. Sie haben viel Leid erlebt, haben Ehemänner und Kinder verloren oder wurden Opfer von sexueller Gewalt. Aber trotzdem sind sie es, die die Gesellschaft aufrechterhalten», meint Holliger. In diesem Sinne könnte die Überwindung der Kluft zwischen weiblicher Zivilgesellschaft und Politik die Friedensanstrengungen stärken. «Frauen sollten ihre zivilgesellschaftliche Erfahrung als Leiter für den Einstieg in die Politik nutzen», findet Minagano.

…zu einer Schweizer Initiative

Am 8. März 2021 lanciert das EDA das Netzwerk «Swiss Women in Peace Processes» (SWiPP). Dieses verbindet 15 Schweizerinnen, die sich für das EDA, für Nichtregierungsorganisationen oder für internationale Organisationen in Friedensprozessen engagieren. Dank des Austauschs mit Mediatorinnen und Sachverständigen, aber auch durch Peer-Learning bietet das SWiPP-Netzwerk eine Plattform, auf der Frauen sich vernetzen, sich beruflich weiterentwickeln und die Sichtbarkeit der Schweizerinnen in den Friedensprozessen fördern können. Lesen Sie mehr über die Schweizerinnen im SWiPP-Netzwerk.

SWiPP