Schweizerinnen und Schweizer glänzen auf See
Im November 2020 startet der Genfer Alan Roura zum zweiten Mal an der Vendée Globe, der härtesten Einhandregatta der Welt Er ist keineswegs der einzige erfolgreiche Schweizer Hochseeskipper: Seit 40 Jahren glänzen die Binnenländer bei den prestigeträchtigsten Regatten der Welt. Gespräch mit dem Segeljournalisten und fotografen Jean-Guy Python, der vor Kurzem ein Buch über die herausragenden Schweizer Hochseeseglerinnen und segler herausgegeben hat.
Im Jahr 2016 wurde der damals 23-jährige Genfer Alan Roura Zwölfter an der Vendée Globe, der legendären Einhandregatta um die Welt ohne Zwischenstopp und ohne fremde Hilfe. Sein Budget belief sich auf knapp 400’000 Franken, während seine Konkurrenten Millionen zur Verfügung hatten. Mit einem Schot gesichert hatte er es geschafft, sein kaputtes Ruder mitten in einem Sturm auf dem Pazifik zu reparieren, was ihm den Spitznamen MacGyver einbrachte. Im Sturm eroberte er auch die Herzen des Publikums und der Schweiz – mit seinem Lächeln, seiner spontanen Art und seinem Look des romantischen Helden.
Alans Freundin Aurélia ist für alles zuständig, was an Land anfällt. Seit dem 9. Juli 2020 sind die beiden Eltern einer kleinen Billie, was Alan aber nicht daran hindert, im November seine zweite Vendée Globe zu bestreiten. Der Sponsor bleibt derselbe: «La Fabrique», eine grosse Waadtländer Bäckerei. Sein guter Rang bei der letzten Vendée hat ihm jedoch weitere Sponsoren beschert, so dass er nun mit einem schnelleren Boot startet, nach vier Jahren Vorbereitung.
Damals war er 105 Tage unterwegs, jetzt hofft er auf weniger als 80 Tage und einen Platz unter den ersten zehn.
Das Meer ist mein Leben, und die Vendée ist für mich wie eine Droge. Wenn du das einmal erlebt hast, willst du es immer wieder haben. Es ist eine Regatta, die dich körperlich und mental herausfordert, ein Kampf gegen dich selber. Ganz gleich, wie gut du vorbereitet bist, es kann alles passieren,
sagt der Genfer. Alan Roura hat nie wirklich an Land gelebt. Im Alter von vier bis acht Jahren wohnte er mit seinen Eltern auf einem Boot, das im Genfer Hafen vor Anker lag. Dann brach die Familie zu einer Weltreise auf und war zehn Jahre auf See.
«Ich fühle mich nie ganz wohl, wenn ich festen Boden unter den Füssen habe», erzählt Alan lächelnd. «Ich glaube nicht, dass ich jemals sesshaft werde.» «Alan ist ein Freigeist, eine Art Poet der Meere», sagt Journalist und Fotograf Jean-Guy Python, der die grossen Regatten seit dreissig Jahren verfolgt. In seinem wunderbaren Buch «Suisses en mer», das vor Kurzem erschien, porträtiert er Schweizer Seglerinnen und Segler, die sich auf den Weltmeeren einen Namen gemacht haben. So erstaunlich es für ein Binnenland wie die Schweiz auch sein mag, haben hiesige Hochseeskipper, von Pierre Fehlmann bis Ernesto Bertarelli und viele andere, in den letzten vierzig Jahren immer wieder prestigeträchtige Erfolge bei den grossen internationalen Regatten erzielt. «Die Schweizer geniessen grossen Respekt in Seglerkreisen. Man weiss, dass man mit ihnen rechnen muss», erklärt Jean-Guy Python.
Für die meisten von ihnen war der Genfer See, wo sie ihre Sporen verdienten, das beste Versuchslabor, quasi ein Miniaturmeer. «Die Bedingungen auf dem Genfersee sind ähnlich wie auf dem Meer. Man muss bei leichter Brise stark sein und mit Windwechseln umgehen können.»
Vater des Schweizer Hochseesports und Wegbereiter dieser ehrgeizigen und zähen Skipper ist der eigenwillige Pierre Fehlmann aus Morges. Nach einer Reihe von anderen Erfolgen gewann er 1986 das Whitbread Round the World Race auf der UBS Switzerland. Dies war der erste grosse Schweizer Hochseesieg, mit einer Crew, die sich mehrheitlich aus jungen Schweizern zusammensetzte.
«Pierre Fehlmann hatte auf allen Booten, ob UBS, Gauloises oder Disque d’Or, stets die besten Talente an Bord, die er auf dem Genfersee fand», sagt Jean-Guy Python. Steve Ravussin, Bernard Stamm und Dominique Wavre, die eine glänzende Karriere hinlegten, gingen alle durch die Fehlmann-Schule. Darauf ist der heute 76 Jahre alte Seebär sichtlich stolz. «Ich habe meine Leidenschaft zum Beruf gemacht, und dank mir sind mehrere Generationen von Schweizern auf den Geschmack des Hochseesegelns gekommen. Ich kann sagen, dass ich meine Arbeit getan habe.» Python fügt hinzu: «Fehlmann war schon immer ein direkter Typ, er schummelt nicht und redet Klartext. Das ist etwas, was den Segelsport auszeichnet, aber nicht unbedingt die übrigen Sportarten.»
Steve Ravussin aus Épalinges, auch er ein Skipper mit eisernem Willen und grosser Klappe, segelte mit Pierre Fehlmann auf der Merit. Ihr Verhältnis war eher direkt. «Mit Fehlmann hast du einmal Zoff, dann liebt er dich», fasst Ravussin ihre Beziehung im Buch «Suisses en mer» auf seine unvergleichliche Weise zusammen. Im Segelsport konnte der Waadtländer seiner Liebe zur Geschwindigkeit frönen. «Ich liebe das Tempo, die Anspannung, den Stress. Alles unter 20 Knoten ist nichts für mich!» Ein Jahr nach seinem Sieg an der Transat Jacques Vabre 2001 stand er kurz davor, auch die Route du Rhum zu gewinnen, als er vor der Küste Guadeloupes kenterte. «Blöd wie ich bin, hab ich mich erwischen lassen», rief er mit seinem üblichen Humor in die Kameras.
Auch der ehemalige Lehrer und spätere Schmuckverkäufer Dominique Wavre aus Genf bestritt seine ersten Hochseeregatten mit Pierre Fehlmann und war insbesondere bei drei Whitbread Teil der Crew. «Und er hat viel durchgemacht», sagt Jean-Guy Python. Als Solosegler war Dominique Wavre unter anderem dreimal an der Vendée Globe dabei. 2004 belegte er den vierten Platz und erzielte damit das beste Ergebnis eines Schweizer Skippers. Mit seiner Lebensgefährtin Michèle Paret bildete er die erste gemischte Segelcrew. «Sie kümmert sich um die Mechanik, ich um die Trimmung; sie ist eher der Steuermann, ich der Trimmer. Wir haben absolutes Vertrauen ineinander», erzählt Dominique Wavre. Und seine Partnerin ergänzt: «Ich wollte schon immer mit Dominique segeln.» Der Waadtländer Bernard Stamm lernte Forstwart und verdingte sich danach als Matrose auf Frachtschiffen, weil er Fernweh hatte.
«Ich wollte die Welt sehen und hatte kein Geld.» Auch er durchlief die Fehlmann-Schule. Geschichte schrieb er, als er 2001 den Transatlantikrekord brach. «Auf dem Meer gibt es keine Entschuldigungen. Du kannst nicht schummeln, wenn du um dein Überleben kämpfen musst», erzählt der Skipper, der zahlreiche spektakuläre Kenterungen erlebte, die noch kein Segler auf diesem Niveau überlebt hat.
Ein weiterer begnadeter Segler war der Neuenburger Laurent Bourgnon mit dem Spitznamen «Prinz der Meere». Ihm war eine glänzende Karriere, aber auch ein tragisches Schicksal beschieden. Zum Segelsport kam er wie Alan Roura durch die Familie. Als er vier Jahre alt war, verkauften seine Eltern ihre Bäckerei in La Chaux-de-Fonds und brachen mit den beiden Söhnen Laurent und Yvan zu einer Weltumsegelung auf. Im Alter von 24 Jahren gewann er die Route du Rhum, danach folgten zwei Erfolge bei der Zweihand-Transat, einer davon mit seinem Bruder. Laurent soll so detailversessen gewesen sein, dass er seine Zahnbürsten halbierte, um Gewicht zu sparen. Nach seinem Rücktritt vom Wettkampfsport suchte er nach neuen Abenteuern. Er nahm an der Paris-Dakar teil und kletterte mit dem Bergsteiger Jean Troillet, bis er 2015 bei einem Tauchunfall in Französisch-Polynesien ums Leben kam.
Den Schweizer Segelsport am meisten geprägt hat jedoch zweifellos Ernesto Bertarelli, wenn auch in anderer Hinsicht. Der Genfer Milliardär baute ein multinationales Segelunternehmen auf und engagierte die besten Leute für jede Position. So holte Bertarelli 2003 den America’s Cup an der ältesten Segelregatta der Welt, die in Tagesrennen ausgetragen wird. Das Schweizer Team deklassierte die Neuseeländer im Finale vor Auckland mit einen vernichtenden 5:0-Sieg. Bei ihrer Rückkehr in den Genfer Hafen applaudierten 40’000 Zuschauerinnen und Zuschauer der Crew. Vier Jahre später konnte Bertarelli den Pokal in Valencia verteidigen. «Bertarelli ist vor allem ein harter und kaltblütiger Leistungssegler», sagt Jean-Guy Python. Langstreckenregatten haben ihn nie interessiert. «Ich sehe mich eher als F1-Pilot denn als Rallyefahrer. Ich habe einmal eine Hochseeregatta ausprobiert, aber das ist nicht mein Ding.»
Eine Pionierin ist auch seine Schwester Dona Bertarelli, und zwar für den Frauen-Segelsport. 2010 gewann sie den Bol d’Or auf dem Genfersee mit Ladycat und einer mehrheitlich weiblichen Crew. «Mir wurde schnell klar, dass Frauen in diesem sehr männlichen Umfeld nicht den Platz haben, der ihnen eigentlich zusteht. Ich wollte, dass wir uns auf den gleichen Gewässern mit den Männern messen.» 2015 finanzierte sie den Versuch, den Rekord der Jules Verne Trophy für die schnellste Weltumsegelung im Team zu unterbieten, und nahm als einzige Frau unter dreizehn Männern daran teil. Nach 47 Tagen und 10 Stunden musste die Spindrift aufgeben, aber Dona hatte ihre persönliche Herausforderung gemeistert. «Auf See gibt es keinen Unterschied zwischen Männern und Frauen, Reichen und Armen. Ich habe mir selbst und anderen bewiesen, dass ich fähig bin, dass ich dazugehöre», erzählt die Mutter von drei Kindern.
Justine Mettraux, die mit Dona auf der Ladycat segelte, ist derzeit die einzige Schweizerin, die an Einhand-Regatten teilnimmt. Nachdem an den ersten acht Ausgaben der Vendée Globe seit 1989 nur sieben Frauen teilnahmen, sind es dieses Jahr nicht weniger als sechs. Justine Mettraux hat sich vorgenommen, 2024 zu starten. Sie wird dabei sicher auf einen gewissen Alan Roura treffen.