Freitag: eine nachhaltige Botschaft
Mitte der 1990er-Jahre erfinden die Brüder Freitag in Zürich die Tasche neu, indem sie LKW-Planen recyceln. 27 Jahre und ziemlich viele Innovationen später florieren ihre Stores von Berlin bis Tokio, die Marke hat über 250 Mitarbeitende und zahllose Fans. Ihr Geheimrezept? Gute Ideen natürlich, aber auch eine ganzheitliche Haltung, die Kunst und den Zeitgeist zu treffen – mit einem Produkt, das schweizerisch, umweltverträglich und auf der ganzen Welt wiedererkennbar ist. Ein Interview mit Daniel Freitag in seinem Büro in Oerlikon.
Von Zürich bis Tokio: Saga einer Kultmarke
Wir schreiben das Jahr 1993. Nachhaltige Entwicklung ist noch kein grosses Thema, doch zwei Zürcher Designer haben die Idee, aus LKW-Planen Taschen herzustellen. Ein Qualitätsprodukt mit Stil, das sie vorerst nur für sich selber und ihr Umfeld entwickeln. Schon bald begeistert es ein grösseres Publikum, anfänglich vor allem Leute mit kreativen Berufen im Bereich Design, Architektur und Fotografie.
Die Brüder Freitag sind der Schweiz und ihren Werten verbunden, gleichzeitig aber weltoffen bei der Suche nach Inspiration für ihre Arbeit. Schon bald eröffnen sich ihnen deshalb neue Horizonte: «Wir haben uns schon immer gefragt, wie sich unsere Taschen in Berlin verkaufen würden, und wir waren enorm gespannt auf die Reaktion, als wir unsere ersten Stores in Japan belieferten», erinnert sich Daniel Freitag.
Der Flagship Store in Zürich: ein Mekka für die Fans
Die Produkte gibt es in mittlerweile 28 FREITAG Stores und bei über 300 Verkaufspartnern auf der ganzen Welt, und im weltweit einzigartigen FREITAG Online Store warten etwa 4000 ganz verschiedene Unikate darauf, ausgesucht zu werden. Der Flagship Store in Zürich wird mit über 1800 rezyklierten individuellen Taschenunikaten sowie unzähligen Accessoires auf vier Verkaufsebenen das zum eigentlichen Mekka für die eingefleischten Fans der Marke. Während die weiteren fünf Stockwerke zum Aufstieg auf die frei zugängliche Aussichts- und Truckspottingplattform auf 26 Metern Höhe dienen. Für Daniel Freitag geht es um mehr als ein Produkt, nämlich um eine ganzheitliche Erfahrung: «Eine Form von Freitag-Tourismus, die ich genial finde: Auf der Suche nach der schönsten Tasche besuchen die Leute den Flagship Store, aber auch andere Läden in der Schweiz und im Ausland. Sie vergleichen zum Beispiel, was sie in unseren verschiedenen Verkaufsstellen hier oder in Tokio finden. Die Einzigartigkeit jedes Produkts ist für Freitag die beste Werbung. Wir haben leidenschaftliche Anhänger! Faszinierend ist auch zu sehen, wie sich die Begeisterung unserer Fans auf den sozialen Netzwerken verbreitet.»
F-ABRIC: biologisch abbaubare Kleider
Durch die Verarbeitung von Lastwagenplanen zu Taschen versuchten die Brüder Freitag, die Lebenszeit eines Produkts maximal zu verlängern. 20 Jahre später lancieren sie F-ABRIC, eine Kleiderkollektion, die sich einer neuen Herausforderung stellt: Auch das Leben danach eines Produkts zu planen. Diese Kleidungsstücke bestehen aus Materialien, die entweder kompostierbar oder für ein nächstes Leben bereit sind. Wie das funktioniert? Die Knöpfe lassen sich an einem anderen Kleidungsstück wieder verwenden, womit sie zum Symbol für die Philosophie des Recyclings werden. Bereits in der Entwicklungsphase daran denken zu müssen, was mit einem Produkt geschieht, wenn es seinen eigentlichen Zweck erfüllt hat, ist auch eine Herausforderung für die Designer.
Ständige Herausforderungen für ein kleines Unternehmen mit grossen Ideen
Die Auswirkungen dieser kleinen Revolution spürt auch die Unternehmensführung: «Nachdem wir 20 Jahre auf ein einziges Material setzten, muss unsere Produktionskette plötzlich auf Hemden und Hosen zugeschnitten sein. Diese Diversifizierung ist für uns eine enorme Herausforderung. Eine anspruchsvolle, aber auch eine erfrischende, aufregende Erfahrung!». Umbau der Stores, 250 Mitarbeitende, Schulungen für die Verkaufsteams, Botschafter auf der ganzen Welt und ein Online-Shop für Kunden auf der Suche nach ihrem neuen Lieblingsstück: Das KMU muss eine lange, komplexe Produktionskette organisieren. Kreative Konzepte und rationelle Produktionsverfahren gilt es in einen Gesamtprozess einzubinden, der der Philosophie von Freitag entspricht. Wichtig ist ein hohes Mass an Flexibilität und Offenheit gegenüber den Mitarbeitenden und allen involvierten Spezialistinnen und Spezialisten: «Was passiert zum Beispiel am Zoll, wenn wir unsere Taschen nach Südkorea liefern? Das ist spannend, aber auch komplex», erklärt Daniel Freitag.
Vom Design Thinking made in Switzerland...
Hilfreich bei der Bewältigung dieser Herausforderungen war der Ansatz des «Design Thinking». Dass beide Freitag-Brüder gelernte Designer sind, hat ihre Arbeit stark geprägt – natürlich visuell, aber auch im weiteren Sinne des Design Thinking: eine Mentalität, die darin besteht, verschiedene Dimensionen einzubeziehen, die auf den ersten Blick keinerlei Bezug zum Schaffensprozess haben: «Ich glaube, dass das Design und insbesondere das Schweizer Design auf allen Ebenen dieses Prozesses eine Rolle spielt. Wir entwerfen nicht nur im Atelier neue Modelle, sondern nehmen auch Einfluss auf den Service oder die Kommunikation unserer Website.» Was sich auszahlt! Das von Freitag entwickelte Regalsystem in den Verkaufsgeschäften ist patentiert und mehrfach ausgezeichnet. Schweizer Design ist genau das: «Wir können andere Lösungen entwickeln, als wenn wir uns nur als Hersteller oder Vertreiber sehen würden. Das motiviert uns auch täglich neu bei der Arbeit an unserer Produktionskette: Es gibt noch so viel Neues zu erfinden.»
... bis zum japanischen Zen
Ein Teil des Erfolgs von Freitag ist somit Swissness. Auf der Website der Marke ist denn auch zu lesen: «Sei nett zu deiner FREITAG, und sie wird dir eine gute Freundin sein: bescheiden, zuverlässig und immer da, wenn du sie brauchst.» Doch diese Schweizer Qualitäten, auf die sie stolz sind, kombinieren die Brüder Freitag mit einer radikalen Offenheit gegenüber der Welt und ihren vielfältigen Einflüssen – einer Welt, in der die Grenzen manchmal keinerlei Berechtigung haben, vor allem wenn es um nachhaltige Entwicklung geht. «In der japanischen Design-Philosophie, die uns sehr inspiriert hat, gibt es zum Beispiel das Konzept des «wabi-sabi»: Eine Ästhetik der Unreinheit, der Unvollkommenheit - wie die fleckige Patina unserer Taschen - die eher einen Gegenpol zum typisch Schweizerischen bildet.» Ein weiterer wichtiger Punkt sind laut Daniel Freitag die günstigen Bedingungen für solche Projekte in der Schweiz und die Philosophie von Freitag: «Wenn die Geisteshaltung Schule macht, die hinter unserer Arbeit steht, kann sie wohl eine nachhaltige Wirkung erzeugen, die wesentlich über das hinausgeht, was wir als Kleinunternehmen in einem kleinen Land produzieren.» Ein kleines Land mit grossen Talenten, das überzeugende Botschaften über seine Grenzen hinaus sendet...