Schweizer Käse

Das Know-how der Schweizer Käser hat die Welt erobert

Gruyère, Emmentaler und Tilsiter: Diese drei Käsesorten gelten weltweit als Symbole der Schweiz. Ihr Name und ihr Rezept sind zwar geschützt, damit die Konsumentinnen und Konsumenten Gewähr haben, dass sie in der Schweiz hergestellt wurden und strengen Normen entsprechen, aber das damit verbundene Know-how ist durch die Auswanderung von Schweizer Käsern in alle Ecken der Erde gelangt.

«Niemand weiss, wie Käse wirklich entstanden ist», sagt Eric Masseraz, Milchwirtschaftlicher Berater des Kantons Wallis. Nach Auskunft des Historischen Dienstes des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten wurde der Begriff Käse erstmals vor fast 4000 Jahren in den Texten des Alten Testaments erwähnt. «In der Branche hält sich der Mythos, der erste Käse sei durch Zufall entstanden. Man erzählt sich, ein Händler, der die Wüste durchquerte und dabei Milch in einem Beutel aus Schafsmagen mitführte, habe als erster die Umwandlung von Milch in Käse erlebt», erzählt Eric Masseraz. «Lange Zeit stellte die Käseherstellung in den ländlichen Gegenden der Schweiz die einzige Möglichkeit dar, Milch haltbar zu machen. Bis vor fünfzig Jahren hatte jede Familie zwei Kühe, die im Sommer auf die Alp geschickt wurden. Die in diesem Zeitraum produzierte Milch lieferte Butter und Käse für den Winter.»

Kaesereibetrieb von Fam. Murith auf der Alp Tsermont am Fusse des Moleson bei Gruyeres, FR. © Switzerland Tourism - By-Line: swiss-image.ch/Andre Meier

Seit dem Mittelalter weiterentwickeltes Handwerk 

Die alpwirtschaftliche Milchverarbeitung wird den Kelten zugeschrieben. Damals hielt man Kühe wegen des Fleischs, Käse wurde aus Schafs- oder Ziegenmilch hergestellt. Im Mittelalter ging man dazu über, Käse aus Kuhmilch herzustellen und dank der Entdeckung des Labs wurde der Hartkäse geboren. In der Neuzeit entstanden einzelne Sorten wie Gruyère, Emmentaler, Appenzeller und Sbrinz. Die neue Herstellungsmethode erlaubte es, den Käse haltbar zu machen, was ihm einen erheblichen Handelswert verlieh. Und das Rezept hat sich über die Zeiten erhalten: Schweizer Hartkäse ist nach wie vor in der ganzen Welt berühmt.

Die Eröffnung der Gotthard-Route im 13. Jahrhundert und die Auswanderung junger Schweizer, die vor der Armut in der Heimat flohen oder sich als Reisläufer verdingen mussten, halfen mit, Schweizer Erzeugnisse und Know-how im Ausland bekannt zu machen. Im 15. Jahrhundert trug die Kirche zum Aufschwung der Branche bei. Der Vatikan, der den Verzehr von Milchprodukten eingeschränkt hatte, gestand den Ländern nördlich der Alpen mehr Spielraum zu. Schweizer Käse konnte jetzt exportiert werden und erfreute sich in Italien, Flandern, England und Nordeuropa bald grosser Beliebtheit.

Getragen von diesem Erfolg wagten mit der Zeit die Käser selbst den Schritt in die Fremde. «Eine Krise in der Schweizer Landwirtschaft führte in den 1880er-Jahren dazu, dass viele Schweizer Käser auswanderten», berichtet François Wisard vom Historischen Dienstes des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten. «Sie gingen vor allem nach Frankreich, ins russische Zarenreich und nach Amerika. Soweit ich mich erinnere, wurde zuerst Emmentaler ausgeführt», ergänzt Eric Masseraz. Die Schweiz ist seit Jahrzehnten international bekannt als Geburtsort des Lochkäses. Gemeint ist natürlich der Emmentaler, obschon es bis heute zu Verwechslungen mit dem Gruyère kommt.» Bis ins 18. Jahrhundert war der Emmentaler im Ausland übrigens unter dem Namen «Emmentaler Gruyère» bekannt.

Kaesereibetrieb von Fam. Murith auf der Alp Tsermont am Fusse des Moleson bei Gruyeres, FR. © Switzerland Tourism - By-Line: swiss-image.ch/Andre Meier
Kaesereibetrieb von Fam. Murith auf der Alp Tsermont am Fusse des Moleson bei Gruyeres, FR.
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Französisches Eldorado

Frankreich war das bevorzugte Ziel der Käser, die der Heimat den Rücken kehrten. Laut einer Studie von Claire Delfosse über die Schweizer Käser in Ostfrankreich von 1850 bis 1950 waren diese Auswanderer, die Ende des 19. Jahrhunderts nach Frankreich kamen, beliebt, und die Qualität ihrer Arbeit wurde geschätzt. Weil es in der Heimat keine Arbeit für sie gab, zogen sie in gebirgige Regionen wie die Franche-Comté oder Hochsavoyen und begannen dort, Gruyère- und Emmentalerkäse herzustellen. Nach den damaligen Volkszählungen stammten diese Einwanderer vor allem aus den ländlichen Kantonen der Schweiz, wie Freiburg, Bern, Thurgau und St. Gallen. Ihr Know-how wurde geschätzt und sie fanden dank Mund-zu-Mund-Propaganda und dem landwirtschaftlichen Netzwerk jener Zeit leicht einen Arbeitsplatz. Am meisten Erfolg hatten sie mit der Herstellung von Emmentaler. Dieser hat eine kürzere Reifezeit, und die Herstellung ist entsprechend profitabler. Den damaligen Erhebungen zufolge wurden in den 1930er-Jahren in Frankreich 55 000 Tonnen Emmentaler produziert.

Kaesereibetrieb von Fam. Murith auf der Alp Tsermont am Fusse des Moleson bei Gruyeres, FR. © Switzerland Tourism - By-Line: swiss-image.ch/Andre Meier
Kaesereibetrieb von Fam. Murith auf der Alp Tsermont am Fusse des Moleson bei Gruyeres, FR.
© Switzerland Tourism - By-Line: swiss-image.ch/Andre Meier

 

Auch als Affineure taten sich die Schweizer Zuwanderer in Frankreich hervor. Ab 1921 kam die Produktion von Schmelzkäse hinzu. Dieser wird aus Gruyère und Emmentaler zweiter Wahl hergestellt. Am bekanntesten ist die Marke «La Vache qui rit», ein Streichkäse mit einer lachenden roten Kuh auf der Verpackung. Heute tragen viele Vertreter der zweiten Zuwanderergeneration zur Pflege und Verbreitung des Käsereihandwerks in Frankreich bei.

Ein amerikanischer Traum

«Im 20. und 21. Jahrhundert folgte dann die Auswanderung in die Vereinigten Staaten und nach Kanada», sagt Eric Masseraz. «Diese Käser waren auf der Suche nach dem amerikanischen Traum. Um ihr Glück zu machen, bauten sie Grosskäsereien in Gegenden auf, in denen ihr Fachwissen gesucht war.» Einer von ihnen war Hans Rothenbühler. Der diplomierte Berner Käser nahm 1950 eine Stelle in einer amerikanischen Käserei an. 1956 übernahm er eine alte Fabrik in Ohio, in der er unter anderem Emmentaler Käse herstellte. Sechzig Jahre später führt die dritte Generation der Familie Rothenbühler den Betrieb weiter, der heute zu den fünf grössten Käseherstellern der USA zählt und auf zahlreiche internationale Auszeichnungen zurückblicken darf.

Einladung aus Russland

Tilsit ist nicht nur der Name eines bekannten Schweizer Käses, es ist auch der frühere Name einer russischen Stadt. Ende des 19. Jahrhunderts gingen rund 300 Schweizer Käser (hauptsächlich Produzenten von Emmentaler), die in ihrer Heimat keine Arbeit fanden, nach Osteuropa, um dort ihr Glück zu suchen. Ein Teil von ihnen folgte dem Ruf nach Ostpreussen, wo die lokale Bevölkerung durch eine Pestepidemie dezimiert worden war. 1822 soll in Tilsit der erste mit «Tilsiter» bezeichnete Käse entstanden sein, in der Molkerei von Frau Westphal, der Frau eines Schweizer Käsers. 1893 brachten zwei Schweizer Käser, Otto Wartmann und Hans Wegmüller, den Tilsiter in die Schweiz. Sie hatten den Käse bei einer Reise durch Ostpreussen kennengelernt und waren entschlossen, diesen in der Heimat herzustellen. Seither wird der Käse in der Schweiz unter dem Namen Tilsiter Switzerland produziert.

Ein Know-how, das fortlebt

«Es gibt weiterhin Schweizer Käser, die auswandern, doch sind die Gründe dafür eher persönlicher als demografischer Natur», sagt Eric Masseraz. Schweizer Käse wird in der Schweiz und weltweit nach wie vor geschätzt, und Schweizer Käserinnen und Käser gehören regelmässig zu den Preisträgern internationaler Wettbewerbe. Dieses anerkannte Know-how ist das Ergebnis einer hochwertigen Ausbildung. Jedes Jahr schliessen rund 100 Käserinnen und Käser ihre Ausbildung in der Schweiz ab: genug, um die Tradition fortzusetzen. 

Tradition am Monte Generoso. Formaggini-Königin Marisa Clericetti beim Verarbeiten des Käses. © Switzerland Tourism - By-Line: swiss-image.ch/Ivo Scholz
Tradition am Monte Generoso. Formaggini-Königin Marisa Clericetti beim Verarbeiten des Käses.
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